Vom Cam­pus, zum Quar­tier, zum Bio­top – wäh­rend einer Rund­fahrt sprach der Sar­to­ri­us-Vor­stands­vor­sit­zen­de Joa­chim Kreuz­burg mit dem Cha­rak­ter-Chef­re­dak­teur Ulrich Drees über sei­ne Sicht auf Göt­tin­gen, Ver­ant­wor­tung und Pri­vi­le­gi­en.

Inter­view: Ulrich Drees | Fotos: Ste­phan Beu­er­mann

Herr Kreuz­burg, Sie sind auf dem Land in der Nähe von Höx­ter auf­ge­wach­sen. Wenn man Sie mit fünf Jah­ren gefragt hät­te, was Sie ein­mal wer­den wol­len, was hät­ten Sie geant­wor­tet?
Wenn ich mich rich­tig erin­ne­re, woll­te ich Ral­lye-Mon­te-Car­lo-Fah­rer wer­den.
Ein rasan­ter Berufs­wunsch. Haben Sie des­halb spä­ter Maschi­nen­bau stu­diert?
Mei­ne Über­le­gung war zumin­dest, in die Auto­mo­bil­in­dus­trie zu gehen. Bei einem wirk­lich span­nen­den Prak­ti­kum bei Mer­ce­des, damals noch Daim­ler-Benz, wur­de mir jedoch klar, dass mir die­se Arbeit zu klein­tei­lig war. Mich eine gan­ze Woche lang zum Bei­spiel mit einem Aus­puff­krüm­mer zu beschäf­ti­gen, war mir ein­fach zu spe­zia­li­siert. Damals merk­te ich, dass mich die über­grei­fen­den The­men­stel­lun­gen viel mehr inter­es­sier­ten.
Sie sind seit mehr als zwei Jahr­zehn­ten für Sar­to­ri­us tätig. Ist das für einen Top-Mana­ger nicht unge­wöhn­lich?
In mei­ner Wahr­neh­mung nicht. Sicher habe ich nicht erwar­tet, heu­te noch hier zu sein, als ich 1999 zu Sar­to­ri­us kam. Ich ste­he seit 2003 an der Spit­ze des Unter­neh­mens, also habe ich mir natür­lich auch schon mal Gedan­ken gemacht, ob ich noch einen Wech­sel möch­te. Doch mit der Bio­phar­ma­zie haben wir uns auf eine extrem dyna­mi­sche, von stän­di­gen Inno­va­tio­nen gepräg­te Bran­che fokus­siert, die ich unver­än­dert sehr span­nend fin­de. Die ent­schei­den­de Fra­ge war für mich des­halb, ob und wie ich dem Unter­neh­men wei­ter­hin die nöti­gen Ent­wick­lungs­im­pul­se geben kann, denn das ist der Kern­punkt mei­ner Auf­ga­be.
Wir haben unser Gespräch auf dem Sar­to­ri­us Cam­pus begon­nen, der inzwi­schen etwas von einer eige­nen Welt hat und noch wei­ter wächst. Sie haben die­ses Wachs­tum geprägt. Ist man dann stolz, wenn man das Ergeb­nis sieht?
Aus mei­ner Sicht ist es ein Pri­vi­leg, die­se Ent­wick­lung maß­geb­lich gestal­ten zu kön­nen. Als ich 2002 in den Vor­stand ein­trat, war Sar­to­ri­us in einer her­aus­for­dern­den Situa­ti­on, in der ganz ande­re The­men zu lösen waren als heu­te. Doch schon damals ging mir durch den Kopf, dass ich gern einen Umzug vom alten Stand­ort an die­sen neu­en Ort in Angriff neh­men wür­de. Letzt­lich hat es dann acht Jah­re gedau­ert, bis wir mit kon­kre­ten Pla­nun­gen begin­nen konn­ten. Unser Ziel war es dabei auch, einen inspi­rie­ren­den Ort zu schaf­fen.
Fragt man in der Göt­tin­ger Fuß­gän­ger­zo­ne, was Sar­to­ri­us eigent­lich macht, bekä­me man viel­leicht ein „irgend­was mit Phar­ma­tech­nik“ zur Ant­wort. Wie erklä­ren Sie einem Lai­en die Arbeits­fel­der Ihres Unter­neh­mens?
