Im Deutschen Theater sprach der Präsident der PFH Private Hochschule Göttingen Frank Albe mit dem Charakter-Chefredakteur Ulrich Drees über Bildung und Kunst, Freundschaftsbünde und ein Schlitzohr im TUI-Vorstand.
Interview: Ulrich Drees | Fotos: Stephan Beuermann
Herr Albe, wo sind Sie aufgewachsen?
In einer ländlichen Gegend nahe bei Braunschweig, in einem klassischen Einfamilienhaus in Weddel – heute durch die Weddeler Schleife bekannt. Nach dem Abitur in Braunschweig habe ich dort bis zum Vordiplom Wirtschaftswissenschaften studiert und bin dann zusammen mit vielen Kommilitonen zur Landesuniversität nach Göttingen gewechselt. Da mein Bruder hier Jura studierte, hatte ich die Stadt bereits kennen und schätzen gelernt.
Welche Rolle spielte und spielt Göttingen für Ihr weiteres Leben?
Obwohl wir inzwischen in Ingeln bei Hannover wohnen – ähnlich wie in meiner Jugend ist der Kirchturm das höchste Gebäude und Felder rahmen das Dorf ein – ist und bleibt Göttingen ein zentraler Ort. Nicht nur, weil ich hier mein Studium abschloss und promoviert wurde. Weil die Stadt schon damals ein guter „Heiratsmarkt“ war, lernte ich hier auch meine Frau kennen, mit der ich seit 38 Jahre zusammen bin. Auch unsere drei Mädels, die ersten von insgesamt fünf Kindern, wurden hier geboren. Vier von ihnen haben auch hier studiert und arbeiten zum Teil noch hier. Das ging so weit, dass mir eine meiner Töchter vor Kurzem erzählte, sie habe, bis sie zehn Jahre alt war, geglaubt, dass man eigentlich nur in Göttingen studieren könne – und das, obwohl wir damals schon bei Hannover wohnten. Darüber hinaus prägt die Stadt durch meine Tätigkeit als Präsident der PFH Private Hochschule Göttingen natürlich bis heute mein Leben.
War es Liebe auf den ersten Blick?
Es ging auf jeden Fall sehr schnell. Nicht nur, weil ich gleich zu Beginn dem Corps Teutonia-Hercynia Göttingen beitrat, das ich durch meinen Bruder schon als Abiturient kennengelernt hatte, ergaben sich rasch neue Freundschaften und spannende fächerübergreifende Kontakte. Auf diese Weise „über den Tellerrand zu schauen“, empfand ich als echte Bereicherung. Auch meine Frau, die Diplom-Biologin ist und als Mikrobiologin am Max-Planck-Institut arbeitete, lernte ich damals kennen, und wir sind bis heute mit einem sehr breiten Freundeskreis aus dieser Zeit gesegnet.
Heute sind Sie Präsident der PFH, einer privaten Hochschule. Wäre auch eine Laufbahn an der Universität Göttingen vorstellbar gewesen?
Vorstellbar sicher. Als Assistent des vor drei Jahren verstorbenen Prof. Lücke, bei dem ich auch promoviert wurde, hatte ich schon sehr früh und immer gern Kontakt zur Lehre. Über Prof. Lücke, der ja zu den Gründern der PFH gehörte, kam dann die Frage, ob ich mir eine Unikarriere mit Habilitation vorstellen könnte. Obwohl das natürlich für einen 30-Jährigen ein reizvolles Angebot war, wollte ich jedoch zuerst Praxiserfahrung sammeln. Wir, d. h. sowohl die Uni als auch die PFH, bilden primär unsere Studierenden für die Praxis aus. Ohne selbst dort tätig gewesen zu sein, konnte das aus meiner Sicht nicht gelingen. Deshalb übte ich zwar weiter einen Lehrauftrag an der Universität Göttingen und an der jungen PFH aus, wechselte nach dem Studium aber zunächst zum Controlling des TUI-Konzerns nach Hannover, wo ich zuletzt für den Bereich Beteiligungsmanagement verantwortlich war.
Wenn man für einen internationalen Touristik-Konzern arbeitet, ist man dann ständig an attraktiven Urlaubsorten unterwegs?
