Der Rechtsanwalt Marko Feldmann ist Geschäftsführer des Arbeitergeberverband Mitte e. V. und damit nah an der aktuellen Stimmungslage in der regionalen Wirtschaft. Im Interview spricht er über seine Einschätzung und die Angebote seines Verbandes.

Interview & Foto: Ulrich Drees

Herr Feldman, aktuell wird das wirtschaftliche Geschehen durch anhaltende Krisen bestimmt. Was bedeutet das für Ihre Arbeit?
Zunächst steht für unsere Bürogemeinschaft – wir kooperieren hier als Arbeitgeberverband Mitte e.V. ja noch mit dem Verband der Metallindustriellen Niedersachsens Bezirksgruppe Süd e.V. – natürlich unser klassisches Geschäft im Vordergrund. Dies ist in erster Linie die umfassende arbeitsrechtliche Beratung und die Prozessvertretung für unsere Mitgliedsfirmen. Obwohl wir als allgemeiner Arbeitgeberverband zwar keine Tarifbindung haben, gibt es aber durchaus größere Firmen, die einen Haustarifvertrag haben wollen und die wir dann maßgeschneidert verhandeln. Schon in diesem Bereich prägen die Krisen unsere Arbeit. Während der Pandemie waren langfristige Projekte, wie Tarifverhandlungen oder auch Verhandlungen mit Betriebsräten, kaum zu realisieren. Diese Themen wurden daher in den Betrieben oft verschoben und das holt uns jetzt mit Macht ein. Verschärfend kommt hinzu, dass durch die stark gestiegene Inflation in Sachen Entgeltanpassung ein enormer Druck entstanden ist, denn die Kosten sind auf Seiten der Beschäftigten ebenso wie auf der Unternehmerseite angestiegen.
Und was erleben Sie jenseits dieses Tagesgeschäfts?
Unsere Mitgliedsfirmen haben Sorgen, und sie fordern uns zunehmend auf, diese auch gegenüber den Entscheidungsträgern zu formulieren. Konkret bedroht etwa die Energiekrise – ausgelöst durch diesen unsäglichen Krieg – bestimmte Unternehmen in der Region in ihrer Existenz. Und dabei geht es nicht nur um unsere Eisengießereien mit ihrem naheliegend hohen Energieverbrauch, sondern auch um weniger offensichtliche Beispiele. Wir haben beispielsweise Kontakt zu einem Obst- und Gemüsegroßhandelsunternehmen mit riesigen Hallen, die konstant gekühlt werden müssen. Hier gibt es drastische Probleme, die weder wir noch sie selbst lösen können. Diese Betriebe rufen um Hilfe, und das geben wir weiter – auf Landesebene und über unsere Spitzenorganisationen auch auf Bundesebene.
Wie funktioniert das im Detail? Rufen Sie gelegentlich im Wirtschaftsministerium in Hannover an?
Nein, das geht jedenfalls nicht in jedem Einzelfall. Die niedersächsischen Arbeitgeberverbände tragen die Unternehmerverbände des Landes, deren Vertretung in Hannover diese Kommunikation übernimmt und kanalisiert, beispielsweise auch die Ergebnisse unserer Mitgliederbefragungen. Auf der Bundesebene platziert wiederum die BDA, die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, unsere Anliegen. Wenn jeder regionale Vertreter jeweils mit dem Entscheidungsträger sprechen wollen würde, das würde nicht funktionieren.
Fühlt sich die Wirtschaft von der Politik ausreichend unterstützt?
Das ist eine sehr schwierige Frage. Ich spreche ja hauptsächlich mit denjenigen unserer 860 Mitgliedsbetriebe, die sich selbst bei uns melden. Da klingt dann schon heraus, dass man einen Nachbesserungsbedarf sieht. Nicht im Sinne eines völligen Verzagens, dazu denken Unternehmerinnen und Unternehmer zu lösungsorientiert. Doch spürbar ist, dass sie sich in ihren Sorgen und Nöten wahrgenommen wissen wollen, denn diese Sorgen sind ganz real.
Funktionieren die aktuellen Entlastungspakete aus Sicht der Arbeitgeber?
Sicher noch nicht ausreichend. Dass das letzte Entlastungspaket vor allem die Privathaushalte in den Blick genommen hat, ist völlig in Ordnung – wir sind letztlich alle auch Privathaushalte. Aber insbesondere beim Thema der Energiepreisbremse sehen wir deutlichen Nachbesserungsbedarf. Beispielsweise hat mich ein großes Unternehmen aus Northeim angesprochen – ich habe das Thema der Kühlhallen ja bereits erwähnt. Die fahren gerade ein großes Außenlager herunter, weil sie es sich finanziell nicht mehr leisten können. Dort will man ganz konkret wissen: Was haben wir jetzt zu erwarten? Unternehmen wie diese wollen nicht vergessen werden und erwarten von uns, dass wir das gegenüber der Politik auch so formulieren.
