Jörn Hein­ecke (Pfle­ge­di­rek­tor Askle­pi­os Fach­kli­ni­kum Göt­tin­gen und des Askle­pi­os Fach­kli­ni­kum Tie­fen­brunn), Chris­tel Lüdecke (Ärzt­li­che Direk­to­rin des Askle­pi­os Fach­kli­ni­kums Göt­tin­gen und Chef­ärz­tin des Berei­ches für Abhän­gig­keits­er­kran­kun­gen), Jan­nis Preus (Geschäfts­füh­rer der Askle­pi­os Psych­ia­trie Nie­der­sach­sen GmbH)

Im Inter­view stel­len die Ver­ant­wort­li­chen der Askle­pi­os Psych­ia­trie Nie­der­sach­sen GmbH die Sta­ti­ons­äqui­va­len­te Behand­lung (StäB) vor, mit der der Kli­nik­be­trei­ber gera­de deutsch­land­weit Maß­stä­be setzt.

Inter­view: Ulrich Drees | Fotos: Ulrich Drees, Askle­pi­os

Herr Preus, was ist StäB, und wel­che Bedeu­tung besitzt die­ses Ange­bot für die Askle­pi­os Psych­ia­trie Nie­der­sach­sen?
Im Rah­men der StäB behan­deln wir seit 2018 Men­schen mit aku­ten psy­chi­schen Erkran­kun­gen in ihrem gewohn­ten hei­mi­schen Umfeld als Alter­na­ti­ve zur voll­sta­tio­nä­ren psych­ia­tri­schen-psy­cho­the­ra­peu­ti­schen Akut­ver­sor­gung im Kran­ken­haus. Das Ange­bot rich­tet sich expli­zit an Pati­en­ten/-innen, die aus ver­schie­de­nen Grün­den kei­ne psych­ia­tri­sche Kran­ken­haus­be­hand­lung vor Ort in der Kli­nik in Anspruch neh­men kön­nen, aber einer voll­sta­tio­nä­ren Behand­lung bedür­fen. Die sta­ti­ons­äqui­va­len­te Behand­lung bie­tet eine gleich­wer­ti­ge voll­sta­tio­nä­re Behand­lung und stellt für unse­re Pati­en­ten eine Chan­ce dar.
Wir gehör­ten zu den Ers­ten, die eine StäB erprob­ten, und sind heu­te mit unse­ren 65 StäB-Plät­zen der deutsch­land­weit größ­te Anbie­ter in die­sem Bereich – wer­den aber im kom­men­den Jahr noch ein­mal erwei­tern. Das bedeu­tet auch, dass wir statt immer wei­te­re Anbau­ten zu errich­ten, zu unse­ren Pati­en­ten/-innen nach Hau­se fah­ren. Ganz wich­tig: Alle Erfol­ge, die wir mit der StäB aktu­ell erzie­len, beru­hen auf unse­rer gemein­sa­men Zusam­men­ar­beit und dem Enga­ge­ment unse­res gesam­ten Teams.

Wie steht es um die recht­li­chen und finan­zi­el­len Rah­men­be­din­gun­gen?
Wie für alles im Kran­ken­haus­be­reich exis­tiert auch für die StäB ein OPS – ein Ope­ra­tio­nen- und Pro­ze­du­ren­schlüs­sel –, der alle Details genau regelt. Ver­bes­se­rungs­wür­dig ist aktu­ell die Aus­fi­nan­zie­rung der StäB. Hier­zu befin­den wir uns mit den Kran­ken­kas­sen in Gesprä­chen.