Wir hel­fen Unter­neh­men und For­schungs­in­sti­tu­ten im Bereich der Lebens­wis­sen­schaf­ten bzw. Bio­phar­ma­zie, Medi­ka­men­te und Wirk­stof­fe schnel­ler und kos­ten­güns­ti­ger her­zu­stel­len. Das beginnt bereits bei der beson­ders for­schungs­in­ten­si­ven Wirk­stoff­ent­wick­lung, bei der unse­re Pro­duk­te dazu bei­tra­gen, zeit­gleich eine gro­ße Zahl von Expe­ri­men­ten durch­zu­füh­ren und deren Ergeb­nis­se auto­ma­ti­siert zu mes­sen und zu digi­ta­li­sie­ren. Einer unse­rer Robo­ter kann bei­spiels­wei­se 48 Zell­kul­tur­ex­pe­ri­men­te gleich­zei­tig durch­füh­ren. In unse­ren Ein­weg­be­häl­tern kön­nen die zur For­schung benö­tig­ten Zell­kul­tu­ren ent­schei­dend schnel­ler gezüch­tet wer­den als in der Ver­gan­gen­heit, weil lan­ge Rei­ni­gungs- und Wech­sel­pha­sen über­flüs­sig wer­den. Ohne Pro­duk­te wie die­se wären die Coro­na-Impf­stof­fe nie­mals so schnell auf den Markt gekom­men, wobei wir dazu natür­lich nur einen von vie­len Bei­trä­gen geleis­tet haben.
Die Geschwin­dig­keit, mit der die Impf­stof­fe gegen das Coro­na-Virus ent­wi­ckelt wur­den, sorg­te ja sogar für Miss­trau­en. War­um ging das so schnell?
Wir leben in einer unfass­bar inter­es­san­ten Zeit mit vie­len Durch­brü­chen in den Lebens­wis­sen­schaf­ten, wodurch sich eini­ge Pro­zes­se, bei­spiels­wei­se die Ent­wick­lung der mRNA-basier­ten Impf­stof­fe, extrem beschleu­ni­gen lie­ßen. Gleich­zei­tig hat es eine unglaub­lich gute und effek­ti­ve inter­na­tio­na­le Zusam­men­ar­beit vie­ler For­scher und Pro­du­zen­ten gege­ben. In den kom­men­den fünf bis zehn Jah­ren wird es sicher noch zu vie­len wei­te­ren wis­sen­schaft­li­chen Durch­brü­chen kom­men ver­bun­den mit der Mög­lich­keit, die­se schnell für neue Medi­ka­men­te nutz­bar zu machen. Das ist genau das, wozu wir mit unse­ren Tech­no­lo­gien einen Bei­trag leis­ten.
Aktu­ell kom­men die­se Inno­va­tio­nen vor­ran­gig in den west­li­chen Indus­trie­na­tio­nen an. Wenn Sar­to­ri­us hilft, Medi­ka­men­te schnel­ler und kos­ten­güns­ti­ger zu ent­wi­ckeln und her­zu­stel­len, wird sich da bald auch in weni­ger ent­wi­ckel­ten Natio­nen etwas ändern?
Das geschieht bereits auf meh­re­ren Wegen. Zum Bei­spiel konn­ten in den letz­ten Jah­ren nach dem Ende des Patent­schut­zes eini­ger eta­blier­ter Bio­tech-Medi­ka­men­te soge­nann­te „Bio­si­mi­lars“ – ähn­lich den Gene­ri­ka bei klas­si­schen Medi­ka­men­ten – ange­bo­ten wer­den. Die­se Pro­duk­te wer­den zu wesent­lich nied­ri­ge­ren Prei­sen ange­bo­ten und kom­men mehr Pati­en­ten zu Gute. Zu der Her­stel­lung die­ser Bio­si­mi­lars haben auch unse­re Pro­duk­te bei­getra­gen.
War­um braucht das die­se Zeit­span­ne, bis der Patent­schutz aus­läuft, wäh­rend derer die Phar­ma­un­ter­neh­men gro­ße Gewin­ne erzie­len?
