Im Unter­wegs-Inter­view sprach der KWS-Vor­stands­spre­cher Felix Büch­ting wäh­rend eines Rund­gangs über den Fir­men­sitz und auf einem Abste­cher in die Ein­be­cker Innen­stadt mit Cha­rak­ter-Chef­re­dak­teur Ulrich Drees über Land­wirt­schaft, Lieb­lings­pflan­zen und Löwen.

Inter­view: Ulrich Drees | Fotos: Ste­phan Beu­er­mann tra­pez­film, Roman Tho­mas

Herr Büch­ting, seit Beginn des Jah­res sind Sie als Vor­stands­spre­cher der KWS tätig. Wel­che Ent­wick­lung ging dem vor­aus?
Zunächst habe ich ganz klas­sisch Land­wirt­schaft – also Agrar­bio­lo­gie – in Stutt­gart-Hohen­heim stu­diert und bin nach mei­nem Vor­di­plom dann in die USA gewech­selt, die damals – Mit­te der 90er-Jah­re – im Bereich Bio­tech­no­lo­gie klar füh­rend war. Ich stu­dier­te dann an der Ore­gon Sta­te Uni­ver­si­ty, wo ich mei­nen Mas­ter in den Berei­chen Crop und Plant Sci­ence absol­vier­te. Aus geplan­ten zwei wur­den fünf Jah­re, weil ich einen tol­len Pro­fes­sor und ein tol­les Pro­jekt hat­te, und auf den Mas­ter folg­te die Pro­mo­ti­on als Ph.D. Schließ­lich kehr­te ich jedoch zurück, um bei KSW im Bereich Saat­gut­pro­duk­ti­on als Trai­nee anzu­fan­gen.
Gibt es bestimm­te Erfah­run­gen, die Sie aus den USA mit­ge­nom­men haben?
Vor allem die, nicht mehr alles als selbst­ver­ständ­lich zu betrach­ten. Als Stu­dent waren die USA für mich zum Bei­spiel vor allem das Land der unbe­grenz­ten Mög­lich­kei­ten und des tech­ni­schen Fort­schritts. Umso über­rasch­ter war ich, dass ich mei­ne Mie­te mit monat­li­chen Schecks bezah­len muss­te, die mein Ver­mie­ter zur Bank trug, obwohl das in Deutsch­land längst per Dau­er­auf­trag oder Ein­zugs­er­mäch­ti­gung funk­tio­nier­te. Zu erle­ben, wie sehr sich selbst west­li­che Indus­trie­län­der unter­schei­den kön­nen, war ein ech­tes Key-Lear­ning.
Als Sie aus den USA zur KWS zurück­kehr­ten, sind Sie zunächst als Trai­nee nach Frank­reich gegan­gen.
Ja, in Ein­beck hät­te ich zu sehr unter dem Brenn­glas gestan­den. Außer­dem woll­te ich noch eine ande­re Spra­che, bzw. Men­ta­li­tät ken­nen­ler­nen. Nach­dem ich dort in der Saat­gut­pro­duk­ti­on und im Ver­trieb und Mar­ke­ting für Mais und Ölfrüch­te gear­bei­tet hat­te, wech­sel­te ich für ca. fünf Jah­re zum Aro­men­her­stel­ler Sym­ri­se, zuerst ins Pro­dukt­ma­nage­ment für Pflan­zen­ex­trak­te und dann in den Ein­kauf. Inhalt­lich war das ein wenig „back to the roots“, weil es dabei genau­so um den loka­len Zwie­bel­an­bau in Holz­min­den wie um Son­nen­blu­men- und Soja­öl sowie exo­ti­sche­re Roh­stof­fe, wie Tee, Kaf­fee, Kakao und natür­lich Vanil­le, ging.
Das klingt nach inter­na­tio­na­len Auf­ga­ben?
