Im Cha­rak­ter-Inter­view gehen Prof. Dr. med. Jens Wilt­fang, Direk­tor der Kli­nik für Psych­ia­trie und Psy­cho­the­ra­pie, und Prof. Dr. med. Chris­ti­an Rie­del, Direk­tor des Insti­tuts für Dia­gnos­ti­sche und Inter­ven­tio­nel­le Neu­ro­ra­dio­lo­gie, auf neue Mög­lich­kei­ten der Alz­hei­mer-The­ra­pie ein.

Inter­view: Ulrich Drees | Fotos: UMG, Ado­be Stock

Herr Prof. Wilt­fang, aktu­ell ste­hen zwei neue Medi­ka­men­te zur Behand­lung von Alz­hei­mer-Demenz vor der Zulas­sung. Was bedeu­tet das für betrof­fe­ne Pati­en­ten?
Es han­delt sich um zwei mono­klon­a­le Anti­kör­per. Der ers­te, Leca­ne­mab, wur­de von der Fir­ma Eisai ent­wi­ckelt und wird in Deutsch­land vor­aus­sicht­lich noch in die­sem Jahr zuge­las­sen. Der zwei­te sehr aus­sichts­rei­che Wirk­stoff namens Dona­ne­mab der Fir­ma Lil­ly wird ver­mut­lich im kom­men­den Jahr zuge­las­sen. Bei­de grei­fen die für Neu­ro­nen gif­ti­gen Stof­fe an, die sich im Gehirn von Alz­hei­mer-Pati­en­ten anrei­chern. Damit kön­nen sie erst­mals die Dyna­mik der Erkran­kung maß­geb­lich abschwä­chen. Das bedeu­tet kei­ne Hei­lung, aber die Betrof­fe­nen gewin­nen kost­ba­re Lebens­zeit und Lebens­qua­li­tät, indem sie die­se lang­fris­ti­ge Infu­si­ons­the­ra­pie nut­zen.

Wie vie­le Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten könn­ten in Göt­tin­gen von die­sen Medi­ka­men­ten pro­fi­tie­ren?
Wir ken­nen aktu­ell ca. 100 Pati­en­ten, bei denen wir gesi­chert ein Früh­sta­di­um der Alz­hei­mer-Demenz dia­gnos­ti­ziert haben. Das ist rele­vant, weil die Behand­lung mit die­sen Medi­ka­men­ten schon ein­set­zen soll­te, wenn wir eine leich­te kogni­ti­ve Beein­träch­ti­gung erken­nen. Die­ses Sta­di­um lässt sich bereits mit ein­fa­chen psy­cho­lo­gi­schen Tests nach­wei­sen, u. a. regis­trie­ren die Betrof­fe­nen ers­te Sym­pto­me, wie ein nach­las­sen­des Gedächt­nis. Ihren All­tag kön­nen sie mit klei­nen Hil­fe­stel­lun­gen, wie z. B. dem Schrei­ben von Zet­tel­chen, aber noch gut bewäl­ti­gen. Sobald die Medi­ka­men­te ver­füg­bar sind und eine über­re­gio­na­le Nach­fra­ge ein­setzt, wird die Zahl aber noch deut­lich zuneh­men und auch in Zukunft noch gewal­tig anwach­sen.

Herr Prof. Rie­del, wel­chen Blick haben Sie als Radio­lo­ge auf die­se The­ma­tik?
Das The­ma Alz­hei­mer-Demenz ist in der brei­ten Bevöl­ke­rung ange­kom­men und erzeugt Angst. Wir wer­den immer häu­fi­ger gefragt, ob wir ein­mal schau­en kön­nen, ob eine Demenz droht, weil jemand eine leich­te Ver­gess­lich­keit bemerkt. Dahin­ter steht jedoch eine unan­ge­brach­te Erwar­tungs­hal­tung. Bis es zur Ent­wick­lung einer Demenz kommt, ist das Gehirn nicht nur gesund geal­tert, es kön­nen noch vie­le ande­re Schä­di­gun­gen ent­stan­den sein, wie etwa Gefäß­pro­ble­me, oder ein Unfall hat Nar­ben am Gehirn hin­ter­las­sen. Auch die Ergeb­nis­se unse­rer fort­ge­schrit­te­nen, moder­nen Magnet­re­so­nanz­to­mo­gra­fie (MRT) müs­sen des­halb immer noch von Exper­ten ein­ge­ord­net wer­den. Weil das Gehirn so kom­plex ist, kön­nen wir erst nach einer funk­tio­na­len Ein­ord­nung durch einen kli­ni­schen Arzt mit ver­schie­de­nen Test­ver­fah­ren eine genaue­re Loka­li­sa­ti­on durch­füh­ren. Hin­zu kommt, dass für gesi­cher­te Ergeb­nis­se außer­dem eine län­ger­fris­ti­ge Ver­laufs­kon­trol­le sinn­voll ist. Die­ser inte­gra­ti­ve Ansatz ist ent­schei­dend.

