Nur eine hal­be Stun­de Fahrt von Göt­tin­gen ent­fernt, hat sich das Heil­bad Hei­li­gen­stadt in den letz­ten Jah­ren zu einem attrak­ti­ven Wirt­schafts­stand­ort ent­wi­ckelt. Im Inter­view spricht der par­tei­lo­se Bür­ger­meis­ter der Kreis­stadt, Tho­mas Spiel­mann, über die Hin­ter­grün­de.

Inter­view: Ulrich Drees | Fotos: Alex­an­der Fran­ke

Herr Spiel­mann, Sie sind seit zwölf Jah­ren als Bür­ger­meis­ter des Heil­bads Hei­li­gen­stadts im Amt. Was bedingt aus Ihrer Per­spek­ti­ve den guten Ruf, den Hei­li­gen­stadt als Wirt­schafts­stand­ort auch in Göt­tin­gen hat?
Dafür gibt es sicher ver­schie­de­ne Grün­de. Zen­tral ist, dass wir hier erfolg­reich eine Form von Kom­mu­nal­po­li­tik eta­bliert haben, die mög­lichst alle poli­ti­schen Par­tei­en und städ­ti­schen Inter­es­sen­grup­pen ein­bin­det.

Inwie­fern hilft die rich­ti­ge poli­ti­sche Kul­tur dabei, einen erfolg­rei­chen Wirt­schafts­stand­ort auf­zu­bau­en und wie kam es dazu?
Bevor ich vor zwölf Jah­ren rela­tiv über­ra­schend als par­tei­lo­ser Kan­di­dat einer Bür­ger­initia­ti­ve zum Bür­ger­meis­ter gewählt wur­de, hat­te die CDU nach der Grenz­öff­nung 22 Jah­re lang den Amts­in­ha­ber gestellt. Zunächst war dann die Auf­re­gung dar­über – ins­be­son­de­re bei der loka­len Stadt­rats­frak­ti­on – rela­tiv groß. Doch inzwi­schen haben wir uns zusam­men­ge­rauft und ein sehr kon­struk­ti­ves Arbeits­kli­ma erreicht. Bei­spiels­wei­se haben bei uns auch die klei­nen Par­tei­en Anspruch auf einen Aus­schuss­sitz – im Kreis­tag wird das nicht prak­ti­ziert. Eben­so hilf­reich ist, dass sich hier alle ken­nen und mit­ein­an­der reden. Und da kei­ne Par­tei eine Mehr­heit im Rat hat, gehört es zu unse­rer Nor­ma­li­tät, Beschlüs­se durch Kom­pro­mis­se und Über­zeu­gungs­ar­beit zu orga­ni­sie­ren. Das nützt dem poli­ti­schen Mit­ein­an­der. Zum einen ist jeder irgend­wann auf den ande­ren ange­wie­sen, zum ande­ren wird ein ein­mal erreich­ter Kom­pro­miss auch von einer Mehr­heit getra­gen. Das hilft.

Gab es eine sol­che Kom­pro­miss­ent­schei­dung, die zen­tral für den Erfolg des Wirt­schafts­stand­orts Hei­li­gen­stadt war?
Nach der Wen­de war die Situa­ti­on zunächst nicht ein­fach. Des­halb freu­te man sich über jedes Unter­neh­men, das bereit war, sich hier anzu­sie­deln. Die­se Ein­stel­lung war auch 2012, als ich als Bür­ger­meis­ter anfing, noch vor­herr­schend und hat­te zu eini­gen Ent­schei­dun­gen geführt, die viel­leicht anders bes­ser aus­ge­fal­len wären. So führ­te etwa die Ansied­lung des Kauf­land Fleisch­werks dazu, dass wir bis heu­te immer wie­der Pro­ble­me mit der Fra­ge haben, wo die zumeist aus Ost­eu­ro­pa stam­men­den Beschäf­tig­ten des Kauf­land Fleisch­werks unter­ge­bracht wer­den kön­nen. Nach mei­nem Amts­an­tritt haben wir uns dann jedoch auf eine ande­re Stra­te­gie ver­stän­digt, die uns schließ­lich den heu­ti­gen Erfolg bescher­te.