Ich fin­de es manch­mal etwas ver­wun­der­lich, der Phar­ma­in­dus­trie gegen­über zu for­dern, dass sie ihre Pro­duk­te sehr bil­lig abgibt, weil es um Gesund­heit geht. Die­se Unter­neh­men inves­tie­ren Mil­li­ar­den in die Ent­wick­lung von Medi­ka­men­ten, mit denen sie Men­schen hel­fen und Leben ret­ten. War­um sol­len aus­ge­rech­net die­je­ni­gen, die jetzt die Coro­na-Impf­stof­fe her­ge­stellt haben, weni­ger Geld ver­die­nen als bei­spiels­wei­se die Her­stel­ler von Tele­fo­nen oder Autos? Wenn man die­sen Unter­neh­men, die ja auch sehr viel Geld ver­die­nen, wel­ches weg­neh­men wür­de, um es denen zu geben, die Men­schen­le­ben ret­ten, das wür­de mir noch ein­leuch­ten. Dass aus­ge­rech­net in der Gesund­heits­bran­che kein Geld ver­dient wer­den soll, weil es eben um Gesund­heit geht – da kann ich die zugrun­de lie­gen­de Moral nicht so recht erken­nen.


Wie ste­hen Sie zu der Dis­kus­si­on dar­über, ob unser Wirt­schafts­sys­tem mit sei­ner Fokus­sie­rung auf ste­ti­ges neu­es Wachs­tum mög­li­cher­wei­se in die fal­sche Rich­tung zielt?
Aktu­ell fußt unser Sys­tem zwei­fel­los auf die­sem Wachs­tum. Ich den­ke, dass es nötig ist, die­ses Wachs­tum vom Res­sour­cen­ver­brauch zu ent­kop­peln. Ob es dabei um Ener­gie, Land, Roh­stof­fe oder Müll geht, wenn das nicht gelingt, kann es so nicht wei­ter­ge­hen. Aber es müs­sen ja nicht immer mehr Pro­duk­te sein. Ich kann als Fir­ma doch auch durch bes­se­re Pro­duk­te wach­sen und die mit weni­ger Roh­stof­fen erzeu­gen. Dar­an arbei­ten wir bei Sar­to­ri­us seit eini­ger Zeit mit wach­sen­dem Erfolg.
Auf dem Weg zum neu­en Sar­to­ri­us Quar­tier an der Han­no­ver­schen Stra­ße liegt es nahe, Sie zum Stand­ort Göt­tin­gen zu befra­gen. Auf dem dies­jäh­ri­gen Wirt­schafts­emp­fang haben Sie geschil­dert, dass Sar­to­ri­us Fach­kräf­te manch­mal nur „gegen“ Göt­tin­gen gewinnt. Sie haben sich mehr Unzu­frie­den­heit gewünscht und die Fra­ge gestellt, ob Göt­tin­gen nicht anstre­ben soll­te, in eini­gen Jah­ren 200.000 Ein­woh­ner zu haben. Das habe ich so in Göt­tin­gen noch nicht gehört. Ist es für Sie nor­mal, auf die­se Wei­se gewohn­te Mus­ter auf­zu­bre­chen?
Kla­re Ziel­set­zun­gen gehö­ren natür­lich zu mei­ner Arbeit, und die Grö­ße einer Stadt ist ein wich­ti­ges Cha­rak­te­ris­ti­kum. Des­we­gen erschien mir die­se Idee gar nicht so unge­wöhn­lich. Göt­tin­gen war in der Ver­gan­gen­heit ja wesent­lich klei­ner als heu­te. War­um also nicht erneut deut­lich wach­sen?
Wie könn­te das funk­tio­nie­ren?
