Im Freigeist sprach Göttingens wohl bekanntester Autor, der Rechtsanwalt Markus Thiele, mit dem Charakter-Chefredakteur Ulrich Drees über wahre Verbrechen, unerträgliche Rechtsprechung und über das, was ihn wirklich ärgert.
Interview: Ulrich Drees | Fotos: Stephan Beuermann
Herr Thiele, wo sind Sie aufgewachsen?
In Hildesheim. Da bin ich als Sohn einer klassischen Arbeiterfamilie zur Schule gegangen und habe mein Abi gemacht. Meinen Grundwehrdienst habe ich dann in Osterode und Hildesheim geleistet, bevor ich zum Studium nach Göttingen kam. Während des Referendariats war ich dann in Braunschweig und Celle, kam aber nach Göttingen zurück, als mir ein Anwalt, für den ich schon während des Referendariats tätig gewesen war, anbot, als Partner in seine Kanzlei einzusteigen.
Eigentlich zog es mich eher an die Küste, nach Hamburg, Kiel oder vielleicht Schleswig. Aber das Angebot war natürlich verlockend. Hinzu kam, dass ich mir in den acht Jahren in Göttingen einen Kreis an Freunden und Bekannten aufgebaut hatte, der mir beim Start in den Beruf nützen würde. Außerdem ist Göttingen eine tolle Stadt. Ich lebe sehr gern hier.
Warum haben Sie Jura studiert?
Mitte der 80er-Jahre war ich Mitglied im örtlichen Tennisverein – Boris Becker hatte gerade Wimbledon gewonnen – und da haben mir viele nette Menschen das Thema nähergebracht, allen voran der Präsident, der Anwalt war und mich immer wieder zu Terminen mitnahm, was mir dann so viel Spaß machte, dass ich das auch zu meinem Beruf machen wollte.
Wie kam Ihre Entscheidung, Jura zu studieren, bei Ihrer Familie an?
Das war eine mittlere Katastrophe. Ich bin weit und breit der Einzige mit Abitur und Studium in meiner Familie. Mein Vater arbeitete bei VW in Salzgitter und fragte mich, ob ich noch alle Tassen im Schrank hätte, als ich ihm sagte, dass ich Jura studieren wollte. Für ihn war das kein seriöser Beruf, vor allem deshalb, weil ich bereits zu einem Vorstellungsgespräch für eine Ausbildung zum Industriemechaniker bei VW eingeladen war. Das war damals so, dass dort 1000 Bewerber auf 60 freie Stellen kamen. Wer zum Gespräch geladen wurde, hatte den Ausbildungsplatz praktisch in der Tasche. Mein Vater freute sich so sehr darüber, dass ich für 30 Sekunden dachte: Die Freude kannst du ihm jetzt nicht nehmen. Doch ich wusste, dass ich mein Abitur machen und dann Jura studieren wollte. Also sagte ich ihm, dass ich nicht zu dem Bewerbungsgespräch gehen würde. Wir hatten ein sehr enges Verhältnis, aber er hat dann drei Tage lang nicht mit mir gesprochen. Das war eine echte Strafe, ich hatte körperliche Schmerzen. Irgendwann stand er jedoch mit erhobenem Zeigefinger in meinem Zimmer und gab sein Einverständnis. Nur, wenn er mitbekäme, dass ich rumbummeln würde, dann sei Schluss, dann würde er das Studium nicht mehr bezahlen. Ich glaube, deshalb habe ich mein Studium auch relativ schnell abgeschlossen. Mit 28 Jahren war ich promovierter Volljurist.
Zu Ihrer Zeit bei der Bundeswehr: Heute wird wieder über die Wiedereinführung einer Wehrpflicht diskutiert. Warum haben Sie sich damals für den Wehrdienst entschieden?
