Der Künstler und Mythensammler Florian Schäfer erweckt in seinem Atelier in Sattenhausen in der Gemeinde Gleichen längst vergessene Fabelwesen in Originalgröße zum Leben – auch solche, an die einst die Bewohner Göttingens und seines Umlandes glaubten.

Text: Hans Peters | Fotos: Hannah Gritsch

Hören wir heute von Kobolden, Heinzelmännchen und Moosweiblein, denken wir zunächst an phantastische Filme und Romane wie den Herrn der Ringe, Harry Potter, oder erinnern uns an den Kobold Pumuckl. Dabei vergessen wir schnell, dass der Glaube an die Existenz von Geistern und Magie über Jahrtausende hinweg zum Alltag der Menschheit gehörte und sich erst vor vergleichsweise kurzer Zeit in etwas zu verwandeln begann, das heute vor allem unserer Unterhaltung dient. Eine Entwicklung, die mit den Märchen- und Sagensammlungen des 19. Jahrhunderts begann, in die ihre Autoren – zu deren bekanntesten sicher die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm gehörten – ihnen geläufige Überlieferungen und Erzählungen zu Fabelwesen und Naturgeistern einfließen ließen.

Beschäftigen wir uns allerdings genauer mit den früheren Vorstellungen von den Geistern, die unser unmittelbares Umfeld bevölkerten, entdecken wir auch heute noch rasch mehr als Zerstreuung und einen wohligen Schauder auf dem Rücken. Denn ihre Mythen und ihr Aberglaube gewähren uns einen Einblick in Alltag und Psyche unserer Vorfahren und in ihren Umgang mit ihren Ängsten und Wünschen sowie in ihr Verhältnis zu ihrer Umgebung.
Während sich noch heute immer wieder aktuelle Geschichten von norwegischen Trolljägern, isländischen Elfenbeauftragten und dem englischen Gold am Ende des Regenbogens in der einen oder anderen Weise in der Presse wiederfinden, schwindet das Wissen um die Sagen und Mythen unserer eigenen Heimat immer mehr. Daher hat der Göttinger Künstler und Mythensammler Florian Schäfer ein ambitioniertes Projekt gestartet: Unter dem Titel “Forgotten Creatures” (dt. Vergessene Kreaturen) fördert er gemeinsam mit einigen Mitstreiterinnen die alten Geschichten wieder zutage – und verleiht den Geistern einen Körper. Denn in seinem Mythenatelier in Gleichen baut der 31-Jährige Zwerge, Einhörner und manch anderes Wunderwesen nach – streng orientiert an historischen Beschreibungen. Die lebensnahen Figuren in Originalgröße sind in Ausstellungen, Büchern und auf Bühnen zu sehen. Im Charakter-Magazin präsentiert der junge Nachwuchs-Grimm hier einige der sagenhaften Gestalten der Umgebung.

Das Stille Volk zu Plesse >>> Nur wenige Kilometer nördlich von Göttingens Innenstadt liegt die Ruine der Burg Plesse. Hier sollen vor Zeiten nicht nur zwei gewaltige Riesen gelebt haben, sondern auch deutlich kleinere Wesen: das Stille Volk. Der Sage nach lebten die kleinen, schweigsamen Zwerge in den Höhlen unterhalb der Burg. Für gewöhnlich hatten sie wenig mit den Menschen auf der Burg zu tun und lebten in winzigen Gemächern voller Gold und Edelsteinen. Wenn sie ans Tageslicht kommen mussten, verrichteten sie die dortige Arbeit jedoch stets nachts, um unerkannt zu bleiben. Selten halfen sie den Menschen bei ihrer Arbeit, und nur ausgewählten Personen gewährten sie Zugang in ihr unterirdisches Reich, um sie dort reich zu beschenken.

Der schwarze Geisterhund >>> Zahlreiche deutsche Sagen berichten von geisterhaften Hunden mit rot leuchtenden Augen. Auch im Göttinger Umland bewachten sie Brücken und streiften über einsame Waldwege. Wer nachts zwischen den Ortschaften unterwegs war, musste sich hüten. Der Geisterhund näherte sich mit bedrohlichem Knurren seinen Opfern und verfolgte die verängstigten Menschen meist bis an den Ortsrand, wo er dann spurlos verschwand. In Kuventhal, einer Ortschaft der Stadt Einbeck, lebte nach alten Sagen eine solche Kreatur. Von einer Brücke aus beobachtete der Hund vorbeiziehende Menschen. Wer ihm in die Augen sah, starb binnen eines Jahres.

Der Glûswanz >>> Ein sonderbares Geschöpf ist der Drak, der in Niedersachsen auch als Glûswanz, Stöpke oder Teckelmucker bekannt ist. Er erscheint häufig als feurige Gestalt in Form einer glühenden Kugel und zieht flammend durch die Lüfte. Als Hausgeist trägt er “seinen” Besitzern Lebensmittel und Geld durch den Schornstein zu. Dieser Aberglaube führte zur Zeit der Hexenverfolgungen dazu, dass zahlreiche Menschen beschuldigt wurden, “einen Drachen” zu besitzen und durch einen Pakt mit dem Teufel das Eigentum ihrer Nachbarn zu stehlen. Grundlage des Glaubens an den Drak waren vermutlich Himmelserscheinungen, wie Meteoriten und Sternschnuppen.

Das Moosvolk >>> Das Volk der Moosweiblein lebt in den dichten Wäldern der Mittelgebirgen Deutschlands, im Schutz von Bäumen und Wurzeln. Sie sind ein heimliches, aber freundlich gesinntes Volk von geringer Körpergröße. Auch im Harz berichten die alten Sagen von ihnen. Ihr Gesicht scheint aus Rinde zu bestehen und Moos bedeckt ihre Körper wie Kleidung. Nur selten wagen sie sich in die Nähe der Menschen, doch manchem einsamen Wandersmann halfen sie bereits in großer Not. Wer sich gut mit ihnen stellt, den belohnen sie oft reichlich.

Der Lindwurm ist ein Urgestein nordischer und germanischer Mythologie. Auch in vielen regionalen Sagen spielt er eine Rolle. Dem Drachen ähnlich, allerdings ohne dessen große Flügel, ist er meist von gewaltiger Größe und boshafter Natur.

Ein Wichtel in der Backstube – selten werden sie größer als eine Hand beschrieben.

Die kleinen Moosweibchen sind freundliche und hilfsbereite Geister.

Ein etwa kopfgroßer Glûswanz/Drak fliegt durch den Kamin ins Haus.

Bedrohlich streift er durch den Wald: Der schwarze Geisterhund.

Hausgeister für zu Hause
2020 erschien Florian Schäfers erstes Buch “Hausgeister! Fast vergessene Gestalten der deutschsprachigen Märchen- und Sagenwelt”. Das Buch ist eine Mischung aus populärwissenschaftlichem Sachbuch und Bildband. Auf fast 200 vollfarbigen Seiten erfahren Leser auf unterhaltsame Weise alles Wissenswerte zu den Geistern im Haus, vom Mittelalter bis in die frühe Neuzeit.

Florian Schäfer

Florian Schäfer

www.forgottencreatures.de