Was beinhal­te­te die­se Erfolgs­stra­te­gie?
Damals hat­ten wir in der Regi­on einen star­ken Mit­tel­stand – ins­be­son­de­re in Form vie­ler Hand­werks­be­trie­be – die nach der Wen­de ent­stan­den waren und sich dann kon­so­li­diert hat­ten. Die­se Unter­neh­mer arbei­te­ten aber qua­si noch in ihrer Gara­ge und nutz­ten ihr Wohn­zim­mer als Büro. Unse­re Stra­te­gie lief dann dar­auf hin­aus, die­sen Betrie­ben einen eige­nen Stand­ort in Hei­li­gen­stadt anzu­bie­ten. Gleich­zei­tig gehör­te dazu auch, dass wir uns klar gegen die Anfra­gen von Groß­be­trie­ben ent­schie­den, die wei­ter­hin an einer Ansied­lung in Hei­li­gen­stadt inter­es­siert waren. So z. B. ein gro­ßer Gemü­se­be­trieb, in dem ähn­lich wie im Fleisch­werk vie­le Men­schen aus Ost­eu­ro­pa gear­bei­tet hät­ten, oder ein gro­ßer Logis­ti­ker.

Wel­che Idee steck­te hin­ter Ihrer Ansied­lungs­stra­te­gie?
Wir haben gesagt: Das sind nicht die Betrie­be, die unse­ren Men­schen hier einen qua­li­fi­zier­ten und ent­spre­chend bezahl­ten Job anbie­ten kön­nen. Das wür­den bei­spiels­wei­se regio­na­le Hand­werks­be­trie­be viel eher gewähr­leis­ten.

Die Stra­te­gie ist das eine. Gab es auch genü­gend Nach­fra­ge nach Flä­chen durch die prio­ri­sier­ten klei­ne­ren Unter­neh­men?
Aller­dings. Die Nach­fra­ge war bestän­dig grö­ßer als die ver­füg­ba­ren Flä­chen. Aktu­ell gibt es nur noch sehr weni­ge freie Flä­chen, sodass wir bereits wie­der an einer maß­vol­len Erwei­te­rung arbei­ten. Gleich­zei­tig dis­ku­tie­ren wir auch bereits dar­über, dass wir lang­sam an eine Kapa­zi­täts­gren­ze sto­ßen. Als Heil­bad kön­nen wir auch nicht über­all Gewer­be­flä­chen aus­wei­sen.

Beruht die­se kon­stan­te Nach­fra­ge auch auf der Nähe zu den Auto­bah­nen A7 und A38 und der zen­tra­len Lage in Deutsch­land?
Nicht nur für die Logis­tik­bran­che ist das ein ech­ter Stand­ort­vor­teil. Trotz­dem ist die Situa­ti­on in Sachen öffent­li­cher Nah­ver­kehr, z. B. bei der Zug­ver­bin­dung nach Göt­tin­gen, aus­bau­fä­hig. Wir sind in der Regi­on wei­ter auf den Pkw-Indi­vi­du­al­ver­kehr ange­wie­sen. Ich hof­fe jedoch, dass wir in der Zukunft eine regio­na­le Ver­bund­lö­sung eta­blie­ren kön­nen.

Um einen Wirt­schafts­stand­ort erfolg­reich auf­zu­bau­en, braucht es heu­te auch ein aus­rei­chen­des Ange­bot an Arbeits­kräf­ten.
Es gibt immer noch mehr Aus- als Ein­pend­ler. Aber das Eichsfeld ist tra­di­tio­nell eine klas­si­sche Rück­kehr­er­re­gi­on. Gera­de nach der Wen­de, als hier alles zusam­men­ge­bro­chen war, muss­ten vie­le Men­schen erst ein­mal woan­ders ihr Geld ver­die­nen. Das ist heu­te nicht mehr so, und das liegt eben dar­an, dass die mit­tel­stän­di­schen Unter­neh­men, die wir hier ange­sie­delt haben, für Men­schen, die mehr als den Min­dest­lohn ver­die­nen wol­len, genau die qua­li­ta­ti­ven Arbeits­plät­ze anbie­ten, die dies gewähr­leis­ten.

Die­se Arbeits­kräf­te brau­chen auch Wohn­raum. Gibt es den in Hei­li­gen­stadt?
Dafür sor­gen wir. Aktu­ell ent­steht im Zusam­men­hang mit der bevor­ste­hen­den Ansied­lung des Eichsfeld Kli­ni­kums in der Stadt ein Wohn­ge­biet mit mehr als 100 Bau­plät­zen. Auch in einer Rei­he von Orts­tei­len gibt es ähn­li­che Bestre­bun­gen, und neben der städ­ti­schen Woh­nungs­bau­ge­sell­schaft, die seit vie­len Jah­ren in aus­rei­chen­den Wohn­raum inves­tiert, erken­nen auch vie­le Ver­mie­ter in Hei­li­gen­stadt den aktu­el­len Bedarf und sanie­ren ihre Objek­te.