Herr Prof. Wilt­fang, funk­tio­niert die­se Zusam­men­ar­beit in Göt­tin­gen?
Wir haben hier über die Haus­ärz­te und nie­der­ge­las­se­nen Fach­ärz­te bis zu uns als Uni­ver­si­täts­kli­nik ein­ge­spiel­te Netz­wer­ke mit durch­gän­gig hoher Kom­pe­tenz, sind also her­vor­ra­gend auf­ge­stellt. Das ermög­licht, auch den wich­ti­gen Aspekt der Begleit­erkran­kun­gen zu berück­sich­ti­gen, denn gefäß­be­ding­te Erkran­kun­gen, Dia­be­tes Typ 2 oder eine Par­kin­son-Erkran­kung wir­ken für den Ver­lauf einer Alz­hei­mer-Demenz wie „Tur­bo­la­der“. Da sich gefäß­be­ding­te Erkran­kun­gen und Par­kin­son bild­ge­bend sehr gut erfas­sen las­sen, kön­nen sie von den nie­der­ge­las­se­nen Kol­le­gen ent­spre­chend mit­be­han­delt wer­den.

Wel­che wei­te­ren Aspek­te der neu­en Medi­ka­men­te sind im Bereich der bild­ge­ben­den Dia­gnos­tik wich­tig?
Rie­del: Wir müs­sen über die anrol­len­de Wel­le der Demenz-Pati­en­ten hin­aus auch die Wir­kung der The­ra­pien an den aktu­ell bereits zur Ver­fü­gung ste­hen­den Kan­di­da­tin­nen mes­sen. Kommt es zu weni­ger Abla­ge­run­gen oder neh­men sie zu? Schrumpft das Hirn nicht wei­ter? Gibt es kom­pli­zier­te Neben­wir­kun­gen, wie etwa Ein­blu­tun­gen? Das heißt, wir müs­sen die Pati­en­ten auch nach der Initi­al­dia­gnos­tik wei­ter­hin regel­mä­ßig scan­nen. Neben auf­wen­di­gen und teu­ren funk­tio­na­len Ver­fah­ren funk­tio­niert das zwar eben­falls sehr gut mit struk­tu­rel­len MRT-Scans, doch wir über­wa­chen auf die­se Wei­se bereits eine so gro­ße Zahl neu­ro­lo­gisch und neu­ro­chir­ur­gisch erkrank­ter Pati­en­ten, dass uns das für die Zukunft vor gewal­ti­ge Her­aus­for­de­run­gen stellt.
Wilt­fang: Die­ses regel­mä­ßi­ge Moni­to­ring wird ganz sicher gesetz­lich vor­ge­schrie­ben wer­den, da in den inter­na­tio­na­len Stu­di­en zu den neu­en Medi­ka­men­ten ein nicht zu ver­nach­läs­si­gen­des Risi­ko für klei­ne Hirn­öde­me und Mikro­blu­tun­gen fest­ge­stellt wur­de. Zwar nimmt das Risi­ko dafür nach den ers­ten sechs Mona­ten deut­lich ab, und die Öde­me bil­den sich in der Regel wie­der zurück, aber natür­lich müss­ten die Risi­ken mini­miert wer­den. Weil sich die Bild­ge­bung also abseh­bar zu einem ech­ten Nadel­öhr ent­wi­ckeln wird, sind die Ver­sor­ger auf­ge­for­dert, die Kli­ni­ken beim Auf­bau ent­spre­chen­der Mess­ka­pa­zi­tä­ten zu unter­stüt­zen.