Ja. Weil z.  B. 80  % der welt­wei­ten Vanil­le aus Mada­gas­kar kommt, konn­te ich bei Sym­ri­se die Welt – ins­be­son­de­re Afri­ka – ken­nen­ler­nen. 2016 kehr­te ich dann zur KWS zurück, um die Ver­ant­wor­tung für unser ope­ra­ti­ves Getrei­de­ge­schäft zu über­neh­men.
Was sind die ers­ten drei Wor­te, die Ihnen zu Afri­ka ein­fal­len?
Diver­si­tät, Safa­ri und Herz­lich­keit.
Safa­ris, dann haben Sie dem Löwen ins Auge geblickt?
Ja. Das fas­zi­niert mich. Seit ich auf mei­ner ers­ten Safa­ri in Süd­afri­ka Tie­re in frei­er Wild­bahn gese­hen habe, gehe ich auch nicht mehr in Zoos. Am beein­dru­ckends­ten war für mich der Besuch der Seren­ge­ti, wegen der Wei­te der Land­schaft und der schie­ren Mas­se an Tie­ren. Wenn eine Gnu-Her­de an einem vor­bei­zieht und man die Tie­re fast mit der Hand berüh­ren kann, sind das unver­gess­li­che Erin­ne­run­gen.
Herz­lich­keit, woher kommt die in Afri­ka?
Natür­lich bin ich kein Eth­no­lo­ge oder Sozio­lo­ge, aber ich ver­mu­te, dass wir Euro­pä­er sie des­halb so deut­lich wahr­neh­men, weil unser Lebens­rhyth­mus durch die Indus­tria­li­sie­rung deut­lich stär­ker durch­ge­tak­tet ist. Dane­ben spielt die Bedeu­tung von Groß­fa­mi­li­en in Afri­ka eine Rol­le und drit­tens das Kli­ma. Weil das Leben in Afri­ka viel mehr auf der Stra­ße und im öffent­li­chen Raum statt­fin­det – natür­lich auch bedingt durch die wirt­schaft­li­chen und sozia­len Ver­hält­nis­se vie­ler Men­schen – sind alle sehr viel offe­ner zuein­an­der. Beson­ders habe ich das in Mada­gas­kar gespürt, einem sehr, sehr armen Land. Die Men­schen dort kamen mir im Durch­schnitt viel glück­li­cher vor als die Leu­te hier­zu­lan­de. Für mich war das ein ech­ter „rea­li­ty check“ – haut­nah zu erfah­ren, dass jemand, der sehr viel weni­ger hat als ich, des­we­gen nicht weni­ger glück­lich sein muss.
Aktu­ell woh­nen Sie wie­der in Ein­beck?
Ja, das gehört für uns als hier ansäs­si­ges Fami­li­en­un­ter­neh­men ein­fach mit dazu. Wie soll ich Men­schen davon über­zeu­gen, für uns zu arbei­ten und sich hier nie­der­zu­las­sen, wenn ich selbst von Frei­tag­nach­mit­tag bis Mon­tag früh in Ber­lin lebe? Mei­ne Frau und ich woh­nen jetzt in dem Haus, das mei­ne Urgroß­el­tern bau­ten, als Anfang der 50er-Jah­re klar war, dass sie nach der Grün­dung der Bun­des­re­pu­blik und der DDR – also der Tren­nung von West und Ost – nicht mehr nach Klein Wanz­le­ben zurück­keh­ren wür­den.
Das liegt in der Nähe von Mag­de­burg in Sach­sen-Anhalt. Stammt Ihre Fami­lie von dort?
