Im Studio Wasserscheune in Erbsen sprach Charakter-Chefredakteur Ulrich Drees mit Dr. Thomas Carl Stiller. Der überzeugte „Rebell“ arbeitet als Landarzt, ist FDP-Fraktionsvorsitzender im Kreistag des Landkreises Göttingen und engagiert sich für die Waldbühne Bremke.
Interview: Ulrich Drees | Fotos: Stephan Beuermann
Herr Dr. Stiller, obwohl Sie hauptberuflich eine Landarzt-Praxis mit zwei Niederlassungen in Volpriehausen und Adelebsen betreiben, sind Sie vielen Menschen in der Region vor allem durch Ihre Bereitschaft, sich in den unterschiedlichsten Themen zu engagieren, bekannt. Wie empfinden Sie das?
Dieser politische Geist, angesichts eines Missstandes den Mund aufzumachen und zu kämpfen, wurde mir schon sehr früh bewusst. Mir ist wichtig, mich nicht einfach nur zu beschweren, wenn ich etwas problematisch finde, sondern mich konstruktiv für eine Lösung einzusetzen. Beispielsweise erinnere ich mich an meine Zeit als PJler, also während meines ärztlichen Praktischen Jahres. Wir wurden damals noch nicht bezahlt, denn es war die Zeit der „Ärzteschwemme“. Also musste ich nebenher arbeiten, weil ich bereits zwei Kinder hatte. Im Praktischen Jahr wurden wir vollzeitig in der Klinik eingeplant, so dass Nebenjobs nicht mehr möglich waren, zusätzlich sollten wir an der Uni aber noch Parkgebühren zahlen. Ich dachte, das kann doch nicht sein. Also habe ich einen Antrag geschrieben und bei der Verwaltung abgegeben. Als ich sah, wie dieser in einem hohen Stapel ganz unten einsortiert wurde, bin ich einfach direkt zum Dekan gegangen und habe gesagt: „Das geht so nicht. So kann ich hier nicht zu Ende studieren.“ Daraufhin wurden die Parkgebühren tatsächlich abgeschafft, und ich galt seitdem als Rebell.
Sind Sie diesem Ruf treu geblieben?
Ja. Als während meines AiPs ein neues Hochschulrahmengesetz angekündigt wurde, erkannte ich, dass im Zuge der darin enthaltenen Verkürzung der Verbleibezeit an der Universität plötzlich auch die Dauer der Doktorarbeit berücksichtigt werden sollte. Daraufhin habe ich bei einem Besuch des Göttinger Bundestagsabgeordneten Thomas Oppermann im Hörsaal 81vor versammelter UMG-Prominenz gesagt: „Das Gesetz ist Unsinn. Unter diesen Bedingungen würden viele der anwesenden Ärzte wegen der Verbleibezeit ihre Verträge nicht verlängert bekommen. “ Da drehten sich alle zu mir um, als ob sie sagen wollten: „Was ist das denn für ein Youngster? Wieso wagt er es, sich hier zu äußern?“ Oppermanns Reaktion blieb vage, die Dinge nahmen ihren Lauf, und am Ende kam es genau so, wie ich es erwartet hatte.
Nach Ihrer Promotion in der Biophysik auf dem Themenfeld der Tumorzytogenetik und Strahlenbiologie arbeiteten Sie zunächst in der Forschung, sind dann aber doch zur Allgemeinmedizin gewechselt und haben nach einer Tätigkeit im inzwischen geschlossenen Krankenhaus in Uslar 2006 Ihre Hausarztpraxis in Volpriehausen eröffnet. Warum der Wechsel?
Schon als ich mich im Zusammenhang mit dem anstehenden Hochschulrahmengesetz orientierte, was ich außerhalb einer Universitätslaufbahn machen könnte, hatte ich interessehalber erste Hausarzt-Kurse besucht. Ich bemerkte in diesen Kursen, wie spannend ein medizinischer Gesamtblick auf den Menschen ist. Die Möglichkeit, oft nur mit Gesprächen zu helfen und zu heilen, hat mich fasziniert. Da entdeckte ich meine Leidenschaft für Allgemeinmedizin. Hier konnte ich alle meine Stärken am besten umsetzten. Eigentlich fand ich die neuropathologische Forschung zwar wirklich spannend, doch ich war mir auch nicht sicher, ob ich mich mein Leben lang nur mit einem Molekül oder sogar nur einem Molekül-Teil befassen wollte. Dann doch lieber mit dem ganzen Leben des Patienten als Facharzt für Allgemeinmedizin.