Dafür braucht es ein bes­se­res Mar­ke­ting, ohne nur ein schö­nes „Schau­fens­ter“ abzu­bil­den. Eine Stadt muss sich also fra­gen: Wer will ich sein, was macht mich beson­ders? Wel­che Zie­le set­ze ich mir? Und über die­se Zie­le muss ich dann spre­chen. Wenn heu­te Göt­tin­ger im Urlaub nach ihrer Stadt gefragt wer­den, wer­den sie ver­mut­lich von der gro­ßen Uni, der guten Lebens­qua­li­tät erzäh­len, viel­leicht auch davon, dass es ein wenig lang­wei­lig sei. Mein Wunsch wäre, dass sie in Zukunft von einer Stadt in Bewe­gung erzäh­len. Davon, dass wir eine star­ke Uni haben, aber eben auch eine star­ke Grün­der­sze­ne, dass wir eine dyna­mi­sche Stadt sind, uns bei Öko­lo­gie und Nach­hal­tig­keit wei­ter­ent­wi­ckeln und dass sich hier auch städ­te­bau­lich vie­les tut.
Dane­ben braucht es für ein Wachs­tum natür­lich Arbeits­plät­ze.
Klar, ohne die brau­chen wir gar nicht über 200.000 Ein­woh­ner zu spre­chen. Dar­aus ergibt sich unter ande­rem die Bedeu­tung einer star­ken Start­up-Sze­ne, die jun­ge Fach­kräf­te anlockt. Wenn jemand bei­spiels­wei­se wegen eines Jobs bei Sar­to­ri­us nach Göt­tin­gen kommt, muss er wis­sen: Wenn es mir dort nicht mehr gefällt, dann gibt es hier Alter­na­ti­ven.
Wie gefällt Ihnen in die­sem Zusam­men­hang Göt­tin­gens Slo­gan von der „Stadt, die Wis­sen schafft“?
Das ist für mich ein etwas enger Anspruch. Wir brau­chen etwas Offe­ne­res, das mehr The­men beinhal­tet. War­um nicht ein­mal in Rich­tung eines „Cool Göt­tin­gen“ – ana­log zum „Cool
Bri­tan­nia“ der Tony-Blair-Zeit – nach­den­ken? Das ist jetzt nur mal eine spon­ta­ne Idee, aber solch einen Cla­im fän­de ich bei­spiels­wei­se viel span­nen­der.
Sie haben auch das The­ma Städ­te­bau ange­spro­chen. Wie beur­tei­len Sie hier die Ent­wick­lung?
Lei­der haben wir in den letz­ten 20 Jah­ren noch Din­ge zuge­las­sen, die auf eine Zer­sie­de­lung mit rela­tiv nichts­sa­gen­der Archi­tek­tur hin­aus­lau­fen. Wenn man ent­lang der Han­no­ver­schen Stra­ße oder in Rich­tung Gro­ne aus der Stadt hin­aus­fährt, wird Göt­tin­gen doch rela­tiv schnell dörf­lich. Und gibt es da mal eine Bra­che, dann ent­steht ein gro­ßer Super­markt oder ein Schnell­re­stau­rant. Das ist unglück­lich.
Spre­chen Sie die­se The­men gegen­über der Stadt an? Und in wel­chem Zusam­men­hang steht das zur Anwer­bung von Fach­kräf­ten für Göt­tin­gen?
Zwar habe ich auch als Bür­ger der Stadt die Ver­ant­wor­tung, mich ein­zu­mi­schen, jedoch wer­de ich hier natür­lich stär­ker als Vor­stands­vor­sit­zen­der von Sar­to­ri­us wahr­ge­nom­men. Tat­säch­lich höre ich in vie­len Gesprä­chen mit Fach­kräf­ten oder Jour­na­lis­ten außer­halb Göt­tin­gens immer wie­der in Varia­tio­nen: „Göt­tin­gen ist kein attrak­ti­ver Stand­ort.“ Und zwar als Tat­sa­chen­be­haup­tung. Natür­lich ist Göt­tin­gen nicht der Nabel der Welt, aber über Städ­te wie Frei­burg oder Mainz sagt das nie­mand. Selbst­ver­ständ­lich wün­sche ich mir, dass sich das ändert, weil ich mit Sor­ge sehe, dass wir zwar ohne all­zu gro­ße Pro­ble­me neue Mit­ar­bei­ter fin­den, aber von denen wol­len nur ganz weni­ge in Göt­tin­gen woh­nen.


