Im Charakter-Interview schildert der Vorsitzende der Bundesgeschäftsführung „Der Mittelstand. BVMW e. V.“, Christoph Ahlhaus, wie der Verband seine Funktion als Vertreter des Mittelstands wahrnimmt und sich in Politik und Öffentlichkeit Gehör verschafft.
Interview: Lutz Kordges | Foto: Marius Schwarz
Herr Ahlhaus, wie beurteilen Sie die aktuelle wirtschaftliche Lage? Wo sehen Sie Risiken und Chancen für den Mittelstand?
Die Coronakrise, der Krieg in der Ukraine und geopolitische Verschiebungen haben weltweit aber auch in Deutschland zu erheblichen Belastungen der Wirtschaft geführt. Aber es wäre zu einfach, die derzeitige Lage für Unternehmen allein auf die politische Großwetterlage zu schieben.
Viele Probleme in Deutschland sind hausgemacht. Die ausufernde Bürokratie, die viel zu hohen Steuern und Abgaben, die hohen Energiepreise sowie der Fachkräftemangel sind nicht vom Himmel gefallen, sondern die Folgen politischen Handelns oder Nicht-Handelns.
Was sind Ihre wichtigsten Forderungen an die Politik?
Unser Kernforderungen an die Politik sind kurz und klar: Lasst die mittelständischen Unternehmerinnen und Unternehmer endlich wieder ihre Arbeit machen, anstatt sie mit immer neuen bürokratischen Hürden, Dokumentationspflichten und langen Genehmigungsverfahren auszubremsen. Schaut Euch an, wie kleine und mittlere Unternehmen gezielt entlastet werden können – zum Beispiel mit der Abschaffung des Soli. Dies wäre schnell und unbürokratisch umsetzbar, wenn der politische Wille hierzu vorhanden wäre.
Und sind Sie erfolgreich damit?
Wir sind im ständigen Austausch mit Regierung und Opposition – auf Bundesebene, in den Ländern und den Regionen. Mein Eindruck ist, dass in der Ampel angekommen ist, dass der Mittelstand und die Wirtschaft insgesamt gezielte Wachstumsimpulse und bessere Rahmenbedingungen brauchen.
Auf unserem Zukunftstag im Februar waren fünf Bundesminister, 50 Botschafter und 5.000 Unternehmerinnen und Unternehmer zu Gast. Wir haben es damit in die Prime-Time- Nachrichten geschafft. Das sehen wir als Anzeichen dafür, dass der Mittelstand als wichtiger Player immer stärker wahrgenommen wird.
Nennen Sie doch mal konkrete Beispiele wo sich der BVMW eingesetzt hat und greifbare Erfolge erzielen konnte. Was ist in der Politik durchgesetzt worden?
Ein gutes Beispiel ist das Wachstumschancengesetz, das den Unternehmen eine Entlastung von 3 Milliarden Euro bringen wird. Zwar ist der Umfang des Pakets zu gering, aber es ist ein Anfang. Dass dieses Gesetz auf den Weg gebracht wurde und nicht durch eine Blockade der Opposition verlangsamt oder verhindert wurde, ist auch durch unsere Arbeit – nicht zuletzt durch den durch uns initiierten Brandbrief an die Ministerpräsidenten – zustande gekommen.
Firmen und Fachkräfte verlassen Deutschland. Stehen dem genug Neugründungen gegenüber, oder ist das auch unter dem Strich ein wirtschaftlicher Verlust?
Die Gründungsdynamik in Deutschland ist nicht stark genug, um Abwanderung und Firmenschließungen zu kompensieren. Neben besseren Standortbedingungen für Gründerinnen und Gründer müssen wir uns in Deutschland auch den Umgang mit unseren Leistungsträgern anschauen. Laut einer Studie des BVMW sind beispielsweise in der Krimireihe Tatort überproportional häufig Unternehmer und Manager die Mörder oder Bösewichte. Man kann das für eine Randnotiz halten und darüber schmunzeln. Aber es offenbart eine Weltsicht, die Unternehmertum und Selbständigkeit in eine ganz bestimmte Ecke stellen will. Auch dagegen müssen wir uns wehren.
