Agi­les Arbei­ten wird heu­te gern effek­ti­ves Mit­tel zum unter­neh­me­ri­schen Erfolg dar­ge­stellt. Was locker und leicht klingt, nützt jedoch nur in spe­zi­fi­schen Situa­tio­nen und erfor­dert ein über­ra­schend hohes Maß an Orga­ni­sa­ti­on und Struk­tur

Text: Ulrich Drees | Foto: iStock

Das Bera­tungs­haus Lur­se befrag­te in sei­ner Stu­die „Agi­le For­men der Arbeits­or­ga­ni­sa­tio­nen und ihre Aus­wir­kun­gen auf klas­si­sche Per­so­nal­in­stru­men­te“ Ver­tre­ter von 20 Unter­neh­men aus elf Bran­chen mit min­des­tens 100 Mit­ar­bei­tern, in denen „agil“ gear­bei­tet wird. Im Ergeb­nis erklär­te Maxi­mi­li­an Rahn, Con­sul­tant bei dem Bera­tungs­haus in der Wirt­schafts­Wo­che: „Fälsch­li­cher­wei­se wird Agi­li­tät oft als All­heil­mit­tel der Unter­neh­men ver­stan­den. Jedoch zeigt sich, dass ein höhe­rer Grad an Agi­li­tät nur in kom­ple­xen Situa­tio­nen mit unsi­che­ren Ursa­chen-Wir­kungs-Zusam­men­hän­gen rea­li­sier­bar ist.“
Trotz­dem set­zen gegen­wär­tig zahl­rei­che Unter­neh­men aus ganz unter­schied­li­chen Bran­chen auf das Agi­le Arbei­ten, um schnel­le, krea­ti­ve Lösun­gen für die aktu­ell über­all zuneh­men­de Kom­ple­xi­tät und Dyna­mik wirt­schaft­li­cher Pro­zes­se zu fin­den. Das gilt für Soft­ware­ent­wick­ler eben­so wie für Indus­trie­un­ter­neh­men, deren Pro­duk­ti­on zwar viel­leicht nicht von agi­len Ansät­zen pro­fi­tiert, die die­se aber für ihre Ent­wick­lungs­ab­tei­lung zu schät­zen wis­sen.
Was ist also das Beson­de­re am Ansatz des „Agi­len Arbei­tens“? Eine gern genutz­te Ant­wort lau­tet: „Stop start­ing, start finis­hing“. Der Coach und Spe­zia­list für Agi­les Arbei­ten Robert Kal­weit ergänzt dies noch um einen Satz, den er vom CEO sei­nes ers­ten Arbeit­ge­bers, Game Duell, mit­nahm: „Per­fect is the ene­my of pro­gress” (Per­fek­ti­on steht dem Fort­schritt im Weg). Bei­des läuft dar­auf hin­aus, dass Agi­les Arbei­ten vor allem nutzt, um in über­schau­ba­rer Zeit Ergeb­nis­se zu erzie­len, die gegen­über dem Kun­den und für ein Unter­neh­men ihren Zweck erfül­len.
Was ist dazu nötig? Agi­le Teams befas­sen sich außer­halb gewohn­ter Hier­ar­chien mit klar umris­se­nen Auf­ga­ben. Ein agi­les Manage­ment koor­di­niert die Arbeit die­ser Teams. Eine agi­le Orga­ni­sa­ti­on ist die Sum­me dar­aus. Sie braucht eigen­stän­di­ge Teams, die sich an einem kla­ren gemein­sa­men Unter­neh­mens­leit­bild ori­en­tie­ren.
Wer in sei­nem Unter­neh­men „Agi­les Arbei­ten“ erfolg­reich umset­zen möch­te, muss akzep­tie­ren, dass er sich viel­fach von bestehen­den, tra­di­tio­nel­len Orga­ni­sa­ti­ons- und Pro­jekt­for­men ver­ab­schie­den muss, und dass sei­ne Mit­ar­bei­ter, je nach ihrer beruf­li­chen Sozia­li­sa­ti­on, es nicht zwin­gend begrü­ßen, künf­tig „agil“ arbei­ten zu sol­len.
Damit Agi­les Arbei­ten trotz­dem funk­tio­niert, soll­te des­halb jeder Ein­zel­ne frei­wil­lig in agi­le Pro­zes­se ein­ge­bun­den wer­den. Die aus­füh­ren­den Teams soll­ten klein sein und aut­ark han­deln kön­nen, um ihren Job in über­schau­bar kur­zer Zeit zu Ende brin­gen zu kön­nen. Wo immer es geht, muss dabei so früh wie mög­lich der Kun­de eines Unter­neh­mens ein­be­zo­gen wer­den, sei es durch die Vor­stel­lung eines Pro­to­ty­pen oder durch eine direk­te Ein­bin­dung in die Team­ar­beit.