Ja, mein Ur-ur-ur-ur-Groß­va­ter Mat­thi­as Chris­ti­an Rab­beth­ge war Land­wirt in der Mag­de­bur­ger Bör­de. Er hat­te 1847 einen Hof in Klein Wanz­le­ben gepach­tet und so Antei­le an der dort schon 1838 von den Land­wir­ten der Gegend gegrün­de­ten Zucker­fa­brik über­nom­men. Und weil er sei­nen Hof sehr erfolg­reich bewirt­schaf­te­te, konn­te er nach und nach die Antei­le ande­rer Land­wir­te an die­ser Zucker­fa­brik über­neh­men, bis er 1856 die Anteils­mehr­heit hielt und unter­neh­me­risch Ein­fluss neh­men konn­te. Bis 1945 hat die Fami­lie dort wei­ter Land­wirt­schaft betrie­ben; in den 30er-Jah­ren bewirt­schaf­te­ten wir rund 7.000 Hekt­ar Land.
Spiel­te die­se Tra­di­ti­on in Ihrer Jugend eine Rol­le? Gab es ein Selbst­ver­ständ­nis: Wir sind Land­wir­te?
Klar. Schon bei mei­nen Groß­el­tern und dann auch bei mei­nem Vater stand immer ein Regen­mes­ser im Gar­ten. Da wur­de nicht nur geguckt, wie viel es gereg­net hat­te, das wur­de eben­falls notiert, weil aus­rei­chen­der Nie­der­schlag für die Land­wirt­schaft eben maß­geb­lich ist. Ich habe auch schon sehr früh gelernt, was da auf unse­ren Fel­dern wuchs.


Tra­di­ti­on und Fami­lie mani­fes­tie­ren sich oft in bestimm­ten Gegen­stän­den. Gibt es da etwas, bei dem Sie so eine Ver­bin­dung spü­ren?
In unse­rem Haus gibt es eine Rei­he von Objek­ten, die mich an ver­schie­de­ne Epi­so­den erin­nern. Wir haben zum Bei­spiel im Ein­gangs­be­reich eine Tru­he aus dem Haus mei­ner Groß­el­tern, bei deren Anblick ich stets an sie den­ken muss. Es ist ein­fach schön, die­se Ver­bin­dung zu haben.
Wes­halb haben Sie sich ent­schie­den, Land­wirt­schaft zu stu­die­ren – als Vor­be­rei­tung dar­auf, ein­mal die Ver­ant­wor­tung für das Fami­li­en­un­ter­neh­men zu über­neh­men?
Nein, zunächst hat mich mein Stu­di­um vor allem inhalt­lich inter­es­siert. Damals gab es die ers­ten Frei­set­zungs­ver­su­che mit gen­tech­nisch ver­än­der­tem Mais und eine ent­spre­chen­de öffent­li­che Dis­kus­si­on. Ich fand das The­ma ein­fach sehr fas­zi­nie­rend. Trotz­dem war mir natür­lich bewusst, dass ich durch mei­ne Fami­lie von Beginn an in gewis­ser Wei­se pri­vi­le­giert war, und irgend­wann gab es die bewuss­te Ent­schei­dung, mich auf das unter­neh­me­ri­sche Erbe vor­zu­be­rei­ten.
Die­ses Selbst­ver­ständ­nis als Land­wirt, passt das zu Gen­tech­no­lo­gie und inter­na­tio­na­len Wirt­schafts­be­zie­hun­gen, den The­men bei KWS?
Das gehört zusam­men. Trotz die­ses viel­leicht etwas roman­ti­sier­ten Bil­des der Land­wirt­schaft, das die Lebens­mit­tel­in­dus­trie gern in der Wer­bung bemüht, ist land­wirt­schaft­li­che Pro­duk­ti­on eine indus­tri­el­le Fer­ti­gung, bei der weit mehr Tech­no­lo­gie genutzt wird als Trak­to­ren und Mäh­dre­scher. Gleich­zei­tig stel­len wir kei­ne Schrau­ben oder Scho­ko­la­den­ta­feln her. Wir sind immer von den Umwelt­be­din­gun­gen abhän­gig, die drau­ßen auf den Fel­dern herr­schen. Zum Bei­spiel sind neue Wirt­schafts­prü­fer oft irri­tiert, dass das Gewicht von sagen wir ein­tau­send Wei­zen­kör­nern von Jahr zu Jahr vari­iert.
