Prof. Dr. med. Bernd Wollnik, Dr. rer. nat. Lukas Cyganek

Hochdurchsatzsequenzierung, induzierte pluripotente Stammzellen und Genomeditierung sind zukunftsweisende Entwicklungen, mit denen die moderne Humangenetik die Tür zur künftigen Therapie von erblichen Erkrankungen öffnet.

Text: Karin Boß | Fotos: UMG, Sylvia Stein

„Die Technologie der Hochdurchsatzsequenzierung hat uns in der Humangenetik Werkzeuge an die Hand gegeben, mit denen wir bisher verschlossene Türen der Biomedizin öffnen können“, beschreibt Prof. Dr. med. Bernd Wollnik, Direktor des Instituts für Humangenetik der Universitätsmedizin Göttingen, welche zentrale Rolle seine Fachdisziplin heute in der Medizin und Biomedizin spielt, und fasst zusammen, wie rasant sie sich seit der Entschlüsselung des humanen Genoms im Jahr 2000 gewandelt hat: „In der Forschung wurden damit mittlerweile für viele der etwa 8000 seltenen, genetisch bedingten Erkrankungen die ursächlichen Gendefekte identifiziert und so die Voraussetzung dafür geschaffen, dass wir den Patient*innen nun passende diagnostische Gentests anbieten können. Durch die Entschlüsselung des genetischen Hintergrunds verstehen wir heute besser, wie Krankheiten entstehen und welche molekularen Mechanismen beteiligt sind. Nun kommt mit der Genomeditierung – der „Genschere“ – ein Werkzeug hinzu, das uns auch den Weg zu ganz neuen, personalisierten Therapieansätzen ebnet. Wir forschen sehr intensiv und mit viel Enthusiasmus daran und der nächste Schritt, die Umsetzung der Genschere in die klinische Praxis, wird folgen. Die Zukunft dieser genombasierten Medizin hat bereits begonnen.“
Das Institut für Humangenetik der UMG zählt heute zu den weltweit führenden Einrichtungen in der Durchführung und Entwicklung genomischer Analyseverfahren für die Diagnostik und Erforschung erblicher Erkrankungen. Neben moderner Sequenzierungstechnologie bedarf es dabei des Zusammenspiels aus klinischer, humangenetischer und molekularbiologischer Expertise, gepaart mit bioinformatischer Power, um aus Zehntausenden Varianten in den Genomdaten von Patient*innen die eine ursächliche Genveränderung herauszufinden. Über welche funktionellen Mechanismen und molekularen Netzwerke eine solche Mutation zu einer Erkrankung führt, müssen die Ärzt*innen und Wissenschaftler*innen dann in Laborexperimenten entschlüsseln. Neue Techniken ermöglichen es, Erkrankungen in spezifischen Zellsystemen zu untersuchen und gleichzeitig an möglichen neuen Behandlungsansätzen zu forschen.
Dr. rer. nat. Lukas Cyganek ist Leiter der StemCell Unit an der Universitätsmedizin Göttingen. Mit seinem hoch motivierten Team generiert er aus Patientenzellen induzierte pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen). Solche iPS-Zellen lassen sich durch Zugabe bestimmter Substanzen aus Körperzellen, z.B. Blut-, Haut- oder Urinzellen herstellen und besitzen die Fähigkeit zur Selbsterneuerung und Differenzierung in unterschiedliche Zelltypen, etwa Herzmuskelzellen oder Nervenzellen. Mit ihnen lassen sich Erkrankungen nicht mehr nur im Tiermodell untersuchen, sondern im direkten, patientenspezifischen Kontext, etwa durch Hinzufügen, Entfernen oder Verändern von genetischen Informationen mit Hilfe der CRISPR/Cas9-Genschere. Hierzu hat Dr. Cyganek in den letzten Jahren bahnbrechende Methoden etabliert.
Eine Erkrankungsgruppe, an der in Göttingen besonders intensiv geforscht wird, sind erbliche Herzerkrankungen. Bernd Wollnik und Lukas Cyganek demonstrierten mit ihren Teams unlängst in einer vielbeachteten gemeinsamen Studie, wie sich Hochdurchsatzsequenzierung, iPS-Zellen und Genomeditierung kombinieren lassen, um die Ursachen und Mechanismen von erblichen Herzerkrankungen zu entschlüsseln und Anhaltspunkte für personalisierte Behandlungsansätze zu entwickeln. Zunächst suchten sie die genaue genetische Ursache einer schweren Form der Herzwandverdickung bei zwei jungen Geschwistern und entdeckten Veränderungen im LZTR1-Gen, das wichtige Signalwege für Zelldifferenzierung und -wachstum reguliert. Anschließend wandelten sie Hautzellen der Patienten in pluripotente Stammzellen um und programmierten diese so, dass sie sich zu Herzmuskelzellen entwickelten. Diese Zellen trugen also die identischen genetischen Informationen der Patienten. Mittels der CRISPR/Cas9-Genschere wurde dann der Defekt des LZTR1-Gens repariert und untersucht, wie die Zellen darauf reagieren. Was die Forscher*innen dabei beobachteten, war grandios: Die Aktivität des untersuchten Signalwegs der Zelle normalisierte sich, die Verdickung der Herzmuskelzellen ging zurück und die Herzfunktion wurde wiederhergestellt. Die Studie zeigte eindrücklich im patientenspezifischen Modell, dass die genomische Reparatur mittels Genschere möglich ist und einen vielversprechenden Behandlungsansatz für die Zukunft darstellt.
Das Potenzial der Humangenetik weiter auszuschöpfen und neue Anwendungen zu entwickeln – auch darum geht es Bernd Wollnik. „Wir sind in der Genomik technologisch und bioinformatisch extrem gut aufgestellt. Mit der an unserem Institut wissenschaftlich angegliederten NGS-Serviceeinrichtung für Integrative Genomik, kurz NIG, entwickeln wir neue Technologien, wie z.B. auch die Einzelzellsequenzierung. Diese ermöglicht es, für eine einzelne Zelle festzustellen, wann welche Gene an- und ausgeschaltet werden und wir haben im Institut auch die Methode entwickelt, um die gesamte Erbinformation in einer einzelnen Zelle zu untersuchen.“ Für Bernd Wollnik eröffnet dies faszinierende Perspektiven: „Für mich ist die Genomeditierung kombiniert mit der Einzelzellsequenzierung die spannendste Entwicklung der letzten Jahrzehnte. Die krankheitsverursachende Mutation zu finden, reicht nicht mehr aus. Diese zu reparieren ist unser Ziel.“

Herzmuskelzellen, die sich aus patientenspezifischen induzierten pluripotenten Stammzellen entwickelt haben.

Dr. rer. nat. Lukas Cyganek
Stem Cell Unit
der Universitätsmedizin Göttingen
Robert-Koch-Str. 40
37075 Göttingen
Telefon : 05 51 / 39-6 42 80
lukas.cyganek@gwdg.de
www.stemcellunit-umg.de

Prof. Dr. med. Bernd Wollnik
Institut für Humangenetik
der Universitätsmedizin Göttingen
Heinrich-Düker-Weg 12
37073 Göttingen
Telefon: 05 51 / 39-6 75 89 (Institutssekretariat)
bernd.wollnik@med.uni-goettingen.de
www.humangenetik-umg.de