Damals waren wir in meinem Freundeskreis der Auffassung, dass in einem Angriffsfall irgendjemand das Land verteidigen müsste. Über den Zivildienst habe ich nachgedacht, aber das Konzept der Landesverteidigung gab den Ausschlag. Wobei das ebenso klar nicht beinhaltete, Deutschland beispielsweise am Hindukusch zu verteidigen. Nach der Musterung beim Kreiswehrersatzamt meldete sich dann sogar ein Oberstleutnant bei mir und fragte, ob ich nicht Kampfpilot werden wolle, physisch erfüllte ich alle Voraussetzungen. Da wir zu jener Zeit alle ein wenig wie Tom Cruise in Top Gun sein wollten, habe ich sogar darüber nachgedacht – die Idee aber letztlich verworfen.
Haben Sie von der Erfahrung profitiert?
Eigentlich eher nicht. Vielleicht, was mein Vermögen zur Selbstdisziplin angeht.
Die Handlung Ihres ersten Romans und der Novelle „Die Leuchtturmwärterin“, für die Sie 2012 mit dem Kulturpreis der Stadt und des Landkreises Göttingen ausgezeichnet wurden, spielen am Meer. Haben Sie ein Faible für die Küste?
Dass ich damals den Publikumspreis erhielt, weil ich mich bei einer Abstimmung über die Lautstärke des Beifalls knapp durchsetzen konnte, war ein schönes Gefühl. Es war das erste Mal, dass meine literarische Arbeit in der Region wahrgenommen wurde.
Was meine Liebe zum Meer angeht, der Funke ist vermutlich bereits in Kindheitstagen übergesprungen, als wir Urlaube entweder an der Ostsee oder der Nordsee verbrachten. Bis heute mag ich das platte Land und die Menschen dort oben wahnsinnig gern. Nach einem langen Spaziergang, nicht nur im Sommer, sondern auch im Herbst, wenn es stürmischer wird, ein heißer Tee oder ein Fischbrötchen – das schätze ich immer wieder. Häufig fahre ich auch ganz allein für ein verlängertes Wochenende an die Küste, schalte mein Telefon möglichst ganz ab und nehme nur mein Notizbuch und einen Stift oder mein Notebook mit, um an Konzepten, bestimmten Szenen oder Charakteren für einen Roman zu arbeiten. Dazu brauche ich echte Abgeschiedenheit. Nach drei bis vier Stunden dann den Reißverschluss meiner Jacke ganz hochzuziehen, meine Mütze aufzusetzen und am rauschenden Meer entlangzugehen, während mir ein frischer Wind um die Nase weht, das ist ideal.
Wobei ich dank meiner Frau Marion in den letzten Jahren auch die Berge für mich entdeckt habe, insbesondere im Winter beim Skifahren.
Als Anwalt gehört das Verfassen von Schriftstücken sicher zu Ihrem Alltag, aber wie sind Sie von dort zum literarischen Schreiben gekommen?
Das eine Schreiben hat mit dem anderen Schreiben im Grunde nichts zu tun. Die Juristerei ist sehr formalistisch und technisch, da kommt es weniger auf Semantik an. Beim literarischen Schreiben ist das völlig anders, hier soll es ja nicht nur inhaltlich richtig sein, sondern auch noch schön klingen. Und das habe ich irgendwann versucht, erste Kurzgeschichten entstanden, 2013 dann der erste Roman. Ich finde es immer wieder faszinierend, allein mit Wörtern und Satzzeichen ganze Welten entstehen zu lassen, Figuren mit Ecken und Kanten zu erschaffen und Emotion zu erzeugen.
Heute schreiben Sie erfolgreiche True-Crime-Romane, die nicht mehr so viel mit der Küste oder dem Meer zu tun haben. Warum dieses Genre?
Als die „Leuchtturmwärterin“ entstand, arbeitete ich eigentlich gerade an dem Roman „Dreizehn Tage am Meer“, kam aber nicht recht weiter und beschloss, erst einmal kürzere Texte zu schreiben. Ein Jahr darauf, 2013, wurde der Roman dann zwar von einem kleinen Verlag als Taschenbuch veröffentlicht, aber letztlich ergab sich daraus nicht viel. Und da ich in der Folge beruflich und familiär sehr eingespannt war, stellte ich das Schreiben erst einmal zurück. Als ich 2018 wieder begann, entschloss ich mich, es mit True Crime zu versuchen, weil ich in diesem Genre mein Interesse am theoretischen Strafrecht und meine Leidenschaft für das Schreiben verbinden konnte.