Frau Lüdecke, wie stellt sich die StäB für Sie als Chef­ärz­tin aus medi­zi­ni­scher Sicht dar?
Wenn ein Psych­ia­ter oder All­ge­mein­me­di­zi­ner, bei­spiels­wei­se der Haus­arzt, die Not­wen­dig­keit einer psych­ia­tri­schen Behand­lung sieht, die über das Maß ambu­lan­ter Mög­lich­kei­ten hin­aus­geht, und ein sta­tio­nä­rer Kran­ken­haus­auf­ent­halt ört­lich nicht in Fra­ge kommt, ist die StäB das Mit­tel der Wahl. Die Teams, die die­se Pati­en­ten/-innen dann zu Hau­se auf­su­chen, sind mul­ti­pro­fes­sio­nell aus­ge­rich­tet, d.h. Arzt, Kran­ken­pfle­ge, Sozi­al­ar­beit und psy­cho­lo­gi­sche Behand­lun­gen ste­hen je nach psy­chi­schem Krank­heits­bild und Schwer­punkt in der Behand­lung wie bei einer voll­sta­tio­nä­ren Kran­ken­haus­be­hand­lung zur Ver­fü­gung.
Dass ein sta­tio­nä­rer Auf­ent­halt nicht in Fra­ge kommt, dafür kön­nen ganz ver­schie­de­ne Grün­de ver­ant­wort­lich sein: Viel­leicht ist jemand unab­kömm­lich in die Betreu­ung von Kin­dern oder pfle­ge­be­dürf­ti­gen Ange­hö­ri­gen ein­ge­bun­den, viel­leicht gibt es Haus­tie­re, oder jemand kann wegen aus­ge­präg­ter Ängs­te oder Zwän­ge sei­ne Woh­nung nicht ver­las­sen. Dass wir die­sen Men­schen über die StäB trotz­dem hel­fen kön­nen, ist ein gro­ßer Fort­schritt.

Was macht die Behand­lung im häus­li­chen Umfeld beson­ders?
Zum einen müs­sen wir uns erst ein­mal über­zeu­gen, dass die häus­li­che Situa­ti­on geeig­net ist. Es braucht bei­spiels­wei­se einen Raum, in dem wir uns mit den Pati­en­ten/-innen allein aus­tau­schen kön­nen, eben­so müs­sen even­tu­ell vor Ort leben­de Fami­li­en­mit­glie­der ein­ver­stan­den sein. Zu den Beson­der­hei­ten zählt außer­dem, dass wir vor Ort natür­lich das direk­te Umfeld der Pati­en­ten/-innen bes­ser ein­schät­zen kön­nen. Bei­spiels­wei­se haben sie oft viel mehr Res­sour­cen als erwar­tet, etwa ein Hob­by oder zuvor unbe­kann­te sozia­le Bin­dun­gen.

Herr Hein­ecke, wel­che orga­ni­sa­to­ri­schen Aspek­te sind aus Ihrer Sicht beson­ders wich­tig?
Die Mit­ar­bei­ten­den der StäB sind alle mit einem klei­nen Dienst­wa­gen, einem Dienst­note­book und einem Dienst­han­dy aus­ge­rüs­tet. Schon auf­grund der Grö­ße des Ver­sor­gungs­ge­bie­tes, das von Gos­lar bis Hann. Mün­den reicht und in dem ca. 600. 000 Men­schen leben, arbei­ten wir außer­dem beson­ders digi­tal. Grö­ße­re Bespre­chun­gen lau­fen zu einem gro­ßen Teil über Video­kon­fe­ren­zen, auch der unmit­tel­ba­re Aus­tausch zwi­schen den Team­mit­glie­dern läuft tele­fo­nisch, bzw. über Video­te­le­fo­nie. Damit alle vor Ort direkt start­klar und auf dem­sel­ben Stand sind, nut­zen wir ein daten­schutz­kon­for­mes, digi­ta­les Pati­en­ten­do­ku­men­ta­ti­ons­sys­tem – also eine elek­tro­ni­sche Pati­en­ten­ak­te. Ein wei­te­rer Aspekt ist, dass die StäB deut­lich mehr Ein­zel­kon­tak­te mit sich bringt.
Grund­sätz­lich erle­ben wir aktu­ell, dass die Behand­lungs­be­dürf­tig­keit von Men­schen mit psy­chi­scher Erkran­kung in Deutsch­land erheb­lich ansteigt. Für vie­le kommt gleich­zei­tig ein län­ge­rer Kran­ken­haus­auf­ent­halt nicht in Fra­ge. Als wir vor sechs Jah­ren beschlos­sen haben, mit der StäB zu begin­nen, lag das auch an dem stark wach­sen­den Bedarf an pro­fes­sio­nel­ler Behand­lung.

