In seinem „Unterwegs“-Interview sprach Charakter-Chefredakteur Ulrich Drees mit Prof. Dr. Wolfgang Viöl. Seine Plasmatechnologie half nicht nur vielen Patienten mit Hautkrankheiten oder Amputationen, dank ihm verfügt Göttingen u. a. auch über ein Fraunhofer Anwendungszentrum.
Text & Fotos: Ulrich Drees
Herr Viöl, es ist das erste Mal, dass einer meiner „Unterwegs“-Gesprächspartner seinen Wagen von der Steckdose trennt, bevor wir losfahren. Fahren Sie schon lange elektrisch?
Diesen Wagen, es ist ein Hybrid, fahre ich jetzt schon über zwei Jahre.
Sind Sie zufrieden?
Nach anfänglichen Schwierigkeiten bin ich jetzt ganz zufrieden, weil ich mich damit arrangiert habe, wirklich überall aufzuladen, wo es möglich ist. Die Ladesäulen-Infrastruktur ist wirklich sehr bescheiden. Deshalb fahre ich über längere Strecken noch normal, aber zu ungefähr siebzig Prozent bin ich inzwischen rein elektrisch unterwegs.
Wann haben Sie sich für die Physik als Fachgebiet entschieden?
Anfänglich wollte ich Tierarzt werden, weil mein Großvater Landwirt war. Ich musste dann lernen, dass mein Kontakt zu Tieren doch eher auf die Ferien begrenzt blieb. In der Schulzeit entwickelte sich dann meine Begeisterung für die Physik. Da mich die Medizin immer noch nicht losgelassen hatte, habe ich sogar eine Weile darüber nachgedacht, gleichzeitig Medizin und Physik zu studieren. Am Ende wollte ich dann jedoch lieber eine Sache richtig machen und habe mich für die Physik entschieden. Richtig losgelassen hat mich die Medizin jedoch nie; ich habe medizintechnische Geräte entwickelt und Ausgründungen im Gesundheitswesen umgesetzt. Noch heute bin ich über den Gesundheitscampus Göttingen mit der Medizin verbunden.
Um aus Ihrer anwendungsorientierten Forschung konkrete Produkt erwachsen zu lassen, ist sicher noch viel mehr nötig. So gehören zu Ihrer Arbeit vermutlich auch erfolgreiches Netzwerken und das Einwerben von Finanzierungen. Sind diese Aktivitäten für Sie eher notwendiges Übel oder ein integrierter Bestandteil ihrer Forschungsarbeit?
Wenn ich mir das Ziel setze, eine Anwendung Realität werden zu lassen, um ein bestimmtes Problem zu lösen, dann muss ich mich natürlich fragen, wie ich dahin komme. Und dann muss ich eben auch manchmal unangenehme Sachen machen. Sachen, die ich vielleicht nicht einmal besonders gut kann. Aber auf dem Weg zum Ziel erlernt man die eben irgendwann, und dann macht es vielleicht auch irgendwann einfach Spaß, zu erleben, dass man ein wichtiges Anliegen erfolgreich voranbringen kann und dabei auch noch Verbündete findet. Am Ende wird dann gerade im medizinischen Bereich etwas Realität, mit dem man Menschen helfen kann, die wirklich leiden. Im Zusammenhang mit meiner Arbeit im Bereich der Plasmatechnologie zeigen mir Menschen manchmal furchtbare Fotos von Wunden und fragen: „Kann ihre Technologie da helfen?“ Vielfach konnte ich dann tatsächlich etwas vermitteln, wodurch Fuß- oder Beinamputationen verhindert wurden. So etwas ist einfach sehr motivierend.
Gab es in Ihrem Leben Momente, von denen Sie sagen würden, dass sie für Ihr ganzes Leben wichtig waren?
Das waren ganz verschiedene Ereignisse. Beispielsweise fragte mich mein ältester Sohn – ich bin seit vielen Jahren glücklich verheiratet und habe vier Kinder – einmal: „Papa, wenn du es schaffst, dass mit deiner Plasmatechnik Lack auf Holz besser hält, warum funktioniert das nicht bei Mamas Nagellack? Der blättert doch immer ab.“ Das war einer dieser Momente. Denn daraus erwuchs für mich der entscheidende Anstoß, das einfach mal auszuprobieren. Wir haben dann im Rahmen von „Jugend forscht“ zusammen ein paar Versuche gemacht, den Lack auf dem Nagel zu halten. Als wir an einem Punkt waren, wo dieses Format nicht mehr ausreichte, habe ich das Projekt mit in die Fachhochschule genommen, und bis heute ist daraus erst einmal eine Patentanmeldung für ein Nagellack-Vorbereitungsgerät geworden. Aber als es uns gelang, die Plasmatechnologie so einzusetzen, dass die Hochspannung, die wir dabei nutzen, keine Schmerzen mehr verursachte, sondern überhaupt nicht mehr spürbar war, hat das eben auch den Weg für medizinische Anwendungen freigemacht. Geschichten wie diese, bei denen aus einer kleinen Idee etwas Großes entsteht, erlebe ich immer wieder.