Inzwischen arbeiten Sie bereits seit 18 Jahren als Hausarzt im ländlichen Raum – eine Tätigkeit, die andere Mediziner offenbar so wenig attraktiv finden, dass es dort einen echten Mangel gibt.
Diejenigen, die es aktuell machen, machen es aus Leidenschaft. Der Mangel ist an einigen Orten spürbar aber es gibt auch immer mehr Umsteiger und Quereinsteiger und auch noch die Landarztquote in Niedersachsen. Wir sterben als Landärzte also wohl nicht aus. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen stehen bei ihrer Arbeit unter Zeitstress, oft mit der Vorstellung, als Landarzt ständig verfügbar sein zu müssen. Aus meiner Sicht beginnt diese Stress bereits im Studium. Die Studierenden stehen unter Druck und müssen viele Prüfungen ablegen. Deshalb fühlen sie sich schon im Studium wie in einem Hamsterrad. Das setzt sich dann in der Assistenarzt mit Überstunden fort. Erholungsphasen sind knapp. Es ist wirklich wichtig, sorgsamer mit unserem Nachwuchs umzugehen, denn das sind dann diejenigen, die uns später behandeln. Die sollen ihre Neugier und empathische Motivation nicht verlieren, und selbst gesund bleiben. Die Beobachtung, dass viele Patienten zu unrecht einen Arzt oder ein Krankenhaus aufsuchen, kann ich aus meiner Erfahrung überhaupt nicht nachvollziehen. Für jeden Menschen ist der persönliche individuelle Beratungsanlass sehr wichtig. Niemand kommt ohne Grund in eine Ambulanz oder Praxis. Wenn man dann als Arzt auch niederschwellig z. B. durch Beratung helfen kann, ist doch viel erreicht. Wichtig ist immer, den abwendbar gefährlichen Verlauf zwischen den vielen „leichteren“ Fällen nicht zu übersehen.
Sie wirken tatsächlich gut gelaunt und nicht gestresst.
Glücklicherweise bin ich schon immer ganz gut mit den Belastungen klargekommen. Vielleicht deshalb, weil ich im Sinne dieser wissenschaftlich belegten zirkadianen Rhythmen, also der Schlafzyklen, eindeutig ein Eulen-Typ bin. Ich kann nachts gut aktiv sein und lange wach bleiben. Hinzu kommt, dass ich nicht so sehr auf ein fahrplangetaktetes Leben aus bin. Murphys Gesetz (siehe am Ende des Artikels) ist mein Alltag. Erst heute war ich auf einem Außentermin, und plötzlich kollabierte jemand in der Menschenmenge um mich herum. In meiner Praxis wartet hinter jeder Tür eine andere Situation auf mich. Jemand lächelt zuerst und schildert dann im Gespräch, dass er daran denkt sich umzubringen. Ich diagnostiziere eine schwere Erkrankung und muss das jemandem mitteilen. Im nächsten Zimmer wartet ein Patient mit einer leichten Erkältung, die für ihn selbst aber sehr schlimm ist. Ich bin gewöhnt, zu improvisieren. Das sollte man können: ruhig bleiben, sich auf das eigene Können verlassen, und eine Lösung finden, und diese dann empathisch und verständlich den Menschen kommunizieren.
Sie sind inzwischen in der zweiten Legislaturperiode im Göttinger Kreistag aktiv. Spielt da Ihre Arbeit als Hausarzt eine Rolle?