Saat­gut her­zu­stel­len, hat das ange­sichts des Hun­gers in der Welt auch eine ethi­sche Kom­po­nen­te? Spielt die eine Rol­le für Ihre Arbeit?
Wir ste­hen natür­lich am Anfang der land­wirt­schaft­li­chen Wert­schöp­fungs­ket­te. Das erfüllt uns zum einen mit einem gewis­sen Stolz, ist aber auch eine Ver­pflich­tung. Denn wir kön­nen Land­wir­ten ermög­li­chen, mit einer neu­en, ertrags­stär­ke­ren Sor­te auf der­sel­ben Flä­che ein wenig mehr zu ern­ten. Die­ser Zusam­men­hang ist jun­gen Men­schen aktu­ell so wich­tig, dass er uns sogar einen Wett­be­werbs­vor­teil auf dem enger wer­den­den Fach­kräf­te­markt bie­tet. Trotz­dem kann Pflan­zen­züch­tung die glo­ba­le Ernäh­rungs­her­aus­for­de­rung nicht allein lösen. Dazu gibt es zu vie­le gro­ße Stell­schrau­ben.
Wird sich die in der euro­päi­schen Land­wirt­schaft herr­schen­de Viel­falt an Pflan­zen­sor­ten im Zuge des Kli­ma­wan­dels und des Ein­sat­zes beson­ders effi­zi­en­ter Sor­ten ver­klei­nern?
Ganz im Gegen­teil. Für eine nach­hal­ti­ge Land­wirt­schaft, die gegen schwan­ken­de Umwelt­ein­flüs­se resi­li­ent ist, brau­chen wir eher Diver­si­tät auf dem Acker. Hin­zu kommt, dass die Euro­päi­sche Uni­on bis 2050 kli­ma­neu­tral sein will. Dazu gehört eine „Farm to Fork“-Strategie, nach der bis 2030 50  % weni­ger Pflan­zen­schutz­mit­tel und 20  % weni­ger syn­the­ti­scher Dün­ger zum Ein­satz kom­men sol­len. Auch das braucht Lösun­gen. Eine davon ist eine höhe­re Diver­si­tät in der Frucht­fol­ge, die ins­be­son­de­re gegen Unkraut hilft.
Ein wei­te­rer Teil der EU-Stra­te­gie ist die Aus­wei­tung bio­lo­gi­scher Land­wirt­schaft. Wie geht KWS mit die­ser Ent­wick­lung um?
Wir sind der größ­te Anbie­ter öko­lo­gi­schen Saat­guts in Deutsch­land und sind bereits vor 20 Jah­ren in die­sem Bereich aktiv gewor­den. Schon 2000 haben wir in Wie­b­rechts­hau­sen einen Betrieb gepach­tet, den wir auf öko­lo­gi­sche Bewirt­schaf­tung umge­stellt haben. Dort tes­ten wir Pro­duk­te unter öko­lo­gi­schen Bedin­gun­gen. Die Umsät­ze in die­sem Bereich sind zwar noch über­schau­bar, aber das ist klar eines unse­rer Stand­bei­ne.
Betrifft die zuneh­men­de Digi­ta­li­sie­rung der Land­wirt­schaft auch die Arbeit der KWS?
Zunächst sind wir von der­sel­ben Grund­vor­aus­set­zung abhän­gig wie die Land­wirt­schaft: einer guten Netz­ab­de­ckung. Ohne die kön­nen wir die Tech­no­lo­gien, die heu­te längst nor­mal sind, gar nicht nut­zen. Eine Droh­ne, die über ein Feld fliegt, kann mit ihren Sen­so­ren weit mehr Infor­ma­tio­nen erfas­sen als ein Mensch mit blo­ßem Auge, der zu Fuß unter­wegs ist. Aber ohne die ent­spre­chen­de Band­brei­te bringt das nichts.