Ent­schei­dend sind jedoch zwei Rah­men­be­din­gun­gen: Die Team­ar­beit braucht ein soge­nann­tes „Commander’s Intent“. Die­ser Begriff stammt vom US-Mili­tär, wo die in klei­nen Teams ope­rie­ren­den Spe­zi­al­kräf­te unab­hän­gig von höhe­ren Befehls­ebe­nen schnell und fle­xi­bel ope­rie­ren muss­ten, um ihr Ziel zu erfül­len. Alles was sie dafür brauch­ten, war eine Beschrei­bung des­sen, was ihr Ein­satz errei­chen soll­te. Bemer­kens­wert, oder? Eine extrem hier­ar­chi­sche Orga­ni­sa­ti­on setzt für einen Teil ihrer Auf­ga­ben hoch­qua­li­fi­zier­te Mit­ar­bei­ter unter maxi­ma­ler Eigen­ver­ant­wort­lich­keit ein, um ein über­ge­ord­ne­tes Ziel zu errei­chen.
Dar­aus ergibt sich ein wei­te­res Ele­ment agi­len Arbei­tens. Es funk­tio­niert nur, wenn sich jeder Ein­zel­ne die­sem Ziel ver­bun­den fühlt. Nur so kön­nen alle ande­ren davon aus­ge­hen, dass sich ihr Gegen­über gern und frei­wil­lig betei­ligt. Nur so kön­nen sie dar­auf bau­en, dass er sein Bes­tes gibt und Ver­ant­wor­tung für sein Han­deln über­nimmt. Agi­le Teams schei­tern, wenn sie Mit­glie­der „mit­schlei­fen“ müs­sen. Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on und Ziel­ori­en­tie­rung funk­tio­nie­ren nur frei­wil­lig, und nur auf die­ser Basis kann auch die Unter­neh­mens­lei­tung dar­auf ver­trau­en, dass Teams effek­tiv und erfolg­reich an der Erfül­lung der ihnen gestell­ten Auf­ga­ben arbei­ten.
Dem Manage­ment kommt im Rah­men des „Agi­len Arbei­tens“ schließ­lich eine wei­te­re wich­ti­ge Auf­ga­be zu. Der gesam­te Pro­zess muss so orga­ni­siert wer­den, dass erziel­te Ergeb­nis­se kon­ti­nu­ier­lich begut­ach­tet, gege­be­nen­falls ergänzt und in Bezie­hung zu denen ande­rer Teams gesetzt wer­den kön­nen. Kein Team soll­te also mit sei­ner Arbeit den ande­ren vor­aus­ei­len. Des­halb emp­feh­len Exper­ten, die Inter­val­le sol­cher Team­ob­jek­te auf ein bis vier Wochen aus­zu­rich­ten. So wird es auch leich­ter, das eben­so nöti­ge kon­ti­nu­ier­li­che Feed­back zu orga­ni­sie­ren. Intern soll­ten sich alle Mit­glie­der dabei rück­bli­ckend fra­gen, an wel­chen Stel­len es hät­te bes­ser lau­fen kön­nen und wie sich ihre Zusam­men­ar­beit ver­bes­sern lie­ße. Extern geht es dar­um, die gestell­ten Rah­men­be­din­gun­gen für die jewei­li­gen Pro­jek­te lau­fend an äuße­re Ver­än­de­run­gen anzu­pas­sen. Damit das agi­le Arbei­ten hier nicht zur aus­ufern­den Gesprächs­the­ra­pie wird, braucht es vor allem Struk­tur. Es muss klar sein, was und in wel­cher Form auf den Tisch gehört, um die Zusam­men­ar­beit zu ver­bes­sern, und was nicht.
Für all dies ist natür­lich eine funk­tio­nie­ren­de Kom­mu­ni­ka­ti­on unum­gäng­lich. Und um die zu errei­chen, braucht es – man kann es gar nicht oft genug beto­nen – ein gemein­sa­mes, über­ge­ord­ne­tes Unter­neh­mens­ziel, dem sich alle Betei­lig­ten ver­pflich­tet füh­len. Denn nur, wenn jeder Mit­ar­bei­ter weiß, dass es dar­um geht, zum Bei­spiel die „bes­te Hose“ der Welt her­zu­stel­len, wird nie­mand mehr dar­über nach­den­ken, ob man den Preis durch die Ver­wen­dung dün­ne­ren Stoffs für ein Dis­coun­ter-Publi­kum attrak­ti­ver gestal­ten könn­te.
Ob es sinn­voll ist, „Agi­les Arbei­ten“ in einem Unter­neh­men ein­zu­füh­ren, das müs­sen die Ver­ant­wort­li­chen selbst ent­schei­den. Doch durch klei­ne, moti­vier­te Teams kön­nen dort, wo es sinn­voll erscheint, eben viel schnel­ler funk­tio­nie­ren­de Ergeb­nis­se erzielt wer­den, als dies alt­her­ge­brach­te Hier­ar­chien und das Gefühl, dass die eige­ne Arbeit am Ende vor allem dem Chef gefal­len muss, zulas­sen.