Sie arbeiten hauptberuflich als Anwalt, schreiben aber in vergleichsweise kurzer Zeit einen Roman nach dem anderen. Schlafen Sie womöglich nicht?
Oh nein, ich liebe mein Bett. Aber in der Tat brauche ich während intensiverer Schreibphasen offenbar weniger Schlaf als sonst. Meist beginne ich mit dem Schreiben gegen 21.00 Uhr, und je nachdem, wie es läuft, kann es dann schon auch mal 2.00 Uhr nachts werden. Dennoch bin ich am anderen Tag zwischen 8.00 und 8.30 in der Kanzlei. Das geht tatsächlich besser, als es vielleicht klingt – aber natürlich nicht auf Dauer. Ansonsten schreibe ich an den Wochenenden und im Urlaub.
Als Autor ist man auf Menschen angewiesen, die das eigene Schreiben mit ehrlicher und konstruktiver Kritik begleiten. Wer erfüllt diese Rolle für Sie?
Meine Frau Marion. Sie steht da ganz klar an erster Stelle. Mit ihr gehe ich wieder und wieder psychologische Handlungsprofile meiner Figuren durch, gleiche sie auf Schlüssigkeit, auf Stimmigkeit ab. Wenn sich zum Beispiel eine Polizistin bewusst über das Gesetz hinwegsetzt und sich sehenden Auges strafbar macht, braucht es dazu einen überzeugenden Grund, und den erarbeiten meine Frau und ich oft zusammen. Ähnlich ist die Arbeit an konkreten Szenen. Wie schaut das Drumherum aus, passt es zur Grundstimmung des Erzählten, kann sich der Leser ein Bild davon machen. Marion ist im Immobilienbereich tätig. Sie versorgt mich mit zum Teil wirklich unglaublichen Schauplätzen, die sie etwa bei ihrer Tätigkeit als Auktionatorin kennengelernt hat. Moore sind darunter, ein Brunnen unbekannter Tiefe oder – wie im aktuellen Roman übernommen – ein verfallenes Bahnhofsgebäude mit einer Kneipe darin. Und letztlich sprechen wir zum Teil Dialoge nach oder vor, um zu testen, ob sie natürlich wirken. Zum Ende der Arbeiten an einem Roman wohnt dann sein gesamtes Personal bei uns in Küche und Wohnzimmer.
Ihre Romane sind auch als Hörbücher erhältlich. Wird man da als Autor beispielsweise in die Auswahl des Sprechers oder sogar die Aufnahme selbst eingebunden?
Ich hatte bisher immer das Glück, dass mich mein Verlag tatsächlich eng eingebunden hat. Zumindest bei der Sprecherauswahl. Die Produktion selbst findet dann allerdings ohne mich statt.
Ihre Hörbücher wurden von einem Sprecher eingelesen, der auch Daniel Craig, z. B. als James Bond, seine Stimme leiht. Wie ist das, die eigenen Texte vom berühmtesten Geheimagenten der Welt vorgetragen zu hören?
Das ist schon toll, gar keine Frage. Dietmar Wunder, der Sprecher, hat eine – wie ich finde – großartige Arbeit gemacht. Er ist ja auch Schauspieler und kann daher den einzelnen Figuren noch einmal einen ganz eigenen Charakter verleihen. Wirklich beeindruckend, und tatsächlich sehe ich gar nicht so sehr Daniel Craig; ich sehe die Figuren meines Romans.