Bei unse­rem Rund­gang haben wir direkt nach dem Besuch Ihres hoch­tech­nisch wir­ken­den Labor­ge­bäu­des zwei KWS-Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter gese­hen, die neben einem gro­ßen Gewächs­haus ganz tra­di­tio­nell per Hand an eini­gen Grün­pflan­zen arbei­te­ten. Braucht man bei Ihnen noch den berühm­ten „Grü­nen Dau­men“?
Die­se Ver­bin­dung aus High­tech und manu­el­ler Tätig­keit zieht sich wie ein roter Faden durch unse­re Arbeit. Ohne den grü­nen Dau­men geht es nicht. Wenn wir im Som­mer bei­spiels­wei­se eine Zucker­rü­be kreu­zen wol­len – also eine Vater­pflan­ze mit einer Mut­ter­pflan­ze –, dann muss bei der Mut­ter­pflan­ze der männ­li­che Pol­len­spen­der ent­fernt wer­den. Das machen spe­zi­ell geschul­te Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen mit ruhi­gen Hän­den, die den Pol­len mit der Pin­zet­te ent­fer­nen, damit er für die Bestäu­bung einer ande­ren Pflan­ze genutzt wer­den kann.
Wie ist es mit Ihnen, erle­ben Sie auch noch die­sen direk­ten Kon­takt?
Das gehört dazu. Ich habe immer Gum­mi­stie­fel im Auto, weil ich bei­spiel­wei­se im spä­ten Früh­jahr bis frü­hen Som­mer mit den Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen aus der Züch­tung aufs Feld fah­re – vor allem zu Getrei­de und Raps –, um mir einen Ein­druck von der Pro­dukt­ent­wick­lung zu ermög­li­chen. Im Herbst geht es dann in die Rüben oder den Mais. Da gilt die Devi­se: Es gibt kein schlech­tes Wet­ter, nur die fal­sche Klei­dung. Zu erle­ben, mit wel­cher Lei­den­schaft die Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen dabei sind, macht viel Spaß.


Wel­che Bezie­hung haben Sie zu Pflan­zen?
Das ist eine gute Fra­ge. Ich bin zwar kein Gärt­ner und habe auch kei­nen aus­ge­wie­se­nen grü­nen Dau­men, aber trotz­dem sind mir Pflan­zen sehr nahe. Aus mei­nem Ver­ständ­nis dafür, wie Land­wirt­schaft funk­tio­niert und was es braucht, um Lebens­mit­tel zu pro­du­zie­ren, erwächst eine gro­ße Fas­zi­na­ti­on für Pflan­zen. Wenn man ein ein­zel­nes Wei­zen­korn nimmt, es aus­sät und am Ende der Vege­ta­ti­ons­pe­ri­ode eine gan­ze Hand­voll Wei­zen ern­tet, der dann in Mehl ver­wan­delt wer­den kann – das ist ganz nah am Ursprung des Lebens. Ich emp­fin­de gro­ßen Respekt dafür, was die Natur immer wie­der auf die Bei­ne stellt.
In gewis­ser Wei­se hel­fen Sie der Natur mit Ihrer Arbeit ja dabei. Was emp­fin­den Sie in die­sem Zusam­men­hang als Erfolgs­er­leb­nis?
Wenn eines unse­rer manch­mal lang­wie­ri­gen Pro­jek­te gelingt, ist das etwas ganz Beson­de­res. Als die EU z.  B. vor drei Jah­ren die Insek­ti­zi­de Chlor­py­rif­os und Chlor­py­rif­os-methyl ver­bot, ver­schwan­den damit natür­lich nicht die Insek­ten, die durch die­se Mit­tel sehr gut in Schach gehal­ten wur­den. Sie befal­len wei­ter den Raps, die Zucker­rü­be und ande­re Kul­tur­ar­ten. Wenn wir dann erfolg­reich eine wil­de Rübe, die mit der Zucker­rü­be ver­wandt ist und eine Resis­tenz gegen die­se Insek­ten besitzt, in unser Rüben­ma­te­ri­al ein­zu­kreu­zen ver­su­chen – dann fie­be­re ich dabei nicht nur mit den Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen mit, son­dern feie­re auch das Ergeb­nis mit ihnen.