In der Praxis lerne ich auch von meinen Patienten, wo ihre Sorgen und Nöte liegen. Da bin ich medizinisch aber auch politisch sehr nah an den Problemen der Gesellschaft. Erste politische Erfahrungen konnte ich bereits in der Ärztekammer sammeln, in der ich bereits seit vielen Jahren berufspolitisch tätig bin. Geht es um die Arbeit der Hausärzte, denke ich, dass wir doch alle von einer Medizin profitieren, die vor Ort eine gute Behandlung ermöglicht. Das müssen wir erhalten. Schon sehr lange wird auf Bundesebene über umfassende Reformen gesprochen – doch ich rufe dazu auf, die Rolle der Hausärzte zu stärken. Wir sind die ersten und wichtigsten Ansprechpartner für kleine und große Probleme und diejenigen, die das Wissen über die neuesten Behandlungsangebote in der breiten Bevölkerung streuen und erklären.
Das sind wichtige überregionale Themen. Wie kam es dazu, dass Sie sich seit nun acht Jahren auch regional politisch engagieren?
Dafür war die Art und Weise verantwortlich, mit der die Planung von Windkraftanlagen vor 10 Jahren in der Region umgesetzt werden sollte. Als die ersten Planer bei uns im Dorf den Landwirten ihre Pläne vorstellten, durfte ich dabei sein. Hinter verschlossenen Türen bei einem Gespräch in der Dorf-Gaststätte kam dann zur Sprache, dass u. a. sehr viele Rotmilane in dem für die Anlagen infrage kommenden Gebiet lebten. Dementsprechend war die Frage: Dürfen die Projektierer da überhaupt etwas planen? Woraufhin die meinten, dass sie einen Biologen an der Hand hätten, der, wenn die Bäume mit den Horsten verschwunden wären, das schon der Behörde erklären könne. Ich dachte: „Alter, das geht gar nicht!“ Dies hat mich wachgerüttelt, mich zu engagieren. Artenschutz und Landschaftsschutz sind Themen, die ich seit meiner Jugend verfolge.
Als sich im weiteren Verlauf in Esebeck und Barterode eine Bürgerinitiative formierte, war ich mit dabei. Ich hatte das Gefühl, dass es den Projektierern nur um den Profit einer kleinen Gruppe ging, während die Interessen der Bürger und die Belange der schützenswerten Natur keine Rolle spielten. Damals zahlte sich auch mein Erdkunde-Leistungskurs aus, denn ich war in der Lage, die Raumordnungspläne zu interpretieren, und konnte erkennen, dass der ländliche Raum darin extrem benachteiligt wurde. Auch heute spielt der Artenschutz immer eine wichtige Rolle. Leider müssen oft erst Gerichte dem Artenschutz Raum geben.
Sind Sie ein Windkraft-Gegner?
Nein. Ich bin für erneuerbare Energie und Windkraftanlagen – nur mit den richtigen Abständen, und es sollte nicht zu viel an einem Ort konzentriert werden. Mensch, Natur und Technik können gemeinsam existieren. Es gibt viele ausführlich untersuchte Alternativen zur jetzigen Strategie, beispielsweise die sogenannte Trassenbündelung. Dabei geht es um die Konzentration von Windkraftanlagen entlang der Autobahnen. Dort gäbe es kein Akzeptanzproblem und keine Artenschutzkonflikte, und die Anlagen wären sehr wartungsfreundlich. Hätte man sich in Berlin darauf eingelassen – die Autobahnen unterstehen ja der Bundeshoheit – stünden die ganzen Anlagen längst da. Der ganze kleinteilige Ärger, den wir heute erleben, wäre vermieden worden. Weil die Politik immer wieder erklärte, dass der eingeschlagene Weg alternativlos sei, während die Bürger keine Stimme hatten, ließ ich mich vom FDP-Kreisverband 2016 erstmals als parteiloser Kandidat für den Kreistag aufstellen, um den Bürgern eine Stimme zu geben.
Inzwischen sind Sie nach Ihrer Wiederwahl 2021 ebenfalls wieder Fraktionsvorsitzender und holten die meisten persönlichen Stimmen für die FDP, der sie nun auch angehören. Welche Erfahrungen haben Sie dort bis heute gemacht?
