Foto: Gene­riert mit Mid­jour­ney

Was pas­siert eigent­lich, wenn in unse­ren Zel­len die geno­mi­sche Infra­struk­tur im Alter immer schad­haf­ter wird? Und wie funk­tio­nie­ren die Repa­ra­tur­ar­bei­ten im Genom? Dies erfor­schen Wissenschaftler*innen am Insti­tut für Human­ge­ne­tik der Uni­ver­si­täts­me­di­zin Göt­tin­gen.

Text: Karin Boß

Unab­läs­sig ist unser Erb­gut Bedro­hun­gen aus­ge­setzt. Umwelt­fak­to­ren wie UV-Strah­lung oder che­mi­sche Sub­stan­zen set­zen unse­rem gene­ti­schen Grund­ge­rüst, der DNA, zu. Aber auch zell­ei­ge­ne Pro­zes­se ber­gen Gefah­ren. Zum Bei­spiel muss vor jeder ein­zel­nen Zell­tei­lung die gesam­te DNA ver­dop­pelt wer­den. Dabei kön­nen sich leicht Feh­ler ein­schlei­chen. Wür­de man die in einem ein­zel­nen Zell­kern ent­hal­te­ne DNA ent­win­den, wäre sie etwa 2 m lang. Auf die Gesamt­zahl der Zel­len im mensch­li­chen Kör­per umge­rech­net, erstreckt sich die DNA über beein­dru­cken­de 150 Mil­li­ar­den Kilo­me­ter. Die­se immense Stre­cke zu war­ten und instand zu hal­ten stellt für unse­ren Orga­nis­mus eine Her­ku­les­auf­ga­be dar. Um sie zu bewäl­ti­gen, greift er auf aus­ge­klü­gel­te Mecha­nis­men zurück, die Schä­di­gun­gen in unse­rem Genom erst erken­nen und dann zügig repa­rie­ren. Doch nicht alle Schä­den sind repa­ra­bel. Dann wer­den die betrof­fe­nen Zel­len gleich­sam aus dem Ver­kehr gezo­gen, in den Ruhe­mo­dus ver­setzt oder in den pro­gram­mier­ten Zell­tod geführt. Lei­der funk­tio­nie­ren die­se Schutz­me­cha­nis­men mit zuneh­men­dem Alter immer weni­ger zuver­läs­sig. Die Fol­ge: Ver­än­de­run­gen und Schä­di­gun­gen der DNA sam­meln sich schlei­chend an, das Genom wird insta­bil. Die­se geno­mi­sche Insta­bi­li­tät ist eines der mole­ku­la­ren Kenn­zei­chen und gleich­zei­tig auch eine Ursa­che des Alte­rungs­pro­zes­ses, bei dem zunächst Zel­len und in der Fol­ge Orga­ne und Organ­sys­te­me ihre Funk­ti­ons­fä­hig­keit ein­bü­ßen. Alters­as­so­zi­ier­te Erkran­kun­gen wie Herz­er­kran­kun­gen, Krebs und neu­ro­de­ge­nera­ti­ve Erkran­kun­gen ent­ste­hen.

Was beschä­digt die Sta­bi­li­tät unse­res Genoms?
Wie genau kommt es zur geno­mi­schen Insta­bi­li­tät? Wie beein­flusst die­se den Alte­rungs­pro­zess und die Ent­ste­hung alters­be­ding­ter Krank­hei­ten? Und wel­che Rol­le spie­len dabei bestimm­te Gene? Die­se Fra­gen wol­len Pro­fes­sor Bernd Woll­nik und sein Team am Insti­tut für Human­ge­ne­tik der Uni­ver­si­täts­me­di­zin Göt­tin­gen beant­wor­ten. „Men­schen altern ganz unter­schied­lich – das sehen wir alle. Aber auch in den Zel­len hat die Alte­rung vie­le Gesich­ter, geht unter­schied­lich schnell von­stat­ten und zeigt sich in unter­schied­li­cher Form. Wir wol­len her­aus­fin­den, was bei der Alte­rung auf mole­ku­la­rer Ebe­ne pas­siert. Dazu unter­su­chen wir die Sequenz des gesam­ten Genoms, mes­sen gezielt, wel­che Gene wann wo aktiv sind, und wir schau­en uns an, was in ein­zel­nen Zel­len genau vor sich geht. Eini­ge die­ser Metho­den wie zum Bei­spiel die Bestim­mung geno­mi­scher Schä­den in altern­den Zel­len durch Ein­zel­zell-Genom­se­quen­zie­rung haben wir erst­ma­lig durch unser Team eta­bliert und in ers­ten Pilot­stu­di­en ange­wandt. Die Ergeb­nis­se sind bahn­bre­chend und zukunfts­wei­send“, so Woll­nik.
Sel­te­ne Erkran­kun­gen lie­fern Erkennt­nis­se über alters­be­ding­te Krank­hei­ten Eine Schlüs­sel­stra­te­gie der For­schungs­grup­pe ist die Unter­su­chung von Pati­en­ten und Pati­en­tin­nen, die auf­grund ange­bo­re­ner Gen­de­fek­te vor­zei­tig und schnell altern. Denn das Genom zeigt nicht nur mit zuneh­men­dem Alter Ver­schleiß­erschei­nun­gen. Vari­an­ten in spe­zi­fi­schen Genen, die für die kom­ple­xen Abläu­fe der DNA-Repa­ra­tur essen­zi­ell sind, kön­nen schon im Kin­des- oder frü­hen Erwach­se­nen­al­ter zu Anzei­chen einer beschleu­nig­ten Alte­rung und dem früh­zei­ti­gen Auf­tre­ten alters­as­so­zi­ier­ter Erkran­kun­gen füh­ren. Um die kli­ni­sche Ver­sor­gung die­ser Pati­en­ten und Pati­en­tin­nen zu ver­bes­sern, hat das Team um Pro­fes­sor Woll­nik am Zen­trum für Sel­te­ne Erkran­kun­gen Göt­tin­gen (ZSEG) ein deutsch­land­weit ein­ma­li­ges Zen­trum für Pro­ge­ro­ide Syn­dro­me gegrün­det.
Eine sol­che Erkran­kung ist bei­spiels­wei­se das sehr sel­te­ne Bloom-Syn­drom. Es ist u. a. mit einem erhöh­ten Risi­ko für Krebs­er­kran­kun­gen in jun­gen Jah­ren ver­bun­den. Ver­ur­sacht wird es durch Muta­tio­nen in Genen des BTRR-Kom­ple­xes, der eine wich­ti­ge Rol­le in der DNA-Repa­ra­tur spielt. „Wir erfor­schen, wie sich die Fehl­funk­ti­on von Pro­te­inen des BTRR-Kom­plex auf die Effi­zi­enz der DNA-Repa­ra­tur aus­wirkt. Span­nen­der­wei­se las­sen unse­re Unter­su­chun­gen erken­nen, dass Schä­den nicht wahl­los im Genom ent­ste­hen. Viel­mehr scheint es beson­ders ver­wund­ba­re, „fra­gi­le“ DNA-Berei­che zu geben, die wir nun unter­su­chen und sogar quan­ti­ta­tiv mes­sen kön­nen. Also ein neu­er bio­lo­gi­scher Mar­ker für Alte­rung“, erklärt Woll­nik.

