Wandel auch von Zivil zu Militär: Aus der Automobil- und Zulieferindustrie werden Mitarbeiter und ganze Produktionsstätten von Rüstungskonzernen wie Rheinmetall und KrausMaffei (Foto) übernommen.
Entlassungswellen trotz Fachkräftemangel – das mag paradox erscheinen, ist jedoch aktuell bittere Realität. Was bedeutet das für Arbeitgeber, die noch immer händeringend nach Fachkräften suchen?
Text: Ulrich Drees | Fotos: KrausMaffei, Adobe Stock
Die deutsche Wirtschaft steckt in echten Schwierigkeiten. Ob dafür nun externe Krisen, politisches Versagen oder schlechtes Management verantwortlich sind – Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen sich darauf einstellen, dass es in bestimmten Branchen, wie beispielsweise der produzierenden Industrie oder dem Automobilsektor zu einem umfangreichen Abbau von Arbeitsplätzen kommen wird. Eine Entwicklung, die zum einen durch den weitreichenden Strukturwandel angetrieben wird, der sich aktuell abspielt, und zum anderen von den umfassenden neuen Anwendungsbereichen künstlicher Intelligenz befeuert wird.
Woran es auch liegen mag: Viele Menschen verlieren gegenwärtig ihre Arbeitsplätze und bestimmte Wirtschaftszweige – darunter die für Deutschland so wichtige Auto-Branche – kündigen einen weiteren massiven Arbeitsplatzabbau an. Betroffen sind dabei vor allem die sogenannten „Frontline worker“ in den Fertigungshallen der Industrie, aber beispielsweise auch Informatiker, deren Arbeit plötzlich von KI-gesteuerten Maschinen und Anwendungen ersetzt wird. Facharbeiter und Informatiker also? Wurden die nicht bis vor kurzem überall gesucht?
Paradoxer Arbeitsmarkt >>> Ist der Fachkräftemangel also vorbei? Dreht sich der Arbeitsmarkt zugunsten der Arbeitgeber? Offensichtlich sind Entlassungswellen und gleichzeitiger Fachkräftemangel kein Widerspruch. Denn es kommt natürlich darauf an, ob die entlassenen Arbeitskräfte zur Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt passen und genau das traf bisher nicht zu. Für 80 % der offenen Stellen wurden qualifizierte Fachkräfte gesucht, während mehr als die Hälfte der Arbeitslosen – zumeist diejenigen, die in der Grundsicherung und Langzeitarbeitslosigkeit leben – eine Beschäftigung auf Helferniveau suchte. Den im Jahr 2022 festgestellten 200 „Engpassberufen“ standen 2023 2,6 Mio. Arbeitslose gegenüber. In Pflege-, Gesundheits- und Sozialberufen ebenso wie im Baugewerbe und Handwerk sowie bei IT-Berufen gab es eine große Nachfrage, während sich in Büroberufen, der Lagerlogistik oder in künstlerisch-kreativen Berufen viele Arbeitslose um wenige offene Stellen bewarben. Der Agentur für Arbeit zufolge kamen auf „Ebene der Helfer“ rund neun Arbeitslose auf eine Stelle“, bei Fachpersonal lag das Verhältnis bei 2:1. Auch das kein Widerspruch zu einem anhaltendem Fachkräftemangel, denn ebenso wichtig wie die Qualifikation ist eben auch, wo die Bewerber wohnen. Im Flächenland Bayern gab es rechnerisch weniger arbeitslose Fachkräfte als gemeldete Stellen – in Hamburg oder Berlin bewarben sich durchschnittliche drei bis fünf arbeitslose Fachkräfte auf eine gemeldete Stelle.
Und jetzt? >>> Das Jahr 2024 endete nun jedoch mit „einer Beschäftigung auf Rekordniveau“ bei – und das ist neu – „steigender Arbeitslosigkeit“, so Staatssekretär Rolf Schmachtenberg im Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Trotz 35,23 Mio. sozialversicherungspflichtig Beschäftigter – einem im Oktober 2024 gemessenen Höchststand – wuchs zum Jahresende 2024 die Arbeitslosenquote um 0,1 Prozentpunkte auf 6,0 %. Zum Vergleich: Im Dezember 2023 lag sie bei 5,5 %. Hinzu kommt, dass zwar das Bruttoinlandsprodukt um 0,3 % sank – also weniger Güter und Dienstleistungen produziert wurden als im Vorjahr –, das Arbeitsvolumen, also die Anzahl geleisteter Arbeitsstunden, jedoch gleichzeitig um 250 Mio. bzw. 0,4 % anstieg. Ist Deutschland also wieder – wie zuletzt im Jahr 2005 – der „kranke Mann“ Europas? Zumindest ist jede Verbesserung nach Corona wieder dahin.
Qualifikation im Wandel >>> Die zahlreichen angekündigten Entlassungen auch gut qualifizierter Arbeitnehmer stehen gegenwärtig jedoch noch einem in vielen Branchen anhaltenden Fachkräftemangel und einem weitreichenden wirtschaftlichen Transformationsprozess gegenüber. Wenn Branchen, denen es insgesamt schlecht geht, Fachkräfte entlassen, dann ist das auch ein Indiz dafür, dass ihre Arbeit wirtschaftlich nicht mehr sinnvoll ist. Informatiker sind ein gutes Beispiel. Galt eine entsprechende Ausbildung lange als Garant für einen guten Arbeitsplatz, machen KI-Anwendungen heute die Arbeit durchschnittlicher Softwareentwickler oft überflüssig. Vermutlich gibt es einen bestimmten Anteil an Entlassenen, der bei den Unternehmen unterkommt, die erfolgreich Antworten auf die Herausforderungen ihrer Branche finden, aber für die meisten bleibt erst mal nur die Arbeitslosigkeit. Theoretisch. Ein größerer Teil des Arbeitsplatzabbaus dürfte sozial verträglich erfolgen.