Das Sar­to­ri­us Quar­tier an der Han­no­ver­schen Stra­ße zählt zu den umfang­reichs­ten, städ­te­bau­li­chen Pro­jek­ten, die Göt­tin­gen in den letz­ten zehn Jah­ren erlebt hat. Haben Sie hier bereits an Lösun­gen für die oben genann­ten Her­aus­for­de­run­gen gedacht?
Unser in die Jah­re gekom­me­ner Stand­ort war schon so etwas wie eine Ent­wick­lungs­brem­se für die Nord­stadt. Aus­ge­hend von unse­rem Mot­to „Bil­den, Grün­den, Woh­nen“ erga­ben sich dann im Gespräch mit ver­schie­de­nen Part­nern Ele­men­te wie die Life Sci­ence Fac­to­ry mit ihrem Bezug zum Grün­den, der Gesund­heits­cam­pus, wo es um Bil­dung geht, und das neue Frei­geist-Hotel sowie die Micro-Apart­ments und wei­te­re Wohn­an­ge­bo­te. Gleich­zei­tig war uns an auch archi­tek­to­nisch gelun­ge­nen Ergeb­nis­sen gele­gen, so haben wir unter ande­rem zuvor stark ver­än­der­te his­to­ri­sche Bau­sub­stanz wie­der sicht­bar gemacht und neu­en Nut­zun­gen zuge­führt. Ins­be­son­de­re im Inne­ren des Gesund­heits­cam­pus ist für mich die wohl schöns­te Hör­saal­si­tua­ti­on Göt­tin­gens ent­stan­den. Auch den Turm haben wir erhal­ten und set­zen aktu­ell sogar ein neu­es Stock­werk dar­auf, ein archi­tek­to­ni­scher Bezug auf das Her­aus­wach­sen aus der his­to­ri­schen Sub­stanz und die Schaf­fung einer Blick­hö­he gegen­über den neu­en Gebäu­den im Quar­tier. Dar­un­ter wer­den ein Café, eine Wein­bar im Kel­ler und wei­te­re klei­ne­re Räu­me für Geschäfts­es­sen und ähn­li­ches zu Orten der Begeg­nung, die auch den Bür­gern der Stadt offen­ste­hen. Genau­so wird die neu kon­zi­pier­te Sar­to­ri­us-Shed­dach­hal­le tags­über für Vor­le­sun­gen und Semi­na­re des Gesund­heits­cam­pus genutzt und bie­tet sich abends und am Wochen­en­de als ganz beson­de­rer Ver­an­stal­tungs­ort für meh­re­re Hun­dert Per­so­nen an.
Zum Ende unse­res „Unterwegs“-Interviews spa­zie­ren wir zum Flüt­he­wehr, hin­ter dem gera­de ein Feucht­bio­top ent­steht, des­sen Anla­ge von Sar­to­ri­us finan­ziert wird. Es wird sich dort rechts und links der Lei­ne erstre­cken und soll künf­tig Vögeln und Insek­ten einen geschütz­ten Lebens­raum bie­ten. Wie­so enga­giert sich ein inter­na­tio­na­les Life-Sci­ence-Unter­neh­men auf die­se Wei­se?
Die Idee ent­stand, als ich über einen Kon­takt zur Heinz-Siel­mann-Stif­tung auf das Pro­jekt „Jeder Gemein­de ihr Bio­top“ von Peter Bert­hold auf­merk­sam wur­de. Das ist ein bekann­ter Orni­tho­lo­ge, Bio­lo­ge und Öko­lo­ge, der 14 Jah­re lang die Vogel­war­te Radolf­zell, eine Zweig­stel­le des Max-Planck-Insti­tuts für Orni­tho­lo­gie, lei­te­te. Ich fand den Gedan­ken sofort span­nend, und von der Stif­tung kam der Vor­schlag zur jet­zi­gen Lage. Dann habe ich Kon­takt zu Ober­bür­ger­meis­ter Köh­ler auf­ge­nom­men, weil das Gelän­de ja im Besitz der Stadt bleibt und es ohne deren lang­fris­ti­ges Enga­ge­ment sinn­los wäre. Er war sofort dabei. Dass wir uns als Unter­neh­men für solch ein Pro­jekt enga­gie­ren, hat vor­ran­gig damit zu tun, dass Nach­hal­tig­keit einer unse­rer Unter­neh­mens­wer­te ist. Im Grund­ge­setz steht „Eigen­tum ver­pflich­tet“, und ich fin­de, als Fir­ma, die so etwas rea­li­sie­ren kann, müs­sen wir uns dann auch fra­gen, was wir tun kön­nen.