Spätestens zur Zeit der Corona-Krise war mir klar, dass es nicht nur um die Transformation der erneuerbaren Energien im ländlichen Raum geht, sondern noch um vieles mehr. Wie impfen wir? Wie erreichen wir die Leute? Wie erhalten wir die Grundversorgung aufrecht? Es gab einfach so viel zu tun. Und wenn ich etwas mache, dann richtig. Also hat sich das immer weiterentwickelt, und irgendwann bin ich auch in die FDP eingetreten. Man muss ja nicht mit allem übereinstimmen, aber ich bin Arzt: Deshalb darf man von mir immer einen Therapievorschlag erwarten, zur Flüchtlingskrise beispielsweise: Aus der ärztlichen Praxis weiß ich, wie wichtig eine gute psychosomatische Versorgung traumatisierter Flüchtlinge ist, sonst finden sie nicht den Weg in unsere Gesellschaft. Dazu hatte ich 2018 einen Antrag eingebracht, der auch einstimmig angenommen wurde, obwohl wir damals nur eine kleine Dreierfraktion waren. Da wurde mir klar: Ich kann auch mit anderen etwas erreichen.
Sind Sie also in der politischen Arbeit angekommen?
Ja. Man lernt mehr und mehr Leute kennen, auch solche, die weiter oben stehen und mehr zu sagen haben. So versteht man, wie Politik funktioniert und kann die eigenen Sachen besser voranbringen. Das ist mühselig, denn scheinbar passiert kaum etwas. Aber das täuscht, es geschieht nur in den Zwischenräumen. Manchmal ist das wichtiger, was wir gerade beim Kaffeeholen besprechen, als was in der Sitzung offiziell debattiert wird. Natürlich sind die Sitzungen und Ausschüsse wichtige Orte, bei denen Politik für die Öffentlichkeit und Presse sichtbar wird. Doch noch wichtiger sind die Gespräche vor den Sitzungen, bei denen man den eigenen Antrag vielleicht noch einmal individuell erklärt. Dann muss man auch von den anderen Fraktionen Elemente aufnehmen und eigene Ideen anpassen: Also einen Kompromiss finden, um das politische Problem oder die Aufgabe für die Menschen im Landkreis zu lösen. Nur so finden sich Mehrheiten. Das ist Demokratie. Das kann ich heute besser nutzen als zuvor.
Es scheint, als befruchten sich Ihre unterschiedlichen Tätigkeitsfelder und Interessengebiete immer wieder gegenseitig?
Meine vielen Interessen ergänzen sich tatsächlich. Ich habe eigentlich nie etwas gemacht, was nicht irgendwann nützlich gewesen wäre. Beispielsweise wurde ich 2007 kurz nach meiner Niederlassung als Arzt aus heiterem Himmel mit horrenden Arzneimittelregressforderungen konfrontiert. Glücklicherweise beruhten diese auf fehlerhaften Berechnungen, doch als ich dem nachging, sah ich die Ungerechtigkeiten in diesem System und konnte sie nicht einfach auf sich beruhen lassen. Also bin ich Jahre später in den Hartmannbund eingetreten – den ältesten Ärzteverband überhaupt –, wo ich in Veranstaltungen dann auf Gesundheitswissenschaftler und Gesundheitspolitiker traf. Dabei wurde mir klar, dass die oft gar keine Vorstellung von den praktischen Seiten des Arztberufs haben. Dass ich hier mein praktisches Wissen einbringen konnte, war von großem Nutzen.
Gibt es noch andere Themen, denen Sie sich zukünftig noch widmen wollen?
Ja, der Betreiber der Wasserscheune Günter Quentin meint zum Beispiel, dass ich meine Landschaftsbilder einmal hier ausstellen sollte, und ich wäre wirklich neugierig, wie sich das anfühlt. Ebenso interessiert wäre ich, mich einmal mit Musik zu beschäftigen. Das hat sich mir noch nicht so erschlossen. Ich habe zwar ein Gefühl dafür und kann auch relativ gut erspüren, was musikalisch funktioniert, aber das richtige Instrument für mich ist mir noch nicht begegnet.
Was wären Sie für ein Musiker?
