Trotz vieler digitaler Notlösungen und erfreulicher Entwicklungen im Einzelhandel steht das kulturelle Leben in Göttingen gerade still. Deshalb wollen wir in einer Reihe von Beiträgen Menschen aus der Göttinger Kulturszene Gelegenheit geben, uns zu schreiben, was sie eigentlich gerade tun.

Text: Ulrich Drees | Fotos: Deutsches Theater, privat

Gaby Dey
Die gebürtige Hamburgerin ist seit der Spielzeit 1995/96 am Deutschen Theater Göttingen engagiert.

„Erst wollte ich eine genaue Anleitung für das gigantische Kunstprojekt, an dem ich gerade arbeite, niederschreiben. Es besteht aus unendlich vielen Klopapierrollen und Nudeln, die mit Hilfe von Hefe zusammengehalten werden.
Hab mich dann doch für die kunstlose Wahrheit entschieden: Täglich geh ich zwei bis drei Stunden in den Wald. Da lauf ich über Baumstämme, jogge, rieche das Gras und wilde Kirschblüten, höre den Vögeln zu und betrachte Schmetterlinge. Letzte Woche brachen zwei Brachen durchs Dickicht. Schwarzwild hatte ich vorher noch nie frei im Stadtwald gesehen.
Ich treffe nette Menschen im Wald. Auf Abstand ein kurzes Gespräch. Ich bin dort morgens allein oder nachmittags mit der immer gleichen Freundin und Abstand.
Dann nähe ich Gesichtsmasken. Zum Verschenken. Das ist zwar etwas öde; aber das ist Textlernen auch und am Ende ist man froh, dass man ihn hat.
Ich lese viele Bücher, auch welche, die mich erst nicht interessieren, dann positiv überraschen und merken lassen, wie gern ich in andere Welten eintauche. Außerdem kümmere ich mich um meinem Balkon. Dort blüht ein kleiner Löwenzahn und es wachsen Kräuter für den Mittagssalat und Rosen. Abends, wenn mein Mann fertig ist mit der Arbeit – Unterricht via Skype etc. – sitze ich mit ihm in der Küche. Dann tauschen wir uns über das aus, was uns wichtig ist. Das heißt, wir reden zum Beispiel über die massiven finanziellen Probleme der Solo-Selbstständigen, zu denen auch er gehört. Wir hoffen, dass diese Krise bitte doch zu Solidarität und einer Stärkung der EU führen wird. Wir denken an unsere Freunde in Frankreich und Italien, und fragen uns, wie es mit den Theatern weitergehen kann und ob es neue Formen geben könnte, Stücke zu erzählen.
Manchmal sitze ich hier am PC, so wie jetzt, und schreibe Texte. Für die Zeit danach …
Ab und zu telefoniere ich mit meinem Sohn. Letzten Sonntag hab ich ihn gesehen. Er durfte sich aus dem Treppenhaus sein Lieblingsessen und ein Ostergeschenk abholen, weil wir ja Ostern nicht zusammen sein können. Auf Abstand.“

Gaby Dey

Tine Tiedemann
Die engagierte musa-Geschäftsführerin treibt seit vielen Jahren die Geschicke von Südniedersachsens größtem soziokulturellem Zentrum voran.

„Was ich tue? Ich verwalte die Stille, die sich zunehmend ausbreitet. Geschuldet der Resignation unzähliger Kulturmenschen, Künstlerinnen und Künstler, Selbständigen, Kreativwirtschaftlerinnen und Kreativwirtschaftlern, Plakatierfirmen, Veranstaltungstechnikerinnen und Veranstaltungstechnikern sowie vielen mehr, die sich gerade nicht unter einem Kulturrettungsschirm befinden. Einfach, weil es den nicht gibt.
Das Team der musa versucht, Lebenszeichen zu setzen, indem wir jeden Dienstag und Freitag in Absprache mit dem Nörgelbuff und dem Dots streamen, unsere Reihe „Stubenhocker“ findet an den Dienstagen statt, und die DJs unserer Partys legen an den Freitagen auf. Getanzt werden muss zu Hause. Alle Einnahmen gehen an die Auftretenden, wir sammeln damit quasi die Gage – ein Tropfen auf dem heißen Stein. Und wir versuchen denen, die uns allen seit Jahren die Nächte versüßen, ein Gesicht zu geben, damit sie gehört werden. Das Streamen ermöglicht außerdem unseren Azubis, dass sie weiter ausgebildet werden, um eine Zukunft zu haben.
Wir, die musa fürchten nicht um unser Haus, aber um unsere Füllung. Um zu überleben, sind alle Angestellten der musa seit dem Shot- und Lock-Down am Freitag vor ein paar Wochen in Kurzarbeit, im Home-Office, im Home-Schooling und im Home-Überforderungsmodus. 
Es gibt unfassbar viel zu tun. Ich telefoniere viele Stunden am Tag mit vielen Menschen, „betreue“ und halte sie über die politischen Entwicklungen, sofern es im Bereich „Kultur“ überhaupt welche gibt, auf dem Laufenden. Manchmal höre ich aber auch einfach nur zu, der Wut, der Traurigkeit, der Fassungslosigkeit der Einzelnen. Nicht selten fließen Tränen.
Gleichzeitig halte ich den Kontakt in die Politik, zur Verwaltung, zu den Parteien, zu den Verbänden ins Land und in den Bund, um meinen Teil dazu beizutragen, auf die Systemrelevanz von Kultur hinzuweisen. Denn aus meiner Sicht geht es jetzt ganz konkret darum, die drohende Kulturarmut zu verhindern.
Und natürlich stelle ich mir – wie alle anderen auch – immer wieder die Frage: Was kommt …?“