Gibt es heute einen Wandel in der Einstellung der Allgemeinheit gegenüber der Wissenschaft?
Es ist schön, dass die Wissenschaft ihre Ergebnisse und ihre Arbeit mehr in die Bevölkerung hineinträgt. Das ist letztlich auch politisch gewünscht, denn für die Wissenschaft werden ja auch Steuergelder aufgewendet. Wir versuchen also, unsere Arbeit nicht nur in wissenschaftlichen Magazinen zu publizieren, sondern über Zeitungen und Fernsehen auch Nicht-Wissenschaftler zu erreichen. Daraus resultiert jedoch eine Veränderung in der öffentlichen Wahrnehmung. Nehmen wir beispielsweise meinen Großvater, der ja Landwirt war. Dem wurde zuerst Kunstdünger als die Patentlösung für alles nahegelegt, dann wurde ihm gesagt: „Du darfst nicht so viel düngen, weil das nicht gut ist.“ Der hat die Welt nicht mehr verstanden und wollte das in fortgeschrittenem Alter auch gar nicht mehr. Daran merkt man, dass die Allgemeinheit neue technische Entwicklungen heute kritischer sieht, und das ist auch gut so. Gleichzeitig werden dadurch bestimmte Diskussionen auch sehr emotional ausgetragen, obwohl man auf wissenschaftlicher Basis ganz einfach abwägen kann, welche Vor- und Nachteile es gibt. Beispielsweise haben Wissenschaftler Kernkraftwerke entwickelt, die so sicher sind, dass Katastrophen wie die in Tschernobyl oder Japan gar nicht hätten passieren können. Diese Forschung wurde nicht weiter gefördert, da Politiker Angst hatten, der Bevölkerung würde durch diese Forschung bewusst, wie unsicher die bisher eingesetzten Kernkraftreaktoren sind. An solchen Fällen zeigt sich, dass man schon schauen muss, in welchem Verhältnis Politik und Wissenschaft stehen und welche Steuerungsmechanismen hier wichtig sind. Ich selbst habe vor längerer Zeit VW eine Methode vorgestellt, um Dieselabgase zu reinigen und sauber zu machen, denn mittels eines Plasmafilters wäre es möglich, 90 % der Stickoxide zu reduzieren. Damals hieß es, das sei zu kompliziert, und dass es andere Lösungen gäbe. Nach weiteren Versuchen habe ich nach der Dieselgate-Affäre weitere Vorstöße in der niedersächsischen Politik unternommen, die aber nicht auf Resonanz gestoßen sind. Ich finde es schade, dass die Wissenschaft und die Politik gegenüber Problemen nicht neutral nach neuen Wegen suchen, sondern äußeren Einflüssen unterliegen.
Ärgern Sie sich da über vertane Chancen?
Da muss ich einfach sagen, dass ich meine Schuldigkeit getan habe. Ich habe erklärt, wie das funktionieren könnte und Leute angesprochen. Wenn diese das nicht wollen, kann ich irgendwann auch nichts mehr dagegen tun.
Als Sie sich in den 80er- und 90er-Jahren mit Laser- und dann Plasmatechnologie beschäftigten, war das manchmal schwer zu verdeutlichen, welches Potenzial in diesen Bereichen steckte?
Es gab viele Situationen, in denen die Leute wirklich nicht verstanden haben, was ich eigentlich mache. Bei der Plasmamedizin war es so, dass ich keine Fördermittel bekommen konnte, weil es mir nicht gelang, meinen Gutachtern deren Chancen so zu erklären, dass sie verstanden, worum es ging. Die haben mir nicht geglaubt und dachten, ich sei ein Quacksalber oder Ähnliches. Erst als die Amerikaner und die Niederländer ebenfalls begannen, auf diesem Gebiet zu forschen, wurde es für mich auch hier in Deutschland einfacher.