Als Anwalt sind Sie auf Bau- und Architektenrecht sowie das Vergaberecht spezialisiert – zu Ihren Romanen würde eher das Strafrecht passen …
Schon während meines Studiums habe ich mich gern mit dem Sinn und Zweck von Strafe und Strafzumessung auseinandergesetzt, wenn auch weniger im Zusammenhang mit der Gerichtspraxis, sondern eher mit den theoretischen Fundamenten. Gleichzeitig wollte ich auf jeden Fall als Anwalt arbeiten. Im Strafrecht hätte ich mir jedoch mich nur als Richter oder Staatsanwalt vorstellen können. Strafverteidiger wäre nichts für mich gewesen. Dessen Hauptaufgabe besteht zwar aus meiner Sicht darin, Staatsanwaltschaft und Richtern auf die Finger zu schauen, um Fehler zuungunsten des eigenen Mandanten aufzudecken. Doch Strafverteidigung ist oftmals dadurch gekennzeichnet, dass man um die Schuld des eigenen Mandanten weiß. Dann auf einen Freispruch hinzuarbeiten, entspricht nicht meiner Persönlichkeitsstruktur.
Wie wirkt sich Ihr theoretisches Interesse für das Strafrecht auf Ihre Romane aus?
Daraus entsteht mein zentraler Ansatz. In meinen seit 2020 insgesamt vier erschienenen Romanen ging es nie um eine an der Realität orientierte Nacherzählung oder Dokumentation. Ich greife stattdessen die rechtstheoretischen Grundlagen echter Fälle auf und spinne sie in einer fiktiven Handlung weiter, wenn sie noch nicht aufgeklärt sind, oder ich stelle die ihnen zugrunde liegenden Themen in einer erfundenen Handlung gegenüber.
In meinem aktuellen Roman „Zeit der Schuldigen“ greife ich beispielsweise einerseits den Fall des Mordes und der Entführung von Frederike von Möhlmann (siehe Sidefact) auf. Andererseits nutze ich den Fall des ehemaligen Frankfurter Polizeivizepräsidenten Wolfgang Daschner, der dem der Entführung des Bankierssohns Jakob von Metzler verdächtigten Jura-Studenten Magnus Gäfken „unerträgliche Schmerzen“ androhte, wenn er nicht das Versteck des Entführten preisgäbe. Die Handlung verknüpft dann die zentralen rechtlichen Fragen hinter diesen Fällen.
Welche wären das?
Bei Frederike von Möhlmann geht es darum, ob ein rechtskräftig Freigesprochener wegen derselben Handlung ein zweites Mal strafrechtlich verfolgt und ein Strafverfahren zu seinen Ungunsten wieder aufgenommen werden darf. Ein Jahrtausende alter Rechtsgrundsatz besagt, dass dies nicht zu geschehen hat. Schon das römische Recht kannte das „ne bis in idem“ – nicht zweimal in derselben Sache. Gleichwohl führte dieser konkrete Fall zu der aus meiner Sicht unerträglichen Situation, dass ein nachgewiesener Mörder bis heute auf freiem Fuß ist und zumindest wegen dieser Tat auch nicht wieder angeklagt werden kann. Obwohl die Bemühungen des Vaters des Opfers sogar zu einer Gesetzesänderung führten, die eine Wiederaufnahme unter engen Bedingungen erlaubt, entschied das Bundesverfassungsgericht in diesem konkreten Fall, dass der erwiesene Täter auf freiem Fuß bleibt, weil es die abstrakte Rechtssicherheit höher bewertete als die materielle Gerechtigkeit im Einzelfall. Wer rechtskräftig freigesprochen ist, soll sich darauf verlassen können. Ich finde allerdings, dass die Gesellschaft eines Rechtsstaats auch den Anspruch darauf hat, dass ein erwiesener Mörder seine gerechte Strafe erhält.
Im Falle Wolfgang Daschners thematisiere ich die Frage, ob Folter in einem Rechtsstaat in besonderen Ausnahmefällen legitim sein kann, wenn dadurch gegebenenfalls ein höheres Rechtsgut geschützt wird. Im Roman entführt deshalb eine Polizeibeamtin den mutmaßlichen Mörder, der wegen eines vorherigen Freispruchs nicht mehr belangt werden kann, um ihn durch Folter zu einem Geständnis zu bringen, was dann wiederum doch eine Neuaufnahme des Falls ermöglichen würde. Das ist natürlich ein Widerspruch, doch sie hat einen ziemlich guten Plan …
Der hier natürlich nicht verraten wird. Empfinden Sie als Autor angesichts solcher Themen eine Verantwortung, es Ihren Leserinnen und Lesern mit einer Wertung nicht zu leicht zu machen?