Ein Rocker, so von Rockabilly bis Hardrock. Schlager wären jetzt nicht so mein Ding, obwohl ich für gute Texte immer offen bin. Als wir letztens auf einem Alice-Cooper-Konzert in Northeim waren, meinte meine Tochter, dass sei wie bei unseren Projekten. Zum einen bietet seine Show auch viel Theater, und zum anderen sind auch bei ihm seine Frau und seine Kinder involviert.
Sie haben sich für unser Gespräch das Studio Wasserscheune in Erbsen ausgesucht. Warum?
Zum ersten Mal war ich anlässlich einer Taufe hier. Mir gefällt es hier auch deshalb, weil es ein Ort von Menschen ist, die nicht aufgeben. Der Betreiber – der Landschaftsarchitekt Günter Quentin – hat schon als junger Architekt darum gekämpft, dieses Haus renovieren zu dürfen und dafür die nötigen Finanzmittel zusammenzubekommen. Und dann hat er die Wasserscheune als Ort für Ausstellungen aufgebaut. Er und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter haben einen Sinn für Kunst und haben nie aufgegeben, gute Dinge durchzukämpfen.
Apropos „für gute Dinge kämpfen“ – Sie engagieren sich auch für die Waldbühne Bremke?
Das stimmt. Als sie 15 Jahre alt waren, sind meine Tochter und mein Sohn über ein Casting an die Waldbühne geraten – als Eltern waren wir da natürlich interessiert dabei und wurden irgendwann Mitglieder im Verein. 2017 schmissen die damals Verantwortlichen aus persönlichen Gründen hin, vier Wochen vor einer Premiere, an der auch unsere Kinder beteiligt waren. Da war klar, dass wir das Ding rocken mussten. 2017 haben wir zunächst das schon von den Vorgängern eingeprobte „Märchen-Allerlei“ gespielt, bei dem auch meine Tochter und mein Sohn dabei waren. Danach waren wir ab 2018 in der Verantwortung und begriffen, dass wir jetzt mal vieles anders machen könnten. Denn vielleicht sind manche der Märchen der Brüder Grimm ja nicht mehr so ganz zeitgemäß: Wenn Eltern ihre Kinder allein in den Wald schicken, wo sie einer kannibalistischen Hexe begegnen, die am Ende verbrannt wird – das passt für mich nicht mehr in die Moderne. Was konnten wir also tun? Da kam mein Sohn auf die Idee, die Mozart-Oper „Zauberflöte“ als Märchen aufzuführen. Dazu brauchten wir zwar neue Mikrofone, mehr Sound – einfach insgesamt ein ganz neues Niveau –, aber wir haben es in diesem Stil umgesetzt und insgesamt für die Inszenierung ca. 30.000 Euro aufgewendet. Auch wenn wir dafür die Eintrittspreise moderat anheben mussten, um das alles wieder einzuspielen, lief es großartig und zog viele Besucher an.
Ihre ganze Familie an der Waldbühne – ist das jetzt ein Stiller-Projekt?
Nein, es gibt selbstverständlich noch viele weitere wichtige Mitwirkende. Aber es passt natürlich gut, dass wir nicht immer andere fragen müssen, um Projekte voranzubringen. Schön ist auch, dass wir uns alle so mit unseren Stärken einbringen können, dass daraus eigene Stücke werden. Ich kann noch von meiner Zeit bei der Werbeagentur gut layouten, Plakate gestalten und mich so um die Außendarstellung kümmern. Meine Frau ist eine sehr kreative Dramaturgin und Autorin, mein Sohn ein hervorragender Autor und Performer, und auch meine Tochter, die inzwischen Schauspielerin geworden ist, unterstützt unser Gemeinschaftsprojekt immer wieder professionell.
Was geschieht, wenn Sie gerade nicht als Arzt oder Politiker unterwegs sind oder sich für ein Projekt engagieren?
Dann komme ich nach Hause zu meinen Windhunden – jetzt werden die Leute denken: „Der hat auch noch Windhunde, ist der verrückt?“ Absolut nicht, denn Windhunde wählen sich ihren Besitzer aus, die kann man nicht abrichten, die gehorchen nur, wenn sie einen mögen. Sie haben ihren eigenen Willen, sind schnell, manchmal ungestüm, aber trotzdem ihren Menschen treu verbunden. Das passt zu uns. Die brauchen ihre Zeit. Und natürlich erlebe ich ganz normale Fernsehabende mit meiner Familie, an denen ich gar nichts mache. Wir sitzen rum, die Hunde sind bei uns, und alle sind zufrieden.