Zumeist geht es uns aber natür­lich um eine Ertrags­stei­ge­rung, die eine grö­ße­re Ern­te auf der glei­chen Flä­che ermög­licht. Das ist zum einen nach­hal­tig, vor allem aber eine der Haupt­vor­aus­set­zun­gen für die nöti­ge Zulas­sung einer Sor­te durch das Bun­des­sor­ten­amt. Vie­len Men­schen ist gar nicht bewusst, dass in Euro­pa staat­li­che Rege­lun­gen dar­über ent­schei­den, ob wir ein Pro­dukt über­haupt anbie­ten dür­fen. Bevor wir es am Markt anbie­ten, prüft das Bun­des­sor­ten­amt objek­tiv, ob in Sachen Ertrag, aber z.  B. auch Krank­heits­to­le­ranz oder Back­qua­li­tät, die­ses bes­ser ist als ande­re bereits ver­füg­ba­re Pro­duk­te.
Vom KWS-Stand­ort sind wir jetzt in die Ein­be­cker Innen­stadt in die KWS Art Lounge in der Tie­dex­er Stra­ße gefah­ren. Wel­che Bedeu­tung hat Kunst für einen Saat­gutspe­zia­lis­ten?
Kunst ist ein Bestand­teil unse­rer Unter­neh­mens­phi­lo­so­phie. Seit ca. 1999 füh­ren wir regel­mä­ßig in einem Raum vor unse­rem Labor­ge­bäu­de Aus­stel­lun­gen durch, um jun­gen Künst­le­rin­nen und Künst­lern eine Platt­form zu bie­ten. Zu die­sem Kon­zept gehört auch die Art Lounge, die ja öffent­li­cher ist. Auf dem Betriebs­ge­län­de ist die Idee, dass die Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen in der Mit­tags­pau­se oder beim Kaf­fee­holen mit Kunst in Ver­bin­dung tre­ten kön­nen, sich Anre­gun­gen und neue Blick­win­kel eröff­nen kön­nen. Genau­so wie die Kunst braucht auch Wis­sen­schaft einen Frei­raum, um sich zu ent­fal­ten, einen Ort für Krea­ti­vi­tät, in dem Neu­es ent­steht. Bei der Art Lounge geht es uns aber auch dar­um, die Attrak­ti­vi­tät der Ein­be­cker Innen­stadt zu erhal­ten. Des­halb zei­gen wir hier Kunst, bie­ten den Raum aber auch zur Nut­zung für Work­shops und Ähn­li­ches an.
Gibt es da Rück­mel­dun­gen? Funk­tio­niert die­ses Zusam­men­spiel von Kunst und Wis­sen­schaft für die KWS?
Sicher gibt es Aus­stel­lun­gen, die bes­ser ange­nom­men wer­den als ande­re, aber ins­ge­samt sind die Reak­tio­nen sehr posi­tiv. Wir erle­ben immer häu­fi­ger, dass Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen mit eige­nem Büro anfra­gen, ob sie nicht ein Kunst­werk bei sich auf­hän­gen kön­nen.
Nicht nur die Land­wirt­schaft, unse­re gan­ze Gesell­schaft erlebt gera­de einen ech­ten Struk­tur­wan­del. Wel­che The­men sind für Ihr Unter­neh­men in den nächs­ten Jahr­zehn­ten wich­tig?