Ebenso werden Unternehmen „betriebsbedingte Kündigungen“ auch über die Vermittlung in Qualifizierungsmaßnahmen – für die sogar eigens Unternehmen gegründet werden können – oder eine direkte Vermittlung in eine Anstellung zu vermeiden versuchen. Nicht zuletzt deshalb verlängerte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil kürzlich das Kurzarbeitergeld, das im Oktober 2024 von 287 000 Beschäftigten bezogen wurde, auf bis zu 24 Monate. Wenn möglich, sollten Unternehmen in die Lage versetzt werden, auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten ihre Fachkräfte zu halten. In eine ähnliche Richtung zielt das neu eingeführte Qualifizierungsgeld, mit dessen Hilfe erfahrene Mitarbeiter für neue Arbeitsplätze und Tätigkeiten fortgebildet werden sollen.
Doch all das kann nicht darüber hinwegtäuschen: Die Arbeitslosigkeit steigt. Letztlich kann sich weder ein Staat noch ein Unternehmen dauerhaft sinkende Produktivität leisten – und genau die lässt sich an dem oben beschriebenen Plus an Arbeitsstunden bei gleichzeitigem Minus des Bruttosozialprodukts ablesen.
Qualfizieren ist der Schlüssel >>> Es lohnt sich also, wenn diejenigen Unternehmen, die weiterhin Schwierigkeiten haben, qualifizierte Stellen zu besetzen, jetzt genau hinschauen. Die Arbeitskräfte, die aktuell verfügbar werden, mögen vielleicht nicht über die gewünschte Qualifikation verfügen, aber werden ziemlich sicher nach einem Arbeitsplatz suchen, der ihnen eine qualifizierte Arbeit und eine Entlohnung auf dem gewohnten Niveau ermöglicht. Gleichzeitig bringen diese Arbeitssuchenden zwei wichtige Vorteile mit:
Zum einen haben sie langjährige praktische Arbeitserfahrung. Und zum anderen haben sie sich bereits einmal erfolgreich für eine anspruchsvolle Arbeit qualifiziert und sind es gewöhnt, diese Qualifikation durch kontinuierliche Fort- und Weiterbildung aufrecht zu erhalten. Und selbst wenn diese berufliche Qualifikation in Zukunft so nicht mehr gefragt ist, wissen diese Menschen „wie der Hase läuft“.
Sie müssen eigentlich nur noch motiviert werden, sich in einem neuen Berufsfeld zu qualifizieren, um dann dort ihre Erfahrung erfolgreich einzubringen. Natürlich wird es nicht überall gelingen, ihnen gänzlich neues Fachwissen zu vermitteln. Doch im Zuge der KI-Revolution dürften sich in Sachen Fort- und Weiterbildung Möglichkeiten ergeben, die jetzt noch gar nicht abzuschätzen sind. Vielleicht reicht es schon in naher Zukunft aus, das nötige Fachwissen über eine KI abzurufen, um es dann mit Eigeninitiative, Kreativität, Pragmatismus und einer lösungsorientierten Perspektive effektiv einzusetzen. Für gute Personalabteilungen sind diese Eigenschaften schon heute entscheidend, die Bereitschaft zu „lebenslangem“ Lernen gilt als Standard.
Dementsprechend ist genau jetzt der Zeitpunkt, um sich in der eigenen Region nach freigesetzten Arbeitskräften umzuschauen oder sich mit Unternehmen, die Stellen abbauen wollen, vorsorglich darüber auszutauschen, wer für das eigene Unternehmen infrage käme. Mit etwas Glück lassen sich jetzt die Mitarbeiter gewinnen, die es braucht, um den anstehenden Strukturwandel erfolgreich zu meistern. Dessen Herausforderungen werden nämlich vermutlich deutlich größer, als die einer ja meist zeitlich begrenzten Abschwungphase.
Angesichts der Geschwindigkeit, mit der sich Wirtschaftskreisläufe aktuell weiterentwickeln, wird sich die Zukunft von Volkswirtschaften, Unternehmen ebenso wie die der einzelnen Arbeitnehmer auch darüber entscheiden, wie effektiv sie sich auf immer neue Anforderungen einstellen können. Da erscheint es sinnvoll, sich bereits jetzt daran zu machen, die besten Lösungen dafür zu finden, und die jetzt freigesetzten Arbeitskräfte als Chance zu betrachten.
Manche Branchen werden leiden, andere werden profitieren. Wie nach jeder Krise wird es Verlierer und Gewinner geben – und zu Letzteren werden ziemlich sicher diejenigen gehören, die sich jetzt mit Initiative, Weitsicht und Flexibilität daran machen, ihren aktuellen und zukünftigen Bedarf an Fachkräften zu decken.
Die vierte Industrielle Revolution
Die Menschheit hat bereits mehrere industrielle Revolutionen erlebt: Die erste wurde durch dampfbetriebene Maschinen vorangetrieben, die zweite durch Elektrizität und Massenproduktion, die dritte durch Computer und digitale Technologