Die Furcht vor dem Telefonieren ist ein ständiger Begleiter – egal, ob Termine vereinbaren oder Behördenanrufe tätigen, für viele von uns sind diese alltäglichen Dinge kaum möglich. Der Griff zum Hörer gleicht einem Horrorszenario. Doch woher kommt diese Angst? Und wie kann man dagegen vorgehen?
Text: Kristin Schild | Fotos: iStock
Das Handy klingelt, ein unbekannter Teilnehmer ruft an. Sofort schnürt sich die Kehle zu, und man fühlt sich wie gelähmt – etwa zehn Sekunden später ist es vorbei, der Unbekannte hat aufgelegt, und Erleichterung sowie Scham überkommen einen.
Der Zahn schmerzt schon seit Tagen, es ist kaum auszuhalten, aber die Zahnarztpraxis vergibt die Termine nur telefonisch. Ein Anruf ist unmöglich, also geht man lieber persönlich vorbei und wartet im vollen Wartezimmer.
Es ist Sonntag, der Kühlschrank ist leer und der Hunger groß, aber ebenso groß sind die Hemmungen davor, einen Lieferservice anzurufen.
Mit solchen oder ähnlichen Szenarien haben Menschen, die unter einer Telefonphobie leiden, tagtäglich zu tun. Doch was genau ist so eine Telefonphobie, und wie lässt sie sich klinisch einordnen? Die Telefonphobie an sich gilt nicht als eigenständige Krankheit, sondern sie wird medizinisch als eine Form der sozialen Phobie verstanden. Soziale Phobien gehören zu den häufigsten Angsterkrankungen unserer Zeit, unter denen etwa drei Prozent der Deutschen leiden. Deutlich mehr allerdings dürften eine abgeschwächte und nicht behandlungsdürftige Form, zum Beispiel eine Telefonphobie, haben. „Menschen, die unter einer sozialen Phobie leiden, haben häufig Angst, ans Telefon zu gehen. Sie befürchten, sich peinlich zu verhalten, sich schlecht auszudrücken oder sich in irgendeiner Form zu blamieren“, erklärt Prof. Dr. Borwin Bandelow, Psychiater und Experte für Angststörungen an der Universität Göttingen. „Sie haben Angst, von Behörden oder Vorgesetzten kritisiert zu werden. Sie vermeiden daher zum Beispiel wichtige Anrufe oder schieben sie lange auf.“
Dabei ist das Telefonieren theoretisch doch so einfach. Bei vielen Menschen jedoch steigt allein schon bei dem Gedanken an den Hörer der Blutdruck, und sie beginnen zu schwitzen. „Wenn das Telefon klingelt, schrecken sie förmlich zusammen, vor allem, wenn es sich um eine unbekannte Nummer handelt. Manche bekommen Herzrasen, Zittern, Magendrücken und andere Symptome, wenn sie das Gespräch annehmen“, beschreibt Dr. Bandelow die typischen Symptome.
Einigen Betroffenen fällt der Anruf schwerer als das Abnehmen, bei anderen ist es umgekehrt oder ausgeglichen. Auch die Ausprägungen können unterschiedlich sein. Von Nervosität bis zu Panikattacken ist alles vertreten. Eines jedoch ist klar: Der Alltag von Telefonphobikern hat deutlich darunter zu leiden, denn oft kreisen die Gedanken ständig um das nächste, nicht ausweichbare Telefonat. Es werden Vermeidungsstrategien entwickelt, um dem „Horrorszenario“ aus dem Weg zu gehen. Häufig ist es leichter, sich hinter einer E-Mail oder einer Kurznachricht zu verstecken, denn geschriebene Worte können überdacht, gelöscht und gut ausformuliert werden. Bei einem Anruf hingegen wird man schnell ins kalte Wasser geworfen, der Gesprächspartner ist unberechenbar und die Antworten sind nicht planbar. Die meisten Telefonphobiker befürchten dann, sich zu versprechen oder zu stottern. Hinzu kommt die Angst, den anderen bei etwas Wichtigem zu stören oder die Person am Telefon nicht richtig zu verstehen. Da man am Telefon weder Mimik noch Gestik des Gesprächspartners sehen kann, fühlen sich viele Menschen unwohl, denn nur anhand der Stimme wird häufig nicht ganz klar, was der andere von einem denkt.