Dazu kann ich nur sagen: Als meine Freunde in Göttingen hörten, dass ich zur TUI gehen würde, sagten sie: Das ist, als würde ein passionierter Radfahrer bei VW anfangen. Bis zu diesem Zeitpunkt war ich noch nicht ein einziges Mal geflogen und war wirklich kein großer Reisender. Das änderte sich natürlich, aber Dienstreisen sind eben kein Urlaub, da geht’s vom Flughafen vor allem in ein Büro und wieder zurück.
Weshalb gingen Sie dann in die Touristik-Branche?
Noch während ich promovierte, meldete sich der damalige Finanzvorstand der TUI, der jemanden für einen gerade im Aufbau befindlichen Controlling-Bereich suchte. Das sollte jemand sein, der nicht auf den Mund gefallen war und seine Positionen auch den Vorständen gegenüber selbstbewusst vertreten konnte. Über Kontakte nach Göttingen hatte er gehört, dass ich mich auch als Assistent den Professoren gegenüber behaupten könne und „ein scharfes Florett“ führe. Nach einem Gespräch bei der TUI kehrte ich dann etwas unschlüssig nach Göttingen zurück. Die Entscheidung war jedoch längst gefallen. Noch bevor ich wieder zu Hause war, hatte mein späterer Chef – ein echtes Schlitzohr – bereits meine Frau angerufen und ihr von den vielen Reisen erzählt, die möglich würden, wenn ich das Angebot annehmen würde. Als ich dann zur Tür hereinkam, freute sie sich schon darauf, dass ich bald für die TUI arbeiten würde, denn der Reisemuffel in der Familie bin ich nicht meine Frau.
Sie haben die Praxiserfahrungen angesprochen. Was haben Sie gelernt?
Neben dem fachlichen Wissen und branchenspezifischen Wissen war das vor allem die Fähigkeit, so zuzuhören, dass ich Probleme erkennen und dann Lösungen anbieten konnte. Ich war zwar schon immer ein recht guter Zuhörer, aber bei der TUI konnte ich das wirklich noch einmal schärfen.
Schließlich wechselten Sie dann jedoch zur PFH?
Ja. Ich war zu Beginn 1995 zwar durchaus skeptisch, ob das Projekt erfolgreich sein würde. Durch die Nähe zu Prof. Lücke war ich von Anfang an in alle Ideen eingebunden und mir der Herausforderungen bewusst. Allerdings war klar, dass Göttingen eindeutig eine Fachhochschule fehlte. Nach der Wende waren die Hörsäle vollkommen überfüllt. Manchmal gab es Vorlesungen vor 1.000 Studierenden. Als Assistent wusste ich außerdem, wie wertvoll eine enge Zusammenarbeit zwischen Lehrenden und Studierenden war – und genau darauf lief das Konzept der PFH ja hinaus. Und da das Angebot von dort weiter im Raum stand, entschied ich mich für eine Bewerbung auf eine Professur, um es zumindest eine Zeit lang zu machen.
Wie reagierte man bei der TUI?
Ich hatte dort bereits auf das Entstehen einer spannenden neuen Hochschule hingewiesen und die TUI als Kurator für die PFH gewinnen bzw. die Türen öffnen können. 1999 brachte sie sogar eine Stiftungsprofessur ein. Zwar hatte sich der damalige Vorstandsvorsitzende Dr. Ralf Corsten nicht gedacht, dass damit auch mein Wechsel einherginge, aber er war sicher, dass ich nach drei bis vier Jahren zurückkehren würde.
Warum hat er sich da geirrt?
Während der Endphase meiner TUI Jahre kam es zur Übernahme der TUI durch die Preussag AG, was sich natürlich auch auf meine Netzwerke und Perspektiven auswirkte. Vor allem aber entwickelte sich die PFH zu einem wirklich erfolgreichen Startup. Zu Beginn der 2000er-Jahre herrschte eine echte Aufbruchsstimmung, die mich auch erfüllte, denn als vierter dort berufener Professor konnte ich das von Beginn an mitgestalten. Wir hatten damals zwölf Mitarbeitenden und 200 Studierende – heute sind es 150 Mitarbeitende und 4.500 Studierende, die Hälfte aller Studierenden an privaten Hochschulen in Niedersachsen. So wurde ich 2003 Vizepräsident, 2008 Geschäftsführer und 2014 dann Präsident, weshalb ich auch aus der Geschäftsführung austrat, da Forschung und Lehre einerseits und Finanzen andererseits strikt getrennt gehören.
Während Ihrer Zeit an der PFH konnten Sie immer wieder neue Studiengänge etablieren. Wie kam es dazu?