Was ist mit den Bedürf­nis­sen der Fami­li­en poten­zi­el­ler Arbeit­neh­mer?
Wenn sich ein Unter­neh­men ansie­deln will, fragt es natür­lich auch, was ein Stand­ort den Fami­li­en poten­zi­el­ler Fach­kräf­te zu bie­ten hat. Doch hier kön­nen wir eben­falls punk­ten. Es gibt noch Platz zum Woh­nen, unglaub­lich vie­le kul­tu­rel­le Ver­an­stal­tun­gen, nie­mand muss sich um einen Kin­der­gar­ten­platz sor­gen, der dazu noch wirk­lich güns­tig ist. Auch wenn die Lage im Schul­sek­tor etwas ange­spann­ter ist, sind wir hier eben­falls zufrie­den­stel­lend auf­ge­stellt.

Spielt es für Unter­neh­men eine Rol­le, dass Hei­li­gen­stadt ein „Heil­bad“ ist?
Natür­lich ist das ein Aspekt. Aber man soll­te das auch nicht über­stra­pa­zie­ren. Indi­rekt führt es durch kon­stant gute Über­nach­tungs­zah­len dazu, dass bestimm­te Zah­lun­gen des Lan­des, die dar­auf basie­ren, höher aus­fal­len.

Wenn es um die Ansied­lung von Unter­neh­men geht, wird Büro­kra­tie oft als wich­tigs­te Brem­se gese­hen. Gelingt es einer Kom­mu­ne, hier unnö­ti­ge Hür­den aus dem Weg zu räu­men, weiß das die Wirt­schaft meist zu schät­zen. Wie sieht das in Hei­li­gen­stadt aus?
Grund­sätz­lich sage ich: Auch wenn mal was schief­geht, lie­ber machen als nicht machen. Und das gebe ich auch so an alle städ­ti­schen Mit­ar­bei­ter wei­ter. Zu Beginn mei­ner Amts­zeit war da bei man­chen ein gewis­ses Umden­ken nötig, weil zuvor man­ches anders gehand­habt wur­de. Aber ich den­ke, heu­te gehen wir alle mit der Per­spek­ti­ve an unse­re Arbeit, Ermes­sens­spiel­räu­me so aus­zu­nut­zen, dass wir etwas ermög­li­chen und nicht ver­hin­dern.
Das erfor­dert oft Mut und Augen­maß. Aber ich ver­traue mei­nen Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­tern, denn wenn ich alles per­ma­nent kon­trol­lie­ren und womög­lich wie­der rück­gän­gig machen wür­de, ver­lö­ren sie rasch die Lust dar­an. Mir ist wich­tig, dass wir mit dem nöti­gen Augen­maß Men­schen die Chan­ce geben, etwas auf die Bei­ne zu stel­len, und Initia­ti­ve för­dern.

Natür­lich wer­den vie­le wich­ti­ge Ent­schei­dun­gen in die­sem Zusam­men­hang auf Kreis­ebe­ne getrof­fen. Trägt man im Land­kreis die von Ihnen beschrie­be­ne Ermög­li­chungs­stra­te­gie mit?
Natür­lich gibt es im Detail auch Kri­tik, aber grund­sätz­lich ist die Zusam­men­ar­beit gut. Zwar ver­steht unser Land­rat das Land­rats­amt zuneh­mend als Behör­de und weni­ger als Dienst­leis­ter, aber er geht in naher Zukunft in den Ruhe­stand, und sein Nach­fol­ger wird sicher mehr gestal­ten wol­len.

Um einen Wirt­schafts­stand­ort aktiv zu gestal­ten, braucht es in vie­len Berei­chen auch Inves­ti­tio­nen. Kön­nen Sie das ent­spre­chen­de Geld aus­ge­ben?
Um das nöti­ge Kapi­tal zu gewähr­leis­ten, müs­sen wir uns natür­lich auch ein­mal anstren­gen. Hier muss die Poli­tik akzep­tie­ren, dass nicht jeder Wunsch umge­setzt wer­den kann. Ins­be­son­de­re nach der Wen­de wur­den zahl­rei­che not­wen­di­ge Inves­ti­tio­nen getä­tigt, sodass wir zu mei­nem Amts­be­ginn Anfang der 2000er-Jah­re einen Schul­den­stand von 27 Mio. Euro hat­ten. Heu­te ist der auf 2,7 Mio. Euro gesun­ken. Das ist eine kom­for­ta­ble Situa­ti­on, die es uns ermög­licht, in nächs­ter Zeit etwa 10 Mio. Euro fremd­fi­nan­ziert in wich­ti­ge Bau­maß­nah­men zu inves­tie­ren.