In Ihrer Funktion als Vizepräsident für Forschung und Transfer der HAWK sind Sie viel unterwegs. Ist das für Sie verlorene Zeit, von A nach B zu gelangen?
Ich lege mir bewusst viele Telefontermine in meine Autofahrten, sodass ich die einzelnen Telefonate schon zwischen die Funklöcher auf der Autobahn organisiere. Meine Autofahrten sind außerdem wertvolle Zeit zum Nachdenken. Ich brauche auch Zeiten, in denen ich nicht richtig hart arbeite, sondern meine Gedanken fliegen lassen kann. Das gelingt mir beim Autofahren und beim Laufen. Ich jogge regelmäßig mit meinem Hund und kann dabei so gut abschalten, dass sich immer wieder wie von selbst gute Ideen einstellen.
Was haben Sie denn für einen Hund?
Man könnte ihn als reinrassige Promenadenmischung beschreiben, denn als der Besitzer eines Eurasiers bei einem Spaziergang eine Unterhaltung mit dem Besitzer eines Collis hatte, haben sich die beiden so gut verstanden, dass auch die Hunde ihren Spaß hatten, woraus dann wiederum mein Hund entstand. Da wir schon zuvor einen Mischling hatten, wollte ich unbedingt wieder einen. Ich finde, die sind immer sehr liebevoll.
Sie experimentieren mit Plasma- und Lasertechnologie. Geht da auch einmal etwas schief, und ist das dann gefährlich?
Dass es zu einem Kurzschluss kommt oder etwas mal in Rauch aufgeht, das kann durchaus passieren. Aber wenn man vorsichtig ist und ungefähr abschätzen kann, welche Risiken bestehen, ist man eigentlich auf der sicheren Seite. Manchmal kommt es aber auch zu eher komischen Zufällen. So habe ich während meines Studiums erlebt, dass sich eine Fliege zwischen die beiden Hochspannungspole eines Plasmagerätes setzte und es auf diese Weise zu einem Kurzschluss kam. Weil das Gerät aber nur zwei kleine Lüftungslöcher hatte, fiel das gar nicht auf, und mein damaliger Chef vermutete einen Konstruktionsfehler meinerseits. Gott sei Dank war jedoch noch etwas von der Fliege übrig, sodass ich ihm den tatsächlich „Schuldigen“ präsentieren konnte.
Wie erklären Sie einem Laien die Plasmatechnologie?
Mit einem Vergleich. Es gibt eine natürliche Form des Plasmas, nämlich einen Gewitterblitz, den jeder schon einmal erlebt hat. Natürlich ist die Energie solch eines Blitzes ziemlich heftig und ziemlich heiß. Dass wir für unsere Technologie extrem kleine Gewitterblitze erzeugen, das kann man sich als Laie meist noch vorstellen. Diesen Blitz jedoch so „kalt“ zu bekommen, dass er für den Menschen nicht gefährlich ist – das zu erklären, ist sehr viel schwieriger. Deshalb haben wir mit unseren Designern eigens kleine Erklär-Filme gedreht, durch die Schüler ebenso wie Industriepartner verstehen, welche gänzlich neuen Möglichkeiten sich dadurch ergeben.
Findet die Plasmatechnologie auch über die Medizintechnik hinaus Anwendung?
Das sind sogar sehr viele. Sobald wir in die Zusammenarbeit mit anderen Gebieten einsteigen, ergeben sich immer wieder neue Möglichkeiten. Beispielsweise detektieren wir in einem laufenden Projekt gerade mit Terahertzstrahlung, wie man sie vielleicht von den sogenannten Nacktscannern auf Flughäfen kennt, Hohlräume bei Bausanierungen. Nimmt man zum Beispiel den wunderschön bemalten Wandputz einer Kirche, dann besteht dort immer wieder die Gefahr, dass der sich irgendwann ablöst und einfach herunterfällt. Mit unserer Strahlung kann man nun vorhandene Hohlräume unter dem Putz finden, ohne überall reinbohren zu müssen. Hat man einen Hohlraum entdeckt, bohrt man nur ein ganz kleines Loch, durch das man dann Plasma in den Hohlraum hineinleitet. Der wird dadurch so vorbereitet, dass man anschließend mit einer ganz feinen Spritze Mörtel hineingeben kann, der sich so mit dem Putz verbindet, dass diese Stelle für viele Jahre gerettet ist. Wir probieren das aktuell in einer Kirche aus.