Nachdem wir mit Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftsinformatik gestartet waren – zwei Fächer sind nötig, um als Hochschule zugelassen zu werden – folgte zunächst eine erfolgreiche Entwicklung, bis ca. 2006 klar wurde, dass wir weitere Angebote bräuchten, um dauerhaft eine unabhängige Finanzierung zu gewährleisten. Dafür gibt es vier mögliche Ansätze. Zum einen die klassische Businessschool, die wir ja waren. Der zweite Bereich ist das Fernstudium, das wir dann sehr erfolgreich etablierten. Ein dritter Bereich besteht darin, konkrete Lösungen für eine bestehende Nachfrage der Wirtschaft zu entwickeln. Daraus entstand beispielsweise unser Studienangebot im Bereich kohlenstofffaserverstärkter Kunststoffe sogenannter Composites. Als sich im Zusammenhang mit der Schließung einer Hochschule in Buxtehude – zu der Bernt R.A. Sierke und ich als Berater hinzugezogen wurden – herausstellte, dass der Airbus-Konzern sich einen entsprechenden Studiengang wünschte, habe ich vorgeschlagen, dazu einen Master-Studiengang an der PFH einzurichten. Ich erinnere mich noch, wie der Verantwortliche mir damals sagte: „Mensch, Herr Albe, das ist das erste Mal, dass mir jemand mit einer Lösung kommt und sich nicht zuerst eine Stiftungsprofessur wünscht. Später haben wir allerdings doch eine solche bekommen und sie 18 Jahre behalten. Nachdem wir die Ingenieurwissenschaften dann tatsächlich aufgebaut hatten, rief Hans Georg Näder von Ottobock an. „Sie trauen sich ja was“, meinte er und fragte, ob wir für seine Branche die Akademisierung des Orthopädietechnik-Handwerks umsetzen könnten. Das haben wir dann 2011 mit dem Orthobionik-Studiengang realisiert.
Sie haben von vier Bereichen gesprochen?
Der vierte Ansatz besteht darin, eine Nachfrage nach Studienplätzen aufzugreifen, die von staatlichen Hochschulen nicht befriedigt wird. Mein Freund, Mitgründer der PFH und Vorgänger als Präsident Bernt R. A. Sierke hatte hier die Idee, unser Fernstudium, um das Fach Psychologie zu erweitern. Wir haben uns dann mit Jürgen Hogrefe unterhalten, dessen Verlag in diesem Bereich breit aufgestellt war. Eine Stunde nach dem Gespräch begannen die Vorbereitungen, und 2014 ging es los. Mit heute ca. 2.000 Studierenden – und einem fächertypischen hohen Frauenanteil unterschiedlicher Berufe, wie Erzieherinnen, Polizistinnen oder Lehrerinnen, die das meist berufsbegleitend machen – haben wir uns seither extrem erfolgreich positioniert.
Angesichts der Entwicklung der PFH sind Sie ein besonderes Organisationstalent?
Zum Organisieren brauche ich immer andere. Ich bin eher ein Gestalter, Ideengeber und Netzwerker. Meine Motivation ist es, unsere Erkenntnisse aus der Forschung über die Lehre in die Gesellschaft zu übertragen. Das sehe ich auch als gesellschaftliche Verantwortung. Als Hochschulen müssen wir für eine Gesellschaft, die von lebenslangem Lernen geprägt ist, Brücken bauen, nicht nur in die Arbeitswelt, sondern auch in die Schulen hinein.
Wir unterhalten uns auf Ihre Anregung hin im Deutschen Theater. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an den Intendanten Erich Sidler, der sein Haus normalerweise nicht in dieser Weise öffnet. Was steckt dahinter?
Ebenso wie für Herrn Sidler sind auch für mich Bildung und Kultur untrennbar miteinander verbunden. Beide Bereiche beziehen sich in ganz unterschiedlicher Weise aufeinander. Beispielsweise überlegen wir gerade, wie wir theaterpädagogische Ansätze zur Vermittlung von FutureSkills an unsere Studierenden einsetzen können. Als Hochschullehrer geht es mir außerdem darum, unsere Studierenden auf ihre Zukunft vorzubereiten. Dazu gehört, ihnen Problemlösungskompetenzen zu vermitteln, und dazu sind aus meiner Sicht die Methoden des Theaters gut geeignet: Auf einer Bühne zu stehen, ein Stück zu lernen, zu improvisieren … – all diese Fähigkeiten sind heute gefragt.