Brau­chen Ihre Mit­ar­bei­ten­den beson­de­re Vor­aus­set­zun­gen, um in der StäB zu arbei­ten?
Bei der auf­su­chen­den Behand­lung arbei­ten wir aus­schließ­lich mit exami­nier­ten Pfle­ge­fach­kräf­ten, die zum gro­ßen Teil sogar die Fach­kran­ken­pfle­ge­aus­bil­dung haben – in unse­rem Beruf das Äqui­va­lent eines Meis­ter­ti­tels. Die Kol­le­gen/-innen sind ja über­wie­gend allein mit den Pati­en­ten, da braucht es schon ein gutes Gespür und ent­spre­chen­de Fähig­kei­ten.

Wie sieht es bei der Ärz­te­schaft aus, Frau Lüdecke?
Der ers­te Besuch in der Häus­lich­keit wird von einem in der Psych­ia­trie erfah­re­nem Fach­arzt durch­ge­führt. Vie­le Ärz­te/-innen sind zu Beginn unsi­cher, beschrei­ben die StäB dann jedoch als sehr erfül­len­de Tätig­keit. Dass jemand die­se Behand­lungs­form nicht aus­üben möch­te, kam noch nicht vor.

Herr Preus, gibt es wei­te­re Aspek­te, die im Zusam­men­hang mit der StäB bedeut­sam sind?
Das Kon­zept ist eng mit der Wei­ter­ent­wick­lung unse­rer digi­ta­len Behand­lungs­an­ge­bo­te, wie zum Bei­spiel der digi­ta­len Anwen­dung Mind­dis­trict, ver­bun­den, die in Kran­ken­häu­sern, Tages­kli­ni­ken, Ambu­lan­zen und auch in der StäB die bestehen­de Ver­sor­gung effek­tiv ergän­zen kön­nen. Sie erset­zen dabei kei­ne Mit­ar­bei­ten­den, son­dern ermög­li­chen den Exper­ten/-innen vor Ort eine Ver­bes­se­rung ihrer Behand­lung. Außer­dem kön­nen wir mit digi­ta­len Ange­bo­ten Men­schen errei­chen, die bis­her aus der Ver­sor­gung aus­ge­schlos­sen sind oder für die unse­re Ange­bo­te ein­fach nicht pas­sen.

Mind­dis­trict
In Sachen digi­ta­ler Behand­lung ist die Askle­pi­os Psych­ia­trie Nie­der­sach­sen die Pilot­kli­nik in der Askle­pi­os Grup­pe. Im Mit­tel­punkt steht dabei die web- und app­ba­sier­te Anwen­dung „Mind­dis­trict“, die von Pati­en­ten/-innen ergän­zend zu allen Behand­lungs­for­men über ihr Han­dy genutzt wer­den kann. Auch im Pfle­ge­dienst haben die Göt­tin­ger Exper­ten/-innen inzwi­schen brei­te Erfah­run­gen mit der Mind­dis­trict-App gesam­melt. „Wir machen mit den Pati­en­ten/-innen auch in der StäB Trai­nings­pro­gram­me“, erklärt Jörn Hein­ecke, „nach denen sie zum Bei­spiel Tage­bü­cher schrei­ben oder den Umgang mit The­men wie Acht­sam­keit und Genuss üben kön­nen.“ Obwohl die Pati­en­ten/-innen die App allein bedie­nen, ersetzt sie nie den The­ra­peu­ten, sie erlaubt jedoch ein effek­ti­ve­res Feed­back. „Das ermög­licht es uns, auch in der Häus­lich­keit den Behand­lungs­um­fang weit über den jeweils ein­stün­di­gen, per­sön­li­chen Face-to-face-Kon­takt hin­aus­zu­tra­gen.

Askle­pi­os Fach­kli­ni­kum Göt­tin­gen
Ros­dor­fer Weg 70
37081 Göt­tin­gen
Sta­ti­ons­äqui­va­len­te Behand­lung
Tele­fon: 0551 402-1000
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