Tho­mas Spiel­mann
Bür­ger­meis­ter der Stadt Heil­bad Hei­li­gen­stadt

Tho­mas Spiel­mann (Jahr­gang 1967), gelern­ter Werk­zeug­ma­cher, stammt aus Jena, ging in Ber­lin zur Schu­le und ver­ließ kurz vor dem Mau­er­fall die DDR, um dann 20 Jah­re an ver­schie­de­nen Orten im Möbel-Ein­zel­han­del zu arbei­ten, zuletzt von 1999 bis 2012 als Geschäfts­füh­rer in Düs­sel­dorf. Schon seit 1999 lebt er in Hei­li­gen­stadt, wo er 2008 zu den Grün­dungs­mit­glie­dern der Bür­ger­initia­ti­ve „Men­schen für Hei­li­gen­stadt“ e. V. zähl­te. Am 01. Juli 2012 gewann er erst­mals und dann 2018 zum zwei­ten Mal die Wahl zum Bür­ger­meis­ter des Heil­bads Hei­li­gen­stadt. Die­se Jahr wur­de er bei der Kom­mu­nal­wahl am 26. Mai erneut im Amt bestä­tigt.

Heil­bad Hei­li­gen­stadt
Nur eine hal­be Stun­de von Göt­tin­gen ent­fernt, liegt die Kreis­stadt des Land­krei­ses Eichsfeld in Thü­rin­gen im Ober­eichs­feld, ca. 14 km öst­lich des Drei­län­der­ecks von Hes­sen-Nie­der­sach­sen-Thü­rin­gen. In den zehn Orts­tei­len Hei­li­gen­stadts leben ca. 19000 Men­schen. Erst­mals wird Hei­li­gen­stadt als Königs­pfalz 973 urkund­lich erwähnt. Die Stadt­rech­te wur­den Hei­li­gen­stadt 1227 vom Main­zer Erz­bi­schof ver­lie­hen. Der Ursprung der heu­ti­gen Bezeich­nung als Heil­bad liegt in einem 1929 errich­te­ten Kneipp­bad; ab 1950 lau­te­te daher der Name der Stadt: Heil­bad Hei­li­gen­stadt. Nach der Wen­de wur­de die­se Bezeich­nung zwar zunächst ver­wehrt, doch ab 1990 wur­de der Kur­bad-Betrieb so kon­se­quent aus­ge­baut, dass der Zusatz Heil­bad schließ­lich doch legi­ti­miert wur­de.

Das Eichsfeld­mu­se­um mit Barock­gar­ten

Das Gewer­be­ge­biet A38 – West (Are­al 38)

Die „Regen­tru­de“ im Kur­park

„Die Mög­lich­ma­cher“ – Wirt­schaft in Hei­li­gen­stadt
Im Jahr 2023 wur­de die Stadt im Standort­ranking Deutsch­land der DDW Die Deut­sche Wirt­schaft sowie Deut­sche Exzel­lenz­prü­fung GmbH mit 24,22 Punk­ten auf Rang 628 geführt und ver­bes­ser­te sich im Ver­gleich zum Vor­jahr um 63 Plät­ze. Sie­ben DDW-Top-Unter­neh­men befin­den sich hier, und die im Stand­ort­ran­king berück­sich­tig­te öffent­li­che Bewer­tung des Stand­orts nach Schul­no­ten ergab eine Note von 1,82. Zum Ver­gleich: Göt­tin­gen erzielt ein Ran­king­s­core von 94,62, Rang 119 in Deutsch­land und eine Stand­ort­be­no­tung von 2,82.
Mit mehr als 1.000 Arbeit­neh­me­rin­nen und -neh­mern ist Kauf­land aktu­ell der größ­te Arbeit­ge­ber am Stand­ort Hei­li­gen­stadt. Vier der wich­tigs­ten 10.000 Mit­tel­ständ­ler Deutsch­lands sind im Heil­bad ange­sie­delt.
Die acht Gewer­be­ge­bie­te rund um Hei­li­gen­stadt umfas­sen ca. 128 Hekt­ar beleg­ter Flä­che – nur in einem Gebiet sind aktu­ell freie Flä­chen ver­füg­bar.