Tine Tiedemann

Christiane Eiben
Unter anderem durch SEVEN UP bekannt, arbeitet die selbstständige Musikerin und Sängerin seit vielen Jahren beispielsweise als Background-Stimme für Helene Fischer, Peter Kraus und Roland Kaiser, und verdiente ihr Geld durch Live-Auftritte.

„Als der Shutdown kam, war ich gerade bei den Proben für eine große Tournee mit Roland Kaiser, die im März und April gelaufen wäre. Eigentlich eingestellt auf einige Wochen „on the road“ trennte sich die riesige Crew und zerstreute sich wieder in alle Himmelsrichtungen gen Heimat. Die Band mit ihren 12 Musikern, Licht- und Tontechniker, Backliner, die Verantwortlichen der Konzertagentur, das Video- Team, der Regisseur, die Maskenbildnerin und viele andere – alles in allem ca. 50 Menschen mussten wie ich Koffer packen und nach Hause fahren, ungewiss was nun kommen würde. Meiner Tournee-Crew, aber natürlich auch allen anderen Kollegen, die wie ich ihre Einnahmen fast ausschließlich aus Konzerten und andere Veranstaltungen generieren, sind von der Corona-Krise zu 100 % betroffen und das wird voraussichtlich noch sehr lange so bleiben.
Abgesagte Großveranstaltungen treffen nicht nur die „Großen“, nicht nur gut bezahlte Fußballprofis und bekannte Künstler, sondern eben auch und vor allem die viel größere Zahl der Helfer und Mitarbeiter. Die meisten davon sind Solo-Selbständige. Wir sind es gewöhnt, auch mal Zeiten auszuhalten, in denen wir nicht ganz so viel zu tun haben, aber so sehr ins Ungewisse haben wir aber noch nie geblickt.
Trotzdem gab es Hoffnung; Soforthilfen sollte es geben, unkompliziert und unbürokratisch. Man habe uns „Kleine“ nicht vergessen. In den Nachrichten und in Talkshows wurde das immer wieder erwähnt. Leider kam es ganz anders, denn viele Solo-Selbstständige der Kreativwirtschaft zu denen auch wir freien Künstler gehören, fallen aus der Förderung heraus. Soforthilfen können wir nur beantragen wenn wir Betriebskosten haben. Das haben wir aber in den meisten Fällen nicht. Wir sind eben keine „normalen“ Betriebe – die Betriebe sind wir selbst. Wenn wir aber kein Geld für unseren Lebensunterhalt beantragen können, bleibt uns nur die Grundsicherung, als Hartz IV. Hinzu kommt, dass vieles von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich geregelt ist, so dass am Ende mein Wohnort darüber entscheidet, ob ich meinem überregionalem Beruf weiter nachgehen kann oder nicht. Im Moment engagiere ich mich deshalb dafür, auf allen Ebenen Politik und Öffentlichkeit für dieses Problem zu sensibilisieren.
Daneben nutze ich die aktuelle Situation, um mich für die Zeit nach der Krise wieder gut aufstellen zu können; ich bastele an meiner Webseite, an meinem YouTube-Kanal, nehme Songs auf und lerne Videos zu bearbeiten. Den vielen online-Konzerten, die jetzt so viele Musiker ins Netz stellen stehe ich aber kritisch gegenüber. Von außen entsteht der Eindruck, als sei bei uns Musikern ja alles in Ordnung, „die machen ihr Ding jetzt einfach online weiter…“ Dass wir davon aber nicht existieren können, kann man dabei leicht übersehen. Kunst braucht Wertschätzung, im wahrsten Sinne des Wortes, daher sollte nicht zu viel davon inflationär und vor allem gratis zur Verfügung gestellt werden.“

Christiane Eiben