Auch grundsätzlich ist doch unsere Vorstellung von Wissen und Bildung eng mit unserer Kultur verbunden, und die Kultur setzt sich wechselseitig auf vielen Ebenen mit der Art auseinander, wie unsere Bildung und unser Wissen unsere Gesellschaft prägen. Nicht zuletzt bin ich aber auch persönlich ein großer Fan des Theaters.
Wann haben Sie diese Leidenschaft für das Theater entdeckt?
Als ich Braunschweig verließ und nach Göttingen kam, gingen wir eben nicht nur ins Kino, sondern auch ins Theater. Das DT war innovativ und zugleich hatte es etwas Nahes und Überschaubares. Man sah die Schauspielerinnen und Schauspieler nicht nur auf der Bühne, sondern auch in der Stadt. Hinzu kam, dass ich damals viele der Existenzialisten, wie Camus, Sartre oder Simone de Beauvoir, las – und als Letztere 1986 starb, gab es gleich darauf eine spontan organisierte Lesung des Deutschen Theaters. Das war einfach beeindruckend.
Wie sehen Sie die hohen Kosten, die angesichts der nötigen Sanierung des Deutschen Theaters aktuell diskutiert werden?
Sicher ist, dass das 134 Jahre alte Haus aus allen Nähten platzt. Auch der Anbau, den der Göttinger Architekt Brandi gestaltete, ist nicht in allen Belangen glücklich. Es ist also klar, dass Geld ausgegeben werden muss. Natürlich sind die aktuell im Raum stehenden Summen sehr hoch, aber wir stehen auch erst am Anfang der Diskussion. In jedem Fall sollte es einer Gesellschaft wert sein, sich ein Theater zu leisten. Doch das Ausmaß der Kosten muss angesichts der Frage, ob es dabei vor allem die Bedürfnisse des „Ostviertels“ und des Göttinger Bildungsbürgertums geht, sicherlich sehr gut erklärt werden. Aber wenn wir uns als Kulturnation verstehen, müssen wir als Bürger auch bereit sein, etwas dafür auszugeben, und nicht einfach erwarten, dass der Staat das macht, und gleichzeitig kritisieren, wie viel es ist. Die Situation ist schwierig, und ich bin froh nicht in politischer und unternehmerischer Verantwortung zu stehen aber zugleich gerne durch einen rotarischen Freund Mitglied des Fördervereins des Deutschen Theater geworden.
Sie haben erwähnt, dass Sie in Göttingen einem Corps beigetreten sind. Spielt das noch heute eine Rolle in Ihrem Leben?
Ja, ich will das nicht zu hoch hängen, aber es handelt sich um ein Lebensbundprinzip und als „Alter Herr“ bin ich noch immer mehr oder weniger aktiv und habe das Corps nach einer sehr angenehmen Aktivenzeit als echten Freundesbund über Generationen hinweg schätzen gelernt. Entscheidend war dabei, dass Corps generell unpolitisch sind und Teutonia-Hercynia Göttingen im Speziellen zwei politische Besonderheiten aufweist: Einer unserer Gründer war Wilhelm Pieper der Privatsekretär von Karl Marx im englischen Exil – über seinen Scherenschnitt steht „Nieder mit dem Eigentum“ – und ein weiteres Mitglied Georg Diederichs, von 1961-1970 niedersächsischer Ministerpräsident, war ein aufrechter Sozialdemokrat.
In Ihrem Corps wird gefochten, was heute für viele Menschen ein schwieriger Aspekt ist. Wie gehen Sie damit um?
Das akademische Fechten ist eine Tradition, die heute sicher für viele nicht mehr in die Zeit passt. Wenn ich andererseits sehe, was junge Menschen heute machen – Fallschirmsprünge, Tauchen, Autowettrennen à la James Dean – so etwas würde ich wiederum nie tun. Historisch betrachtet, entstand diese Tradition aus einem Privileg, das Studierenden schon im 16. Jh. von Kaiser Maximilian verliehen wurde. Weil sie von Lehrendem zu Lehrendem reisen mussten, durften sie zu ihrem Schutz als einziger Stand neben dem Adel Waffen tragen. Und wenn sie sich dann trafen, dann maßen sie sich eben manchmal auch im Umgang mit ihren Waffen.