Alle drei Jah­re erstel­len wir eine Ana­ly­se, wel­che poli­ti­schen, tech­no­lo­gi­schen oder gesell­schaft­li­chen Ent­wick­lun­gen sich auf die „land­wirt­schaft­li­che“ Welt aus­wir­ken wer­den. Dar­auf rich­ten wir unse­re Stra­te­gien dann aus. 2018 haben wir auf die­ser Basis bei­spiels­wei­se beschlos­sen, uns noch etwas brei­ter und resi­li­en­ter auf­zu­stel­len, und sind in den für uns neu­en Gemü­se­markt ein­ge­stie­gen. Lang­fris­ti­ge Pla­nun­gen sind für uns wich­tig, weil Pro­jek­te, die wir heu­te star­ten, erst in sechs bis zehn Jah­ren erfolg­reich abge­schlos­sen wer­den kön­nen. Die­se Zeit brau­chen wir in der Pflan­zen­züch­tung ein­fach.
Wie infor­mie­ren Sie sich selbst für Ihre Auf­ga­ben?
Zum einen lese ich ganz klas­sisch Zei­tung und Bücher – in Papier­form, weil ich ein­fach ungern den gan­zen Tag vor einem Tablet oder Moni­tor sit­zen möch­te. Ansons­ten infor­mie­re ich mich natür­lich über ver­schie­de­ne News­let­ter. Wir haben auch Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen, die täg­lich alle bran­chen­re­le­van­ten Infor­ma­tio­nen sich­ten und bün­deln. Eine wich­ti­ge Rol­le spielt dar­über hin­aus der per­sön­li­che Aus­tausch über Netz­wer­ke, auf Ver­an­stal­tun­gen oder auf Unter­neh­mer­ebe­ne. Bei­spiels­wei­se besu­che ich immer wie­der gern die jähr­li­che „Fal­ling Walls Con­fe­rence“ in Ber­lin. Dort wer­den in 15-minü­ti­gen Kurz­re­fe­ra­ten die rele­van­tes­ten Ent­wick­lun­gen in ver­schie­de­nen wis­sen­schaft­li­chen Dis­zi­pli­nen vor­ge­stellt, wobei die Natur­wis­sen­schaf­ten zwar domi­nie­ren, es aber auch geis­tes­wis­sen­schaft­li­che The­men gibt. Das ist vor allem des­halb span­nend, weil ich mit­be­kom­me, was außer­halb der „Pflan­zen­welt“ läuft.
Was lesen Sie in Ihrer Frei­zeit?
Im Nor­mal­fall lese ich Fach­bü­cher, gera­de jedoch einen Roman: „Wel­ten aus­ein­an­der“ von Julia Franck. Ansons­ten mag ich eher Kri­mis, bei­spiels­wei­se eine Rei­he von Mar­tin Wal­ker, „Bru­no, Chef de poli­ce“, die ich sehr emp­feh­len kann. Die Geschich­ten spie­len in der Dordo­gne in Süd­frank­reich und gei­zen nicht mit der Beschrei­bung der Land­schaft und des Essens und Trin­kens.
Haben Sie eigent­lich eine Lieb­lings­pflan­ze?
Ja. Habe ich. Das ist mei­ner Pro­mo­ti­on geschul­det. Ich habe an Son­nen­blu­men gear­bei­tet, und ich fin­de, die Son­nen­blu­me ist eine wun­der­schö­ne Pflan­ze. Ange­sichts mei­ner Fami­li­en­ge­schich­te müss­te ich eigent­lich die Zucker­rü­be nen­nen, aber von der sieht man ehr­lich gesagt auf dem Feld so wenig, weil der wich­tigs­te Teil in der Erde liegt.