Spe­zi­fi­sche Mecha­nis­men in ein­zel­nen Zel­len ent­schlüs­seln
Die For­schungs­grup­pe will die mole­ku­la­ren Mecha­nis­men der geno­mi­schen Insta­bi­li­tät auch gezielt für bestimm­te Zel­len und Gewe­be ent­schlüs­seln. Ein Schwer­punkt hier: das Herz und die Fra­ge „Wie wirkt sich die geno­mi­sche Insta­bi­li­tät auf Herz­mus­kel­zel­len aus?“. Dabei die­nen Zel­len von Pati­en­ten und Pati­en­tin­nen mit erb­li­chen Herz­er­kran­kun­gen als Grund­la­ge für Zell­mo­del­le, in denen die Wis­sen­schaft­ler und Wis­sen­schaft­le­rin­nen nicht nur das Erb­gut im Zell­kern ana­ly­sie­ren, son­dern auch die in Mito­chon­dri­en ent­hal­te­ne DNA. Im Rah­men ihrer Pro­jek­te des Son­der­for­schungs­be­rei­ches 1002 „Modu­la­to­ri­sche Ein­hei­ten bei Herz­in­suf­fi­zi­enz“ sowie des Göt­tin­ger Exzel­lenz­clus­ters „Mul­tis­ca­le Bio­ima­ging (MBExC)“ konn­ten die For­scher und For­sche­rin­nen der Human­ge­ne­tik bereits zei­gen, dass sich auch in der mito­chon­dria­len DNA (mtDNA) im Lau­fe des Lebens Schä­den anhäu­fen. Mit neu­ar­ti­gen Metho­den gelang es ihnen, erst­mals spe­zi­fi­sche Signa­tu­ren der ver­än­der­ten mtDNA nach­zu­wei­sen, die auf einen bis­her unbe­kann­ten Mecha­nis­mus schlie­ßen las­sen.

Gen­the­ra­peu­ti­sche Ansät­ze und gesun­des Altern sind die Zie­le
Moder­ne mole­ku­lar­bio­lo­gi­sche Werk­zeu­ge ver­schaf­fen der human­ge­ne­ti­schen For­schung also fas­zi­nie­ren­de neue Ein­bli­cke in die Vor­gän­ge im Zell­in­nern, sowohl in Bezug auf die DNA als geno­mi­sche Infra­struk­tur als auch auf die Pro­zes­se, die von ihr aus­ge­hen. Bernd Woll­nik blickt aber wei­ter: „Unser Ziel ist nicht nur, Mecha­nis­men und Zusam­men­hän­ge zu erfor­schen, son­dern auch zu Lösun­gen bei­zu­tra­gen – ins­be­son­de­re durch inno­va­ti­ve The­ra­pie­an­sät­ze wie die kli­ni­sche Anwen­dung von Geno­me­di­tie­rung mit­tels CRISPR/Cas. Im Fokus unse­rer Trans­la­ti­ons­for­schung ste­hen dabei Pati­en­ten und Pati­en­tin­nen mit sel­te­nen Syn­dro­men der gene­ti­schen Insta­bi­li­tät und ande­ren erb­li­chen Erkran­kun­gen. Gleich­zei­tig treibt uns die Fra­ge an: Ist es mög­lich, die­se Pro­zes­se prä­ven­tiv zu beein­flus­sen, so dass wir alle gesün­der altern kön­nen?“

Die Wis­sen­schaft­ler und Wis­sen­schaft­le­rin­nen des Insti­tuts für Human­ge­ne­tik der UMG nut­zen auch spe­zi­el­le Hoch­leis­tungs­mi­kro­sko­pe, um die dyna­mi­schen Alte­rungs­pro­zes­se in einer ein­zel­nen Zel­le zu ver­fol­gen (Foto: Ronald Schmidt).

Prof. Dr. med. Bernd Woll­nik
Direk­tor
Insti­tut für Human­ge­ne­tik
Uni­ver­si­täts­me­di­zin Göt­tin­gen
Tele­fon: 05 51 / 39-60 60 6
Bernd.wollnik@med.uni-goettingen.de
www.humangenetik-umg.de