Im Zuge der Ein­rich­tung des Bio­tops wird auch ein klei­ner Fuß­gän­ger­weg ver­schwin­den, was bereits zu Kri­tik führ­te. Beden­ken zu haben, wirkt manch­mal wie eine klas­sisch süd­nie­der­säch­si­sche Men­ta­li­tät. Erle­ben Sie das eben­so?
All­ge­mein von einer Süd­nie­der­sach­sen-Men­ta­li­tät zu spre­chen, fin­de ich schwie­rig. Es gibt hier vie­le anpa­cken­de und boden­stän­di­ge Men­schen mit vie­len Qua­li­tä­ten. Was etwas aus­ge­präg­ter sein könn­te, wäre ein Impuls zur Ver­än­de­rung nach dem Mot­to: „Hey, wir kön­nen mehr!“ Das fehlt mir schon etwas. In die­sem Zusam­men­hang neh­me ich auch wahr, dass es ange­sichts der sicher nicht weni­gen wohl­ha­ben­den Men­schen in Göt­tin­gen ein aus­ge­präg­te­res Bür­ger­en­ga­ge­ment und mehr Bereit­schaft, posi­ti­ve Ver­än­de­run­gen anzu­sto­ßen und aktiv zu tra­gen, geben könn­te.
Ist es ein beson­de­res Lebens­ge­fühl, in einer Posi­ti­on zu sein, in der Sie gute Ideen auf­grei­fen und Wirk­lich­keit wer­den las­sen kön­nen?
Das ist glei­cher­ma­ßen ein Pri­vi­leg wie eine Ver­pflich­tung. Aber nicht in einem schwe­ren Sinn, ich fin­de, das ist durch­aus etwas Schö­nes.
Apro­pos Schö­nes, ich habe gele­sen, Sie ver­brin­gen Ihre Frei­zeit mit Jog­gen, Berg­wan­dern und Musik, trifft es das?
Das kommt schon hin. Ich bin ganz ger­ne drau­ßen, bei­spiels­wei­se auf dem Kerst­lin­ge­röder Feld. Es hat zwar ein wenig gedau­ert, aber was ich an Göt­tin­gen wirk­lich schät­ze, ist die land­schaft­li­che Viel­falt, die man direkt hin­ter der Stadt­gren­ze erle­ben kann. Ansons­ten bin ich gern in den Ber­gen unter­wegs und trei­be Sport. Was Musik angeht, ja, ich gehe bei­spiels­wei­se wirk­lich gern auf klei­ne Club­kon­zer­te, so bis 200 Men­schen. Dem­nächst wer­de ich in Ber­lin zum Bei­spiel eine Schwei­zer Sin­ger-/Song­wri­te­rin anschau­en, die in Deutsch, Eng­lisch und Fran­zö­sisch singt. An sol­chen Kon­zer­ten fas­zi­nie­ren mich oft die klei­nen Feh­ler und wie aus der Reak­ti­on der Musi­ker dar­auf etwas ganz Beson­de­res und Neu­es ent­steht.
In der Öffent­lich­keit ist trotz Ihrer her­aus­ra­gen­den Posi­ti­on nicht viel über Ihr Pri­vat­le­ben zu erfah­ren. Ist das Absicht oder Zufall?
Zufall ist das nicht, ich lege ein­fach Wert dar­auf, einen Bereich zu haben, der eine gewis­se Distanz zu mei­nem Job hält. Mir ist sehr wich­tig, Freun­de zu haben, die mich lan­ge und aus ganz ande­ren Zusam­men­hän­gen ken­nen, so dass sie nicht zuerst den Vor­stands­vor­sit­zen­den sehen, wenn sie an mich den­ken.
