Flo­ri­an Eppin­g­er – Foto: Tho­mas M. Jauk

Mehr Thea­ter geht der­zeit nicht: Iten­siv, inno­va­tiv und garan­tiert anste­ckungs­si­cher insze­niert Ant­je Thoms „Die Metho­de“ nach dem „Cor­pus Delicti“-Stück von Juli Zeh in der Tief­ga­ra­ge des Deut­schen Thea­ters.

Text: Jan Tho­mas Ockes­hau­sen

Bis zur Unkennt­lich­keit ver­mummt ist das Sicher­heits­per­so­nal, wel­ches jedes ein­zel­ne Fahr­zeug arg­wöh­nisch in Augen­schein nimmt, bevor Ein­lass gewährt wird in den Ort des Gesche­hens. Nach einer ein­dring­li­chen Ermah­nung des in einem Kir­mes­kas­sen­häus­chen sit­zen­den block­wart­ähn­li­chen Cer­be­rus – selbst­be­wusst und mit deut­lich ost­deut­schem Akzent kei­nen Zwei­fel dar­an las­send, dass hier nur ein Gesetz gilt und Über­tre­tun­gen nicht gedul­det wer­den – kann dann schließ­lich das Spek­ta­kel begin­nen.
Über vier Sta­tio­nen, jede exakt 15 Minu­ten dau­ernd, erhält der Zuschau­er Ein­blick in ein beängs­ti­gen­des Zukunfts­sze­na­rio. Men­schen­wür­de, Indi­vi­dua­li­tät und per­sön­li­che Frei­heit gel­ten hier nichts, alles ist einem uner­bitt­li­chen Dik­tat einer jeg­li­ches Risi­ko ver­mei­den­den Gesund­heits­dok­trin unter­wor­fen. Blut­druck­ta­ge­buch, täg­li­che Urinkon­trol­len, ja sogar bei der Part­ner­wahl bleibt nichts dem Zufall über­las­sen. Die Krank­heit eines Ein­zel­nen wird als Krank­heit des Volks­kör­pers ange­se­hen und muss um jeden Preis ver­mie­den wer­den. Wer sich nicht bedin­gungs­los unter­wirft, han­delt irra­tio­nal, gilt als Stör­fak­tor, wird rigo­ros aus­ge­grenzt und abge­straft.
In der Per­son des Moritz Holl erlebt der Betrach­ter haut­nah, wie gna­den­los ein sol­ches Sys­tem sein kann. Zunächst noch Ziga­ret­te rau­chend außer­halb der Schutz­zo­ne den Auf­stand pro­bend, wird Holl unauf­halt­sam durch­ge­reicht.
Der Büro­ap­pa­rat­schick in sei­ner Harz­gon­del, der noch ver­sucht, erzie­he­risch auf Holl ein­zu­wir­ken, der Anwalt, der den Gerichts­pro­zess und die Abur­tei­lung zur Höchst­stra­fe – Ein­frie­ren auf unbe­stimm­te Zeit – doku­men­tiert und schließ­lich die Schwes­ter mit einem depri­mie­rend hoff­nungs­lo­sen Nach­ruf.
An den vier Sta­tio­nen inner­halb der Tief­ga­ra­ge kommt alter­nie­rend das gan­ze Ensem­ble zum Ein­satz, sodass die ver­schie­de­nen Rol­len immer wie­der anders inter­pre­tiert und mit Leben gefüllt wer­den. Und dies ist nur einer von vie­len genia­len Regie­ein­fäl­len, die die­ses Thea­ter in der eigent­lich thea­ter­frei­en Zeit kenn­zeich­nen. Die klaus­tro­pho­bi­sche Enge der Tief­ga­ra­ge, die die bedrü­cken­de Aus­weg­lo­sig­keit die­ser Zukunfts­vi­si­on wider­spie­gelt und gleich­zei­tig der haut­na­he Kon­takt zum ein­zel­nen Schau­spie­ler, der nur durch eine Auto­schei­be getrennt direkt auf den Zuschau­er ein­wirkt, garan­tie­ren ein Büh­nen­er­leb­nis, das unter die (Gänse-)Haut geht.
Nach der lan­gen Durst­stre­cke, die das Göt­tin­ger Publi­kum ohne einen Besuch im Haus am Wall ertra­gen muss­te, ist es kein Wun­der, dass die­se spek­ta­ku­lä­re Vor­stel­lung inner­halb kür­zes­ter Zeit aus­ver­kauft war. Aller­dings erfährt das Stück auch eine Ver­län­ge­rung – ist ver­pas­sen soll­te man es auf gar kei­nen Fall.