Aus unserer Sicht sind die nötigen Stellschrauben vorhanden, hier unbürokratisch und direkt zu helfen. Allein die Mehreinnahmen des Bundes aus der Besteuerung des Stromhandels sollten hier Möglichkeiten bieten. Ein anderer Punkt ist die Frage, ob man es sich leisten kann, bestimmte Energieträger jetzt vollständig aus dem System herauszunehmen. Niemand will zurück in die dauerhafte Nutzung der Kernenergie, aber man muss sich angesichts des aktuellen Drucks und auch mit Blick auf die europäischen Partner schon fragen, ob man den deutschen Sonderweg weitergehen kann.
Sie haben die anhaltenden Corona-Auswirkungen und die Energiekrise angesprochen – gibt es weitere Herausforderungen?
Als Teil der Transformationsprozesse, die wir aktuell bewältigen müssen, war das Thema Energie ja bereits vor dem Kriegsausbruch in der Ukraine relevant. Ergänzend wäre dann auch noch die angestrebte Mobilitätswende sowie der allgemeine Arbeitskräftemangel zu nennen. Alles zusammengenommen bildet das den „perfekten Sturm“.
Man kann sich kaum vorstellen, dass es noch schlimmer kommen kann. Aber es hilft nichts – und genau das spüren wir auch in den Mitgliedsbetrieben und in unserer täglichen Arbeit. Man muss von Tag zu Tag denken, Schritt für Schritt an Lösungen arbeiten.
Spielt die Lieferkrise noch eine Rolle? Aktuell scheinen viele internationale Versorgungsketten unterbrochen zu sein.
Das ist zwar nach wie vor ein Thema, das jedoch ganz unternehmensspezifisch ausgeprägt ist. Unter unseren sehr heterogenen Mitgliedern finden sich produzierende Industrieunternehmen und Automobilzulieferer, die nach wie vor stark betroffen sind, direkt oder weil die Effekte bei ihnen ankommen. Trotzdem lässt sich kein einheitliches Bild beschreiben, weil an uns eher die kritischen Einzelfälle herangetragen werden. Beispielsweise wenn wegen Lieferproblemen tatsächlich wieder über Kurzarbeit gesprochen werden muss oder Restrukturierungsmaßnahmen getroffen werden müssen, weil bestimmte Bereiche nicht mehr funktionieren. Dass tatsächlich Arbeitsplätze verloren gehen ist jedoch aktuell glücklicherweise noch nicht in größerem Umfang der Fall.
Damit wären wir beim Fachkräftemangel, der ja eng mit solchen Neustrukturierungsmaßnahmen verbunden ist.
Präziser muss man inzwischen von einem allgemeinen Arbeitskräftemangel sprechen. Es geht nicht mehr nur um Fachkräfte, denn wo zieht man da überhaupt die Grenze? Man muss ja nur einmal auf das Hotel- und Gaststättengewerbe schauen, wo es überall an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern fehlt. Dieser Fach- bzw. Arbeitskräftemangel ist für uns als Region etwas, wo wir uns sogar besonders anstrengen müssen, denn wir stehen in einem Wettbewerb um Arbeitskräfte, der in Zeiten hoher Inflation auch über das Entgelt gelöst wird. Und da gibt es eben andere Regionen oder einzelne Betriebe, die sind leistungsfähiger und haben deshalb ganz andere Möglichkeiten. Diese Problematik treibt uns jedoch seit Langem um und wird auch nicht kurzfristig zu lösen sein.
Einerseits der Arbeitskräftemangel, andererseits die Inflation, die bei den Arbeitnehmern den Wunsch nach höheren Löhnen auslöst – was bedeutet das für Themen wie Tarifverhandlungen und Arbeitsrecht? Wird der Ton hier härter?
Das kann man schon so sagen. Nicht im Sinne von Unsachlichkeit, aber die Erwartungen sind hoch. Aus der Perspektive der Gewerkschaften ist dies angesichts der enormen Preissteigerungen nachvollziehbar, man muss sich aber bei Verhandlungen klarmachen, dass die Arbeitnehmer und Arbeitgeber hier letztlich in einem Boot sitzen. Wir haben in Deutschland eine Sozialpartnerschaft. Das Wort wird gern überstrapaziert, aber in einer so krisenhaften Situation, wie wir sie jetzt haben, müssen sich alle Seiten ihrer Verantwortung im Sinne dieser Sozialpartnerschaft bewusst werden. Jetzt von den Betrieben einen Eins-zu-eins-Ausgleich der Inflation zu erwarten, wäre eine Überforderung, weil sie Kostensteigerungen nicht in gleichem Maße an die Kunden weitergeben können. Hinzu kommt, dass die Betriebe ja selbst vor der Riesenherausforderung dieser explodierenden Energiepreise stehen. Wir hoffen, dass das in den Verhandlungen berücksichtigt werden wird und natürlich, dass sich die Situation irgendwann auch wieder ändert. Dass im letzten Entlastungspaket steuerfreie Einmalzahlungen von bis zu 3.000 Euro ermöglicht wurden, ist hier durchaus bedeutsam. Damit ist der Ball jetzt gewissermaßen auf dem Spielfeld der Verhandlungen.