Werden Fördergelder zwischen Großkonzernen und der mittelständischen Wirtschaft fair verteilt?
Für die Ansiedlung einer einzigen Chipfabrik stellt die Politik bis zu 10 Milliarden Euro bereit. Das Wachstumschancengesetz, das Unternehmen in Deutschland entlasten soll, hat gerade mal einen Umfang von 3 Milliarden.
Aber es wäre zu kurz gesprungen, einfach nur die Zahlen miteinander zu vergleichen. Zur Wahrheit gehört auch, dass die Investitionen in eine Chipfabrik auch den mittelständischen Unternehmen vor Ort zu Gute kommen.
Wenn nein, woran liegt das?
Wir sollten nicht den Fehler machen, Großunternehmen und Mittelstand gegeneinander auszuspielen. Eine funktionierende Volkswirtschaft braucht beides. Wenn wir den Eindruck haben, dass in der Politik die Bedeutung des Mittelstandes als Wachstumsmotor und Wohlstandsgarant in den Hintergrund tritt, mischen wir uns ein. Laut und deutlich.
Haben die Großen die besseren Lobbyisten? Was muss der Mittelstand sowohl der BVMW als auch die einzelnen Unternehmen tun, um dies zu verbessern.
Mittelständische Unternehmerinnen und Unternehmer kleben sich nicht auf die Straße und sie haben nicht das Budget für millionenschwere PR-Kampagnen. Darum ist es so wichtig, dass sich die Unternehmen organisieren und gemeinsam ihre Stimme erheben. Wir beim Mittelstand. BVMW heißen jeden Unternehmer herzlich willkommen, der sich einbringen, einmischen und mitgestalten will.
Was kann jedes einzelne Unternehmen dazu beitragen?
Zum Beispiel durch eine Mitgliedschaft im BVMW (lacht). Aber im Ernst: Wenn Sie heute politisch etwas erreichen wollen, müssen sie sich mit anderen zusammenschließen. Das gilt für die Mitgliedschaft genauso wie für das lokale Engagement vor Ort. Wir laden Interessierte ein: Kommen Sie zu den Veranstaltungen des BVMW, nehmen Sie Kontakt zu unseren lokalen Repräsentanten auf und engagieren Sie sich in unseren Kommissionen und Expertenkreisen. Eine kraftvolle und konstruktive Stimme des Mittelstandes ist heute wichtiger denn je.
Zur Person
Vor seiner Bestellung zum Bundesgeschäftsführer des BVMW e. V. im Juli 2023 war der gelernte Bankkaufmann und an der LMU München examinierte Jurist Landtagsabgeordneter, Staatsrat, Innensenator und Erster Bürgermeister in Hamburg.
Als Generalsekretär des Bundeswirtschaftssenats, dem Exzellenzgremium und der Ideenschmiede des BVMW, hat sich Ahlhaus seit vielen Jahren als sachkundiger Unterstützer des Mittelstands profiliert.
Der BVMW
Der Mittelstand. BVMW e. V. ist die größte, politisch unabhängige und branchenübergreifende Interessenvereinigung des deutschen Mittelstands.
Finanzminister Christian Lindner nimmt Stellung zu wichtigen Fragen der deutschen Wirtschaft und fordert eine Wirtschaftswende. Foto: Christian Kruppa
Christoph Ahlhaus und Bundes-Wirtschaftsminister Dr. Robert Habeck. Themen auf dem Zukunftstag waren Bürokratie, Digitalisierung und Energie. Foto: Christian Lietzmann
Arbeitsminister Hubertus Heil nahm zum Thema „Fachkräfte“ Stellung und lobte den BVMW für seine handfesten Beiträge zu den aktuellen Herausforderungen. Foto: Christian Kruppa