Was Vor­stands­vor­sit­zen­de im Ram­pen­licht angeht – Sie wur­den in der FAZ als deut­scher „Elon Musk“ bezeich­net …
Um Got­tes wil­len! Nein! Das fand ich gar nicht gut und ganz so war es auch nicht. Die­se Gegen­über­stel­lung funk­tio­niert höchs­tens dann – aber dazu muss man sehr genau lesen, was der Ver­fas­ser ver­mut­lich mein­te –, wenn man die rela­ti­ve Akti­en­kurs­ent­wick­lung von Sar­to­ri­us und Tes­la ver­gleicht. Die sind nicht unähn­lich, denn direkt nach Tes­la sind wir hier welt­weit die Zweit­plat­zier­ten. Der Ver­gleich hinkt aber schon des­halb, wenn man sieht, was Elon Musk noch so alles auf die Bei­ne stellt.
Was beein­druckt Sie an ande­ren Men­schen?
Ich fin­de es gut, wenn Men­schen Mut haben, etwas Neu­es pro­bie­ren, etwas anders machen, Ent­schei­dun­gen tref­fen und grö­ße­re Din­ge anpa­cken. Es kann aber auch wahn­sin­nig mutig sein, sich auf eine Büh­ne zu stel­len und ein Lied zu sin­gen. Das zum Bei­spiel wür­de ich mich nie trau­en.
Haben Sie so etwas wie Vor­bil­der?
Im klas­si­schen Sin­ne nicht. Es gibt aber einen Aus­spruch, mit dem ich viel anfan­gen kann. Er stammt von Arthur Ashe, dem ers­ten afro­ame­ri­ka­ni­schen Welt­klas­se-Ten­nis­spie­ler und Grand-Slam-Tur­nier­ge­win­ner. Der hat gesagt: „Start whe­re you are, take what you have and do, what you can.“ Also: Akzep­tie­re, was du hast. Ver­su­che, mög­lichst alles zu nut­zen, was dir zur Ver­fü­gung steht, auch die Din­ge, die du selbst viel­leicht auf den ers­ten Blick gar nicht so wert­schätzt, und dann eben: Tu, was du kannst. So han­deln wir übri­gens auch als Fir­ma. Bei­spiels­wei­se sind die meis­ten unse­rer Wett­be­wer­ber deut­lich grö­ßer als wir, aber dar­auf ach­ten wir gar nicht, und des­halb stört es uns auch über­haupt nicht. Wir kön­nen das nicht ändern und fra­gen uns viel­mehr, was haben wir, was die nicht haben und was kön­nen wir damit anfan­gen? Und das wer­fen wir dann in die Waag­scha­le.

Dr. Joa­chim Kreuz­burg
Joa­chim Kreuz­burg (geb. 1965) steht seit 2003 an der Spit­ze der Sar­to­ri­us AG. Zusätz­lich ist er seit 2007 Ver­wal­tungs­rats­vor­sit­zen­der und CEO der Sar­to­ri­us Stedim Bio­tech S.A. Nach sei­nem Maschi­nen­bau-Stu­di­um in Han­no­ver war er am nie­der­säch­si­schen Insti­tut für Solar­ener­gie­for­schung in Hameln sowie am Fach­be­reich Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten der Uni­ver­si­tät Han­no­ver tätig. Im Anschluss an sei­ne Pro­mo­ti­on zum Dr. rer. pol. 1999 begann er im sel­ben Jahr sei­ne Lauf­bahn bei Sar­to­ri­us und wur­de nach einer Rei­he von Füh­rungs­po­si­tio­nen inner­halb des Unter­neh­mens im Novem­ber 2002 in den Vor­stand der Sar­to­ri­us AG bestellt. Dar­über hin­aus ist er u. a. Mit­glied des Auf­sichts­rats der Carl Zeiss AG, stell­ver­tre­ten­der Auf­sichts­rats­vor­sit­zen­der der Otto Bock SE & Co. KGaA sowie Mit­glied im Wirt­schafts­bei­rat der Nord­deut­schen Lan­des­bank. Er ist ver­hei­ra­tet und hat eine erwach­se­ne Toch­ter aus einer vor­her­ge­hen­den Bezie­hung.