Einmal abgesehen vom Arbeitnehmermangel und den aktuellen Tarifverhandlungen erleben wir gegenwärtig auch eine umfassende Transformation der Arbeitswelt. Wirkt die sich auf Ihre Arbeit aus?
Als Dienstleister in der arbeitsrechtlichen Beratung und Vertretung vor den Gerichten spüren wir das allerdings. Das Prozessgeschäft mit klassischen Kündigungsrechtsstreitigkeiten tritt in den Hintergrund. Es geht zunehmend um die Frage – und da wirkte die Corona-Krise wie ein Katalysator –, wie moderne Arbeit eigentlich aussieht und welche Rahmenbedingungen es dafür braucht. Hier sind wir als Juristen gefragt. Dazu gehört auch die Frage, wie Arbeitgeber ihre Mitarbeiter halten können, bzw. wie sich unsere Mitglieder als attraktive Arbeitgeber präsentieren können, gerade in einer Region wie Südniedersachsen, die ja mit anderen Regionen und ihren großen Arbeitgebern in Konkurrenz steht.
Wie sich das auswirkt, zeigt sich beispielsweise bei Themen wie neuen Arbeitszeitmodellen oder Homeoffice, wenn Bewerber schon im Einstellungsgespräch sagen, dass sie zwar den angebotenen Arbeitsplatz in Südniedersachsen wollen, aber dafür eben nicht ihren Wohnort im Rhein-Main-Gebiet verlassen wollen. Heute versuchen Unternehmen das zu ermöglichen, einfach um arbeitsfähig zu bleiben. All das bringt für uns neue Aufgaben und Fragestellungen mit, auf die wir uns einstellen müssen.
Auf einer übergeordneten Ebene gilt die deutsche Wirtschaft – auch durch ihren Mittelstand – einerseits als relativ krisenfest, andererseits sind das Thema Krise und die Erwartung einer Rezession aktuell kaum aus der medialen Berichterstattung wegzudenken. Welche mittel- und langfristigen Erwartungen nehmen Sie wahr?
Ein einheitliches Bild gibt es hier nicht. Aber auch in unserer Region gibt es bereits Beispiele dafür, dass sich Betriebe aktiv den Herausforderungen stellen, indem sie sich zusammentun und Wärme und Energie vernünftig gemeinsam nutzen. In anderen Bereichen, wie etwa in den Pflegeeinrichtungen, wird man diese Krisensituation nicht einfach durch kreative, neue Lösungen überwinden können. Als Gesellschaft müssen wir hier alle unseren Beitrag leisten und die Lasten gerecht verteilen.
Jeder einzelne Betrieb muss dabei für sich selbst schauen, wie er die Situation am besten durchstehen kann. Schon in der Vergangenheit haben die Betriebe in Sachen Energie unterschiedliche Wege gewählt. Manche haben am Spotmarkt Energie eingekauft, die sind jetzt im besonderen Maße von den explodierenden Preisen betroffen. Andere hatten sich längerfristig abgesichert, doch auch dort endet die Zeitschiene irgendwann. Hinzu kommt ja noch das, was die unterschiedlichen Versorger zu stemmen haben.
Doch eins muss man sagen: Es kann nicht alles kollabieren. Wir werden durch diese Krise gehen, und wir sind an der Stelle nicht allein, denn unseren europäischen Nachbarn geht es genauso. Wir müssen einfach darauf setzen, dass sich die Dinge normalisieren, wenn wir nicht mehr so abhängig sind.

Marko Feldmann
Im Juni dieses Jahres wurde Marko Feldmann (Jahrgang 1972) zum Nachfolger von Kirsten Weber als Geschäftsführer des Arbeitgeberverband Mitte e.V. berufen.
Geboren im Ruhrgebiet, wuchs Marko Feldmann in Nordhessen auf und studierte nach seinem Abitur an der Georg-August-Universität Rechtswissenschaften.
Schon früh legte er seinen Schwerpunkt dabei auf das Arbeitsrecht und arbeitete zwischen seinem ersten Staatsexamen und seinem Referendariat zwei Jahre am Göttinger Institut für Arbeitsrecht bei Professor Junker. Im Anschluss war er dann für Wirtschaftsunternehmen und überörtliche Anwaltssozietäten tätig, bevor er im April 2007 – also vor 15 Jahren – seine Tätigkeit beim Arbeitgeberverband Mitte e.V. aufnahm.