Die Wichtigkeit des Hörens wird oft unterschätzt, dabei kann eine Schwerhörigkeit erhebliche Folgen nach sich ziehen. Ein Cochlea-Implantat verschafft in vielen schwerwiegenden Fällen Abhilfe. Die Klinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde an der UMG wurde nun als eines der ersten Zentren Deutschlands als Cochlea-Implantat-versorgende Einrichtung für Erwachsene und Kinder zertifiziert.

Interview: Kristin Schild | Fotos: Ulrich Drees, MED-EL, UMG

Herr Prof. Dr. Beutner, warum ist das Hören ein so wichtiger Sinn?
Hören ist meiner Meinung nach der wichtigste und unterschätzteste Sinn. Die Folgen einer unerkannten oder unversorgten Schwerhörigkeit sind in jeder Lebensphase schwerwiegend. Im Kindesalter sind eine eingeschränkte Sprachentwicklung und Bildungsdefizite vorprogrammiert. Soziale Isolation und Arbeitslosigkeit drohen bei Erwachsenen. Zudem sind unversorgte Schwerhörigkeiten wesentliche Risikofaktoren für Einschränkungen der geistigen Leistungsfähigkeit. Daher ist zu einer frühzeitigen Versorgung von Schwerhörigkeit zu raten, um auch in jeder Lebensphase gesund und unabhängig zu bleiben. Regelmäßige Hörtestungen beugen Folgeschäden und gesamtgesellschaftliche Kosten vor. Das flächendeckende Neugeborenenscreening ist ein erster Meilenstein.

Inwiefern können Hörgeräte Abhilfe schaffen?
Mithilfe von modernen Hörgeräten, die wie ein Schallverstärker wirken können geringradige und mittelgradige Schwerhörige häufig gut rehabilitiert werden. Erwachsene können wieder am sozialen Leben teilnehmen, und kognitiven Einschränkungen wird vorgebeugt. Hörgeräte sind nicht nur für die Ohren da, sondern stimulieren auch unser Gehirn.

Wenn herkömmliche Hörgeräte nicht mehr helfen, kommt oft ein Cochlea-Implantat zum Einsatz; was kann man sich darunter vorstellen?
Bei Cochlea-Implantaten (CI) handelt es sich um elektronische Hörprothesen für Patient:innen mit stark funktionsgeschädigtem Innenohr, das heißt, diese sind hochgradig schwerhörig oder zum Teil sogar vollständig gehörlos. Darüber hinaus gibt es noch eine Vielzahl weiterer Einsatzbereiche, z. B. die einseitige Ertaubung oder partielle Taubheiten bei der nur Teile des Innenohres ausgefallen sind. Bei gleichzeitigem Auftreten von sehr störenden Ohrgeräuschen werden diese auch positiv beeinflusst.

Wie ist ein Cochlea-Implantat aufgebaut?
Ein CI besteht aus einem Innenohr-Implantat, das mit einer Elektrode direkt in der Hörschnecke liegt und so die Hörnervenfasern elektrisch stimuliert, sowie aus einem außen getragenen Soundprozessor, den man bei Entwicklungsfortschritten problemlos upgraden kann. Die dafür notwendige Operation kann in jedem Alter erfolgen.

Im September letzten Jahres wurde die Klinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde an der Universitätsmedizin Göttingen nach den Vorgaben der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e. V. als Cochlea-Implantat-versorgende Einrichtung für Erwachsene und Kinder zertifiziert; wie bewerten Sie diese Anerkennung?
Wir sind sehr stolz und freuen uns über die Zertifizierung, sie ist für uns Anerkennung und Ansporn gleichermaßen. Über 500 Patient:innen mit ein- oder beidseitiger Schwerhörigkeit konnten wir erfolgreich mit implantierbaren Hörimplantaten behandeln. Mit diesem Schritt bekommt die jahrelange hohe Qualität unserer Arbeit und unseres anerkannten interdisziplinären Teams eine offizielle Würdigung.

Was umfasst diese Versorgung?
Die Versorgung besteht aus verschiedenen Phasen, von denen die Operation nur einen kleinen Teil ausmacht. Es gibt die präoperative Phase, die Diagnostik, die operative Phase, in der der Chirurg eine führende Rolle übernimmt, und anschließend folgt die Rehabilitations-Phase, bei der das Hören mit einem Implantat gelernt wird. Unser multiprofessionelles Team geht eine lebenslange Partnerschaft mit den Patient:innen ein und besteht aus Audiologen, Akustikern, Chirurgen, Pädaudiologen, Logopäden, Ingenieuren , die die Geräte technisch warten und einstellen, und Hörgeschädigten-Pädagogen, die sich je nach Bedarf bestmöglich um die Betroffenen kümmern.

Weltweit sind rund 1,5 Milliarden Menschen von einem signifikanten Hörverlust betroffen, allein in Deutschland leben rund 10 Millionen Menschen mit einer Schwerhörigkeit. Das Cochlea-Implantat ist die erfolgreichste Neuroprothese der Welt.

Cochlea-Implantate – die Alternative, wenn Hörgeräte nicht helfen.

Univ.-Prof. Dr. med Dirk Beutner

Univ.-Prof. Dr. med Dirk Beutner

Direktor der Klinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde

Universitätsmedizin Göttingen
Klinik für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde
Robert-Koch-Straße 40
37075 Göttingen
Telefon: 05 51 / 39-6 37 71
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