Dr. Felix Büch­ting
Dr. Felix Büch­ting (geb. 1974) ist seit 2019 Mit­glied des Vor­stands von KWS und seit dem 01. Janu­ar 2023 Vor­stands­spre­cher. Er stu­dier­te an der Hoch­schu­le Stutt­gart-Hohen­heim Agrar­bio­lo­gie und an der Ore­gon Sta­te Uni­ver­si­ty, Cor­val­lis, Ore­gon, Agrar­wis­sen­schaf­ten und Mole­ku­lar­bio­lo­gie und pro­mo­vier­te dort auf dem Gebiet der Pflan­zen­züch­tung. Bei KWS ver­ant­wor­tet er aktu­ell die Res­sorts Rese­arch, Bree­ding, Glo­bal Human Resour­ces, Far­ming, Group Stra­tegy, Cor­po­ra­te Office & Ser­vices.

Neue Pflan­ze – neu­er Name
Die KWS ent­wi­ckelt bestän­dig neue Pflan­zen­sor­ten, die dann auch einen Namen brau­chen. Wie etwa eine neue Zucker­rü­ben­sor­te hei­ßen soll, das wird beim Bun­des­sor­ten­amt geneh­migt, die Züch­te­rin oder der Züch­ter hat jedoch das Vor­schlags­recht. Felix Büch­ting erin­nert sich bei­spiels­wei­se an einen Züch­ter, „der war sehr fuß­ball­af­fin, und so gab es eine Rei­he von Mais­sor­ten, die dann „Ronald­in­ho“, „Tor­res“ usw. hie­ßen. „Bei der Zucker­rü­be“, führt er aus, „haben wir vor eini­gen Jah­ren aus Wie­der­erken­nungs­grün­den ent­schie­den, dass jeder neue Name auf „a“ enden soll. Ab einem bestimm­ten Zeit­punkt muss­ten wir dann sehr krea­tiv wer­den, um Namen zu fin­den, die noch nicht durch eige­ne Pro­duk­te oder sol­che der Kon­kur­renz besetzt waren.“

KWS Saat SE & Co. KGaA 
Die KWS (ursprüng­lich: Klein Wanz­le­be­ner Saat­zucht) ist ein bör­sen­ori­en­tier­tes Unter­neh­men, das sich auf die The­men Pflan­zen­züch­tung und Bio­tech­no­lo­gie spe­zia­li­siert hat. Welt­weit ist KWS, bezo­gen auf den Umsatz aus land­wirt­schaft­li­chen Nutz­pflan­zen, der viert­größ­te Her­stel­ler von Saat­gut. Im Geschäfts­jahr 2021/2022 beschäf­tig­te das Unter­neh­men über 5.000 Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter in mehr als 70 Län­dern und erziel­te einen Jah­res­um­satz von rund 1,5 Mrd. Euro. Gegrün­det wur­de es von dem Zucker­rü­ben­züch­ter Mat­thi­as Chris­ti­an Rab­beth­ge und sei­nem spä­te­ren Schwie­ger­sohn 1856 in Klein Wanz­le­ben bei Mag­de­burg als Rab­beth­ge & Gies­ecke OHG. Die OHG betrieb zunächst die Zucker­fa­brik Klein Wanz­le­ben.

„Urban Gar­dening“ mit Spe­zi­al-Saat­gut aus Ein­beck?
„Wir freu­en uns natür­lich, wenn der ein oder ande­re Urban Gar­de­ner unse­re Pro­duk­te anbaut, aber die­ser Markt ist heu­te noch nicht rele­vant genug, um dafür spe­zi­fi­sche Pro­duk­te zu ent­wi­ckeln. Auch wenn es für die Nah­rungs­mit­tel­ver­sor­gung immer nur ein Trop­fen auf dem hei­ßen Stein sein kann, ist Urban Gar­dening jedoch auf alle Fäl­le sinn­voll, weil es Men­schen wie­der einen Bezug zur Land­wirt­schaft ver­mit­telt. Wenn ich sie selbst gehegt und gepflegt habe, schmeckt die Kirsch­to­ma­te vom eige­nen klei­nen Beet oder Bal­kon eben doch bes­ser als die aus dem Dis­coun­ter um die Ecke.“