Wie viele Menschen genau unter dieser Phobie leiden, ist noch unklar; da diese bisher nicht als eigenständige Krankheit gilt und nur die Wenigsten darüber sprechen, gibt es keine aussagekräftigen Statistiken. Hört man sich allerdings einmal im Bekanntenkreis um, so wird sich mit Sicherheit mindestens eine Person finden, der das Telefonieren deutlich schwerfällt. Darunter befinden sich auffallend häufig junge Menschen. Meist sind sie unter dreißig, und die alltägliche Kommunikation findet hauptsächlich über das Smartphone statt. Ob diese Kommunikationsform allerdings ein Grund für eine ausgeprägte Telefonphobie ist, kann man nicht deutlich sagen, denn moderne Kommunikationsgeräte können durchaus auch Vorteile für die Betroffenen haben. „Früher konnte man nicht erkennen, wer anruft, das vergrößerte die Angst, dass es sich um eine sehr wichtige Person handeln könnte und man sich eventuell falsch verhalten würde. Menschen mit einer Telefonphobie sind erleichtert, wenn sie auf dem Display eine bekannte Nummer erkennen“, erklärt Dr. Bandelow.
Ob die Telefonphobie also ein Folge-Phänomen der heutigen digitalisierten Welt ist und daher vor allem die junge Generation betroffen ist, kann statistisch nicht eindeutig beantwortet werden; allerdings betreffen soziale Phobien an sich, laut Professor Dr. Bandelow, vor allem jüngere Menschen zwischen 13 und 30 Jahren. „Die Angst vor dem Telefonieren ist durch Smartphones und das Internet wahrscheinlich nicht mehr geworden“, sagt Dr. Bandelow, „Menschen mit einer sozialen Phobie schreiben aber lieber Kurznachrichten, als dass sie telefonieren. Dann haben sie Zeit zum Überlegen. Außerdem braucht man auf peinliche Fragen gar nicht zu antworten.“
Doch egal, ob jung oder alt, das Problem verstärkt sich nur noch mehr, je länger man den Griff zum Hörer vermeidet. Man kommt schnell aus der Übung, und Unsicherheit schleicht sich ein.
Dr. Bandelow: „Wie bei allen Angsterkrankungen hilft es am besten, wenn man sich der Situation stellt. Man sollte wichtige Gespräche nicht aufschieben, denn mit jedem Tag, den man abwartet, wird die Angst davor größer.“
Viele jedoch können sich einfach nicht überwinden, dabei gleicht das Telefonieren fast einem Handwerk, welches man relativ schnell erlernen kann. „Übung macht den Meister“, wer öfter seine Angst überwindet, der entwickelt im Laufe der Zeit seine eigene kleine Telefonier-Routine.
Und wie in jedem guten Handwerk, gibt es für die Betroffenen hier auch ein paar kleine Tipps und Kniffe, die den Griff zum Hörer erleichtern können.
Aller Anfang ist schwer
Nachdem man sich überwunden hat, die Nummer zu wählen oder den Hörer abzunehmen, folgt für viele Telefonphobiker der wahrscheinlich schwerste Part – der Einstiegssatz. Daher kann es helfen, sich für private, wie auch für Gespräche im Arbeitsumfeld einen passenden allgemeingültigen Einstiegssatz zu formulieren, der zunächst sichtbar neben dem Telefon platziert wird.
Bitte lächeln
Das Lächeln ist auch beim Telefonieren eine wahre Wunderwaffe; denn durch diesen Prozess schüttet der Körper Glückshormone aus, die in Stresssituationen beruhigend wirken können. Außerdem kann der Gesprächspartner das Lächeln tatsächlich wahrnehmen, was sich positiv auf ihn und den Gesprächsfluss überträgt.
Der Spickzettel
Notizen können helfen, sich an einem gewissen roten Faden entlang zu hangeln; so kann man sich zum Beispiel im Vorfeld wichtige Ziele des Telefonats notieren, um diese in der angespannten und stressigen Situation nicht zu vergessen.
Zeitmanagement
Damit es gar nicht erst so weit kommt, dass wichtige Telefonate aufgeschoben werden und einen die Angst den Rest des Tages begleitet, sollte man sich feste Telefonzeiten einrichten, in denen man alle wichtigen Anrufe in einem Abwasch erledigt. So kann man sich nicht nur besser vorbereiten, sondern sich auch ganz leicht eine Telefon-Routine schaffen.
Klartext reden
Wie bei allen Ängsten ist es auch bei der Telefon-Phobie hilfreich, offen damit umzugehen. Wer mit den Kollegen, Freunden oder Bekannten über seine Angst redet, der durchläuft nicht nur eine Art von Selbsttherapie, sondern kann sich vielleicht auch noch den einen oder anderen Tipp abholen. Und vielleicht ist man sogar überrascht darüber, dass man mit dieser Angst gar nicht so alleine ist, wie man zunächst dachte.
Übung macht den Meister
Es klingt so banal, aber das beste Mittel gegen die Telefon-Angst ist das Telefonieren, denn je öfter man es tut, desto sicherer und ruhiger wird man. Dabei kann es auch schon helfen, wenn man öfter mit Bekannten oder Freunden telefoniert, denn auch das schult das konzentrierte Zuhören und die Ausdrucksweise.
Prof. Dr. Borwin Bandelow
Psychiater und Experte für Angststörungen an der Universität Göttingen