Thomas Carl Stiller
Der heute 55-jährige Thomas Carl Stiller wuchs in Nörten-Hardenberg auf und absolvierte nach Abitur und Wehrdienst ein Praktikum in den Bereichen Werbung, Marktforschung und Journalismus. Im Anschluss studierte er vier Semester Betriebswirtschaftslehre in Göttingen, bevor er nach dem Vordiplom ins Fach Humanmedizin wechselte. Er promovierte in Göttingen in der Biophysik auf dem Themenfeld der Tumorzytogenetik und Strahlenbiologie. Darauf folgten klinische Tätigkeiten in den Bereichen Allgemeinmedizin, Innere Medizin, Onkologie, Thoraxchirurgie, Unfallchirurgie, Allgemeinchirurgie, Neurologie und Neuropathologie. Zusätzlich absolvierte er eine Ausbildung zum Medizincontroller, eine Facharztweiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin sowie Zusatzweiterbildungen in den Bereichen Notfallmedizin/Rettungsmedizin, Ernährungsmedizin. 2006 übernahm er eine eigene Praxis an den Standorten Volpriehausen und 2017 in Adelebsen.
Er zählt zu den Mitbegründern des Bündnisses für Familie in Adelebsen, der Pflegeallianz in Uslar und des Digitalen Dorfes in Barterode und engagiert sich für die Waldbühne in Bremke und die Nachbarschaftshilfe Adelebsen. Thomas Carl Stiller ist Mitglied im Hausärzteverband, der
DEGAM (Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin) und im Hartmannbund, dabei engagiert er sich maßgeblich für die Entwicklungs- und Zukunftsperspektiven von Landärzten im Zuge des demografischen Wandels und für die Digitalisierung in der Medizin zum Nutzen der ärztlichen Tätigkeit.
Murphys Gesetz
Wenn es mehrere Möglichkeiten gibt, eine Aufgabe zu erledigen, und eine davon in einer Katastrophe endet oder sonst wie unerwünschte Konsequenzen nach sich zieht, dann wird es jemand genau so machen.
Thomas Carl Stiller zu: „Alternative Medizin“
Ich habe Zusatzweiterbildungen in Naturheilverfahren gemacht. Oft werde ich zur Homöopathie befragt, die als solche aber nicht zur Ausbildung der klassischen Naturheilverfahren gehört. Homöopathie steht heute bei vielen in der Kritik, aber einiges kann auch sinnvoll sein, z. B. die homöopathische Anamnese. Sie ist sehr ausführlich und feinteilig. Wichtig ist immer die Grenzen zu kennen und Naturheilverfahren ergänzend aber nicht als Ersatz zur evidenzbasierten und leitlinienorientierten Medizin anzuwenden.
Thomas Carl Stiller zu: „Mit Impfgegnern umgehen“
Das war stellenweise wild. Ich wurde angeschrien und beschimpft, selbst Kollegen, mit denen ich Abitur gemacht hatte, meinten: „Du impfst? Du spinnst doch!“ Da frage ich mich, hat der denn im Fach Immunologie nicht aufgepasst? Doch mit den Patienten bin ich immer wieder in das Gespräch gegangen, habe Fragen gestellt und erklärt. Dabei hat mir sehr geholfen, dass ich schon immer biologische und molekulare Vorgänge gut visualisieren konnte, weil dabei in meinem Kopf Bilder ablaufen, die an einen Trickfilm erinnern – und die zu beschreiben, das hilft in solchen Situationen. Trotz mancher Kontroversen bin ich jemand, der für die Menschen kämpft, ein wenig wie der Arzt Quincy aus der Fernsehserie Ende der 70er-Jahre. Die fand ich immer sehr motivierend, weil Quincy, im Unterschied zu den anderen, nicht angepasst war und Zivilcourage hatte. Das fand ich cool.