Was braucht eine „Agi­le Arbeits­wei­se“?

  • Fla­che Hier­ar­chien und Eigen­ver­ant­wort­lich­keit
  • Kur­ze Inter­val­le
  • Eine effek­ti­ve Zen­tra­le, die Ergeb­nis­se und erwie­se­ne Erfolgs­stra­te­gien teilt und für ande­re nutz­bar macht.
  • Eine kla­re Zuord­nung von Erfolg und Fehl­schlag hilft Pro­zes­se ver­bes­sern, statt Ver­ant­wor­tung fort­zu­schie­ben.
  • Der Kun­de muss stets ein­ge­bun­den blei­ben.
  • Frei­wil­lig­keit und gelun­ge­ne Kom­mu­ni­ka­ti­on
  • Ein gemein­sa­mes, über­ge­ord­ne­tes Ziel

Merk­ma­le der Agi­li­tät

  • Scrum: Arbeits­schrit­te wer­den in kur­ze Pha­sen unter­teilt. Ein „Scrum Mas­ter“ sorgt für die Orga­ni­sa­ti­on, ein „Pro­duct Owner“ behält die Wün­sche des Auf­trag­ge­bers im Blick.
  • Design Thin­king: Men­schen ver­schie­de­ner Dis­zi­pli­nen erzie­len gemein­sam inno­va­ti­ve­re Ergeb­nis­se, wenn sie sich über Design Thin­king orga­ni­sie­ren.
  • Holok­ra­tie: „Agi­le Teams“ wer­den hier als „Holons“ ver­stan­den, die sich mit ande­ren Holons zur Holok­ra­tie zusam­men­schlie­ßen. Man arbei­tet nicht hier­ar­chisch son­dern ent­lang einer „Ver­fas­sung“ in „Zir­keln“, klärt „Span­nun­gen“ und bespricht Fort­schrit­te in „tak­ti­schen Sit­zun­gen“.