Ich halte mich als Autor bewusst bedeckt und lege Wert darauf, dass meine Romane den Freiraum lassen, sich ein eigenes Bild zu verschaffen. Trotzdem werde ich häufig gefragt, wo ich selbst stehe. Als Jurist antworte ich dann meist: „Das kommt darauf an.“ Meinem Empfinden nach gibt es für beide Seiten gute Argumente. Als Jurist ist es methodisch außerdem nicht richtig, an eine rechtliche Fragestellung vom Ergebnis aus heranzugehen, also daraufhin zu argumentieren. Stattdessen sollte ich mir von Anfang an anschauen, ob die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale erfüllt sind. Daraus erschließt sich die Rechtsfolge. Trotzdem ertappe ich mich dabei, dass ich denke: In Celle läuft gegenwärtig ein nachgewiesener Vergewaltiger und Mörder herum und bleibt in unserem Rechtsstaat völlig unbescholten. Damit kann und will ich nicht leben. Doch das ist die Konsequenz der aktuellen politischen und verfassungsrechtlichen Situation und der daraus resultierenden Rechtsprechung.
„Anwalt mit Apfel – Sinnbild für Sündenfall und Frucht der Erkenntnis“
Könnten Sie sich vorstellen, nur noch als Autor zu arbeiten?
Nein, definitiv nicht. Manchmal wäre etwas mehr Zeit zum Schreiben schön, aber ich arbeite wahnsinnig gern auch als Anwalt. Ohne das Kribbeln und die Auseinandersetzungen vor Gericht würde mir wirklich etwas fehlen. Wenn man die Spielregeln in diesem Beruf erst einmal verstanden hat, dann ist er unheimlich spannend und interessant. Es ist gut, so wie es ist.
Wo Sie Auseinandersetzungen vor Gericht ansprechen – Sie wirken ausgesprochen ruhig und freundlich. Legen Sie bei Bedarf einen Schalter um?
Oh, wenn man mich ärgert, kann ich auch anders. Ich werde dann nicht laut oder aggressiv, aber doch sehr deutlich. Vor Gericht ist es, glaube ich, nützlich, eine gewisse Verbindlichkeit mit dem Aufzeigen klarer Grenzen zu verbinden. Mit wehender Robe durch den Gerichtssaal zu springen und Tiraden zu halten, das hat hierzulande auch wenig mit der Realität zu tun. Aber wenn beispielsweise Zeugen in einer Verhandlung zugunsten einer Partei wissentlich die Unwahrheit sagen, kann ich schon einmal ungemütlich werden.
Was ärgert Sie noch?
Wenn ich merke, dass meine Mandanten mir nicht die Wahrheit gesagt haben. Dann ist eine rote Linie überschritten. Ebenso mag ich nicht, wenn auf der anderen Seite jemand die Unwahrheit sagt. Wir alle streiten. Das ist menschlich. Und wenn man sich nicht einig wird, dann sind Gerichte dazu da, für eine Seite zu entscheiden. Da darf man ruhig mit harten Bandagen kämpfen. Das ist legitim. Aber man muss bei der Wahrheit bleiben.
Sind Sie selbst immer ehrlich?
Ich versuche es. Manchmal gibt es Situationen, wie sie vermutlich jeder kennt, in denen ich eine kleine Notlüge benutze – meist um mich dann hinterher unbehaglich zu fühlen. Deshalb versuche ich, im Großen und Ganzen ehrlich zu bleiben, und erwarte das auch von meinen Mitmenschen.
Was beschäftigt Sie gerade? Ist ein neuer Roman in Sicht?