Gibt es schon Ent­wick­lun­gen in die­ser Rich­tung?
Rie­del: Es gibt bereits Son­die­rungs­ge­sprä­che mit den Pharma­firmen, über die auch der Vor­stand der UMG unter­rich­tet ist. Dar­über hin­aus bau­en wir natür­lich auch intern unse­re Effi­zi­enz kon­stant aus, und die Gerä­te­her­stel­ler ent­wi­ckeln als Reak­ti­on auf den stark gestie­ge­nen Anteil der bild­ge­ben­den Ver­fah­ren an der Dia­gnos­tik und Neu­ro­dia­gnos­tik kon­ti­nu­ier­lich schnel­le­re Sequen­zen. Dau­er­te eine Unter­su­chung frü­her 40 min, benö­tigt die neu­es­te Gerä­te­ge­ne­ra­ti­on nur noch 7 – 8 min. Ins­ge­samt ist die Situa­ti­on jedoch so kom­plex, dass es noch kei­nen fer­ti­gen Plan gibt.
Wilt­fang: Ent­schei­dend ist die Aus­ge­stal­tung eines Gegen­fi­nan­zie­rungs­mo­dells. Wenn es das bereits gäbe, könn­te der UMG-Vor­stand auf Basis der ver­füg­ba­ren Zah­len der letz­ten Jah­re bereits eine Mini­mal­an­for­de­rung ermit­teln – also noch ohne Berück­sich­ti­gung einer über­re­gio­na­len und stark anstei­gen­den Nach­fra­ge – und über die even­tu­el­le Anschaf­fung einer zusätz­li­chen nukle­ar­me­di­zi­ni­schen Dia­gno­se­ein­heit ent­schei­den. Ange­sichts der aktu­ell ange­spann­ten Finanz­la­ge im Kran­ken­haus­sek­tor müs­sen sol­che Ent­schei­dun­gen sehr genau abge­wo­gen wer­den. In den Fach­gre­mi­en, in denen ich auch selbst aktiv bin, dis­ku­tie­ren wir mit der Gesund­heits­po­li­tik und den Fir­men bei­spiels­wei­se auch, was wir von den Nie­der­lan­den oder Skan­di­na­vi­en ler­nen kön­nen, wo oft sehr prag­ma­ti­sche Lösun­gen ent­wi­ckelt wer­den. Wir wol­len auch ein Pilot­pro­jekt auf­le­gen, in dem zwi­schen­ge­schal­te­te Dia­gnos­tik­lot­sen ande­re Berei­che ent­las­ten, indem sie kana­li­sie­ren, für wen eine ent­spre­chen­de Bild­ge­bung über­haupt sinn­voll wäre. In jedem Fall gehen mit der Rie­sen­chan­ce, die sich mit den neu­en Medi­ka­men­ten für die Behand­lung der Alz­hei­mer-Demenz abzeich­net, auch neue Her­aus­for­de­run­gen ein­her.

Angst vor der Röh­re?
Über län­ge­rer Zeit reg­los in der Röh­re eines MRT-Gerä­tes lie­gen zu müs­sen, emp­fin­den vie­le Pati­en­ten als unan­ge­nehm, was bei ent­spre­chend stei­gen­den Nut­zungs­zah­len zu einem Pro­blem wer­den könn­te. „Wir erle­ben das immer wie­der“, bestä­tigt Prof. Rie­del, „und fan­gen das mit gut geschul­tem Per­so­nal und letzt­lich Mög­lich­kei­ten der Sedie­rung auf. Auch die immer kür­ze­ren Unter­su­chungs­in­ter­val­le, die vor allem den Ent­wick­lun­gen im Bereich künst­li­cher Intel­li­genz geschul­det sind, hel­fen.“

Vor­ge­schal­te­te Unter­su­chun­gen
Ein wich­ti­ges Moment, um die zukünf­tig stark wach­sen­de Anzahl radio­lo­gi­scher Unter­su­chun­gen zu begren­zen, besteht dar­in, mög­lichst genau ein­zu­gren­zen, wel­che Pati­en­ten über­haupt von den neu­en Medi­ka­men­ten pro­fi­tie­ren wer­den. Da die­se zugleich bereits in einem mög­lichst frü­hen Sta­di­um ein­ge­setzt wer­den soll­ten, gilt es, ein erhöh­tes Risi­ko, an einer Alz­hei­mer-Demenz zu erkran­ken, auch mög­lichst früh zu erken­nen. „Aktu­ell kom­men bei ent­spre­chen­den Hin­wei­sen in der Initi­al­dia­gnos­tik noch sehr exak­te, aber auch auf­wen­di­ge nukle­ar­me­di­zi­ni­sche Ver­fah­ren oder die Ent­nah­me von Ner­ven­was­ser im unte­ren Bereich der Wir­bel­säu­le, die Lum­ba­le Liquor­punk­ti­on, zum Ein­satz“, beschreibt Prof. Wilt­fang. „Eine aktu­el­le Wei­ter­ent­wick­lung, an der wir in Göt­tin­gen inner­halb Deutsch­lands und inter­na­tio­nal füh­rend betei­ligt sind, besteht jedoch in blut­ba­sier­ten Tests. Es wür­de mich freu­en, wenn die­se Metho­de par­al­lel zur Ein­füh­rung der neu­en Medi­ka­men­te nach­drück­lich vor­an­ge­trie­ben wür­de, denn eine ein­fa­che Blut­ab­nah­me ist im Ver­gleich zu einer im Ver­gleich zu einer lum­ba­len Liquor­punk­ti­on sehr viel ange­neh­mer.

Prof. Dr. med. Jens Wilt­fang, Direk­tor der Kli­nik für Psych­ia­trie und Psy­cho­the­ra­pie an der Uni­ver­si­täts­me­di­zin Göt­tin­gen / Stand­ort-Koor­di­­na­tor Kli­ni­sche For­schung Deut­sches Zen­trum für Neu­ro­de­ge­nera­ti­ve Erkran­kun­gen (DZNE)

Prof. Dr. med. Chris­ti­an Rie­del, Direk­tor des Insti­tuts für Dia­gnos­ti­sche und Inter­ven­tio­nel­le Neu­ro­ra­dio­lo­gie der Uni­ver­si­täts­me­di­zin Göt­tin­gen

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