Insofern ist das Fechten ein Initiationsritus. Es gibt viele Regeln, damit niemand verletzt wird und es sind heute Bestimmungsmensuren, die keinen Duellcharakter haben, dass haben Vorgängergenerationen gerade auch aus Göttingen unserem Bundespräsidenten Heuss in die Hand versprochen. Alles in allem kann ich aber jeden verstehen, der das kritisch sieht oder dem sich diese Tradition nicht erschließt.
Auch wenn Corps aus Prinzip unpolitisch sind – viele Verbindungen sind es nicht, sondern bewegen sich in einem reaktionären bis neu-rechten Spektrum. Kann man diesen Tendenzen aus dem Weg gehen?
Ja. Davon habe ich mich bewusst immer ferngehalten. Natürlich gibt es auch in Corps Menschen mit politischen Meinungen, mit denen man eigentlich nichts zu tun haben will. Aus der Corpsgemeinschaft ergibt sich jedoch, dass man dazu gebracht wird, sich in Form eines demokratischen Diskurses zu streiten. Und das ist etwas, das heute häufig zu kurz kommt, weil man Andersgesinnten leichter aus dem Weg gehen kann. Ich liebe in dieser Hinsicht den Diskurs, der gerne auch ironisch und mit Wortwitz begangen werden kann.
Und was ist mit dieser Wahrnehmung, dass Corpsbrüder einander bei der beruflichen Karriere unterstützen?
Abgesehen davon, dass es diese Art nützlicher Netzwerke natürlich in allen gesellschaftlichen Bereichen gibt, spielt so etwas heute keine Rolle mehr. Wer deshalb einem Corps beitritt, macht einen Fehler. Heute kann es sich niemand mehr leisten, einen „Under-Performer“ zu unterstützen, nur weil man im selben Corps ist. Aus meiner Sicht ist es vor allem nützlich, dass man in einem Corps über den Kontakt zu den Alten Herren schon als junger Mensch den Umgang mit ganz unterschiedlichen Alters- und Berufsgruppen sowie deren Meinungen erlernen kann. Ich war zwar nie ein schüchternes Kind, aber in diesen Situationen habe ich vieles gelernt, was ich später einsetzen konnte.
Sie haben fünf Kinder erwähnt, die zum Teil in Göttingen studierten. Sind die auch in Ihrem Corps?
Wir haben drei Töchter und zwei Söhne, von denen einer eingetreten ist und der andere bewusst gesagt hat, das ist nichts für mich. In diesem Zusammenhang: Eine meiner Töchter Alicia-
Constanze – ein Zwillingskind – ist eine Woche nach ihrer Geburt gestorben. Sie wäre nach einer Sauerstoffunterversorgung während der Geburt wahrscheinlich behindert gewesen. Dass ich mich heute auch im Kuratorium der Special Olympics engagiere, hat ein wenig auch mit ihrem Verlust zu tun.
Im letzten Jahr fanden die Special Olympics Spiele der kognitiv eingeschränkten Menschen in Deutschland statt. In Göttingen war das südafrikanische Team zu Gast. Ich fände es schön, wenn wir in der Zukunft hier auch die niedersächsischen Landesmeisterschaften ausrichten könnten. Vor Jahren haben wir von der PFH aus Studierende als Schiedsrichter zu den Wettkämpfen vermittelt – es ging darum, praktische Social Skills anzuwenden, Hinterher kamen die zuerst skeptischen Studierenden wieder und erzählten, wie beeindruckend es war, mitzuerleben mit welcher Freude die Teilnehmenden an ihre Grenzen gingen.
Sie sind 60 Jahre alt; denkt man da bereits an den Ruhestand?
Natürlich bin ich mir meines Alters bewusst. Insofern befinde ich mich auch mit Blick auf meine Nachfolge in einer Übergangsphase. Aber als die Eigentümer der PFH im Jahre 2020 wechselten, sagten die Altgesellschafter, dass ich mir aussuchen solle, welches Angebot angenommen würde, da ich ja noch lange mit den neuen Eigentümern zusammenarbeiten müsste. Es wurde dann auch tatsächlich das französische Unternehmen, das ich mir gewünscht hatte, und auch deshalb habe ich noch sehr viel Freude an meinem Beruf. Wenn ich danach gefragt werde, bezeichne ich mich oft als Hochschulmanager. Trotz sinkender Studierendenzahlen wächst der Bereich Privathochschule insbesondere im Bereich Fernstudium und internationale Studierende weiter, und es macht mir viel Spaß, diese Entwicklung an der PFH mitzugestalten. Dabei geht es darum, dass ich meinen Kollegen und Kolleginnen in der Lehre und Forschung und den Studierenden ein gutes Umfeld schaffen möchte. Dazu gehört auch, Studierende und Alumni bei ihrer beruflichen Entwicklung oder einer eventuellen Unternehmensgründung zu begleiten. Unser Zentrum für Entrepreneurship ist ein wirklich erfolgreiches Angebot in einem Bereich, den die Universität aus meiner Sicht lange sträflich vernachlässigt hat. Und nicht zuletzt habe ich nie aufgehört, selbst zu lehren – die Freude daran begleitet mich bereits mein ganzes Leben.