Zunächst gibt es in der Kanzlei viel zu tun. Gerade im Vergaberecht steht eine Menge an. Das ist toll, weil ich viele neue Mandanten kennenlerne und sich dadurch wiederum noch einmal andere Mandantenstrukturen ergeben.
Ansonsten ist „Zeit der Schuldigen“ ja gerade erst erschienen, und in Leipzig auf der Buchmesse haben sich viele persönliche Kontakte aufgetan. Aktuell könnte sich daraus ein möglicher Verkauf der Filmrechte ergeben. Das war schon 2020 bei meinem ersten Roman im Gespräch, aber Corona hat das damals auf ganzer Front verhagelt. Jetzt ist es deutlich konkreter. Hinzu kommt, dass sich Kontakte nach Amerika ergeben haben, die eventuell zu einer Übersetzung ins Amerikanische führen, sodass der Roman im besten Fall auf dem amerikanischen Buchmarkt erscheint. Das sind viele kleine Eisen in einem großen Feuer, und ich weiß nicht, was hängen bleibt. Aber unter dem Strich fühlt es sich gut an, dass so viel in Bewegung ist.
Falls Ihr Buch verfilmt wird, wen würden Sie gern in den Hauptrollen sehen?
Das ist ganz schwierig. Es gibt so viele Figuren – und so viele gute Schauspielerinnen und Schauspieler. Aber okay, meine Kommissarin Anne Paulsen könnte gut von Christiane Paul gespielt werden und ihr Kollege, Nick Wallat, vielleicht von Wotan Wilke Möhring. Als Mörder Volker März könnte ich mir sehr gut Oliver Masucci vorstellen, der aber auch den Vater der Ermordeten spielen könnte, Hans Larsen, der über 40 Jahre für Gerechtigkeit gekämpft hat.
Angesichts all dieser Entwicklungen rund um Ihr Schreiben – in Bewegung sein, ist das Ihr Ding?
Ein wenig oberflächlich ausgedrückt: Stillstand ist Rückschritt. Ich stelle für mich auf jeden Fall fest, dass ich immer eine gewisse Entwicklung, ein gewisses Tempo brauche. Etwas, das meine Frau mit mir teilt, weshalb wir beide damit ganz gut klarkommen.
Dr. Markus Thiele (geb. 1971)
Als Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht, Arbeitsrecht und gewerblichen Rechtsschutz arbeitet Markus Thiele außerdem im Bereich Vergaberecht. Er gehört seit 2013 zu den geschäftsführenden Gesellschaftern der Anwaltsgesellschaft Kleinjohann in Rosdorf. Mit dem belletristischen Schreiben begann er 2007.
Der Fall Frederike von Möhlmann
Nach der Vergewaltigung und dem Mord an der 17-jährigen Frederike von Möhlmann wurde der vermeintliche Täter Ismet H. 1982 zunächst zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, dann jedoch 1983 wieder freigesprochen, weil seine Anwesenheit am Tatort nicht zu beweisen gewesen sei. Bei einer gentechnischen Untersuchung des Landeskriminalamts wurde 30 Jahre später am Slip des Opfers jedoch nachgewiesen, dass Ismet H. sehr wohl am Tatort war. Er wurde erneut verhaftet. Im Zusammenhang mit dem Fall kam es zu einer gesetzlichen Neuregelung der Wiederaufnahme rechtskräftig abgeschlossener Strafverfahren innerhalb eines engen Rahmens. Ismet H. wurde auf Basis eines Verfassungsgerichtsurteils jedoch trotzdem nicht erneut verurteilt.
Romane
• Dreizehn Tage am Meer – Oldigor Verlag, Rhede 2013
• Echo des Schweigens – Benevento Publishing, Wals bei Salzburg 2020
• Die Wahrheit der Dinge – Benevento Publishing, Salzburg/München 2021
• Die sieben Schalen des Zorns – Benevento Publishing, Salzburg/München 2022
• Zeit der Schuldigen. Roman nach einem wahren Kriminalfall. – Lübbe, Köln 2024