Gibt es in der Plasma-Physik eine wissenschaftliche Hürde, deren Überwindung zu einer Art Quantensprung in den Anwendungsmöglichkeiten führen würde?
Das wäre im Bereich der Fusionsforschung der Fall. Alternativ zu den Kernspaltungsreaktoren, die aktuell überall abgeschaltet werden, ließe sich in einem Fusionsreaktor schwerer Wasserstoff miteinander verschmelzen, um ebenfalls sehr viel Energie zu erzeugen, wobei als Endprodukt nur das Edelgas Helium übrig bleiben würde. In diesem Bereich haben Wissenschaftler schon vor 50 Jahren gesagt, in 30 Jahren haben wir das gelöst. Gelöst wurde es nicht, wobei wir heute, glaube ich, schon wesentlich näher an einem Ergebnis sind. Diese Fusionsforschung ist sehr kompliziert. Aber sie könnte das eine oder andere Energieproblem der Zukunft lösen.
Beruflich beschäftigen Sie sich mit sehr komplexen Themen, womit verbringen Sie Ihre Freizeit?
Meine Arbeit lässt mir nicht sehr viel freie Zeit, und die verbringe ich zunächst einmal mit meiner Familie. Das ist schön, denn bei meinen vier Kindern – die zwischen 22 und 30 Jahre alt sind – ist eigentlich immer etwas los. Mit meiner Frau teile ich die Freude am Laufen, und dann ist da natürlich mein Hund. Darüber hinaus bin ich auch gern als Hobbyhandwerker aktiv. Ich bastle hier und da etwas, auch mechanische Sachen. Ich freue mich immer, wenn ich etwas fertiggestellt habe, schon weil man dabei viel schneller ein Erfolgserlebnis hat als in der Forschung.
Haben Sie dann einen klassischen Hobbykeller?
Mittlerweile ja. Bei vier Kindern war das Haus natürlich voll. Zwei hatten ihre Zimmer im Keller, und eines davon habe ich jetzt zu einer kleinen Werkstatt umgebaut, aus der sich der eine oder andere auch schon mal Werkzeug ausleiht.
Sind Sie streng, wenn es darum geht, Ihr Werkzeug zu verleihen?
Ich möchte schon, dass es an den gleichen Platz zurückkommt. Aber wenn ich trotzdem mal suchen muss, ist das auch kein Beinbruch. Meist sorge ich selbst für die Ordnung. Das passt schon.
Prof. apl. Prof. Dr. Wolfgang Viöl
Der Vizepräsident für Forschung und Transfer, Leiter des Forschungsschwerpunktes Laser- und Plasmatechnologie der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Holzminden/ Göttingen (HAWK) wurde 1959 in Düsseldorf geboren. Dort habilitierte er 1994 im Fach Experimentalphysik, bevor er im selben Jahr an den Fachbereich Physik, Mess- und Feinwerktechnik der HAWK nach Göttingen wechselte. 2011 erhielt er den Status eines außerplanmäßigen Professors an der Technischen Universität Clausthal. Neben seiner lehrenden Tätigkeit baute er ein Netzwerk aus Industriepartnern und forschenden Instituten auf, das 2002 in seine Tätigkeit als Institutsleiter des Instituts für Mechatronik und angewandte Photonik von N-transfer GmbH mündete. Von 2008-2010 war er als Institutsdirektor des Laser-Laboratoriums Göttingen tätig. Seit 2011 ist er Vizepräsident für Forschung und Transfer der HAWK und war 2011-2013 Vorsitzender des Measurement Valley e. V. 2012 holten er und sein Team das Anwendungszentrum für Plasma und Photonik des Fraunhofer Instituts IST an den Göttinger HAWK-Standort, dessen Leitung er ebenfalls übernahm.
Plasmatechnologie in der Medizin
Die Anwendung physikalischer Plasmen für therapeutische Zwecke ist ein interdisziplinäres Wissenschaftsgebiet, zu dem Physiker, Mediziner und Biologen beitragen. Mit Hilfe von Plasmen können Medizinprodukte ebenso wie Körperoberflächen und lebendes Gewebe desinfiziert oder sterilisiert werden. Ebenso können Wundheilung, Blutgerinnung und Geweberegeneration beeinflusst und Hautkrankheiten sowie entzündliche Erkrankungen behandelt werden. Auch die Nutzung bei chirurgischen Eingriffen und die Oberflächenmodifikation von medizinischen Implantaten, um deren Einwachsen zu verbessern, werden erforscht.