Frank Albe und DT-Intendant Erich Sidler
Prof. Dr. Frank Albe
Frank Albe (geboren 1964) promovierte an der Universität Göttingen als Assistent von Professor Dr. Dr. h.c. Wolfgang Lücke am Institut für Produktions- und Investitionsforschung Abteilung Industrielles Management mit einer Arbeit über das Kooperationscontrolling.
Im Anschluss wechselte er in den Bereich Konzerncontrolling zur TUI GmbH & Co. KG, wo er an der Neuausrichtung des Konzern- und des Investitionscontrolling mitwirkte und für zahlreiche Merger & Aquisitions verantwortlich zeichnete. Zuletzt verantwortete er als Leiter im Beteiligungscontrolling des TUI Konzerns die Veranstalter Europa Mitte sowie die Hotel- und Zielgebietsbeteiligungen.
Im Oktober 2000 nahm er den Ruf auf den Lehrstuhl für allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Tourismusmanagement und Controlling, an die PFH Private Hochschule Göttingen an. Seit 2003 bekleidet er das Amt des Vizepräsidenten, und von 2004 -2007 war er Leiter des Instituts zur Entwicklung der Wirtschaftskompetenz von Politikern (IEWP). Im Herbst 2014 erfolgte seine Wahl zum Präsidenten der Hochschule.
Studentische Corps
Die studentischen Corps haben sich aus den Landsmannschaften entwickelt. Diese sollten Studierenden aus jeweils bestimmten Herkunftsregionen – im Falle des Teutonia-Hercynia des Harzes – in den für sie fremden und oft weit von zu Hause entfernten Universitätsstädten Unterstützung und freundschaftliche Kontakte bieten. Ihre zumeist bürgerlichen Mitglieder beteiligten sich dann 1848 häufig an den revolutionären Forderungen. 1848 wurde dann der der Kösener Dachverband gegründet und viele waren in der Paulskirche beim ersten Demokratieversuch in Deutschland beteiligt War die Mitgliedschaft zunächst nur auf die Studienzeit ausgelegt, entwickelte sich später das Konzept einer lebenslangen Mitgliedschaft bei der die „Alten Herren“ durch ihre Beiträge den Studierenden das Wohnen zu reduzierten Kosten in eigenen Häusern ermöglichten.
Die Göttinger Hochschullandschaft
Auch aus Sicht der PFH ist die Zusammenarbeit der Göttinger Hochschulen gut bis sehr gut. „Beispielsweise“, erläutert Frank Albe, „arbeiten wir am Südniedersachsen Innovationscampus (SNIC) oder in der Südniedersachsenstiftung gemeinsam mit der Universität, der UMG und vielen weiteren an Bildungsangeboten. Ein anders geartetes Beispiel ist die Orthobionik. Da haben wir an der PFH wirklich seit 2010 etwas in Deutschland, man kann sagen sogar europaweit Einzigartiges geschaffen. Als Niedersachsen und Hans-Georg Näder ankündigten, dass dieses erfolgreiche Angebot zukünftig kostenlos – sprich steuerfinanziert – angeboten werden sollte, haben wir uns nach anfänglichem Ärger dazu entschieden, einen friktionslosen Übergang an die HAWK zu gestalten. Für den Gesundheitscampus ist es so etwas wie ein „missing link“ zwischen Technik und Gesundheit und was noch wichtiger ist, es bleibt für Südniedersachsen erhalten und hilft der HAWK. Damit die ausgezeichnete Qualität gehalten werden kann, haben wir sogar unsere Professoren und wissenschaftliche Mitarbeitende transferiert. Das ist einzigartig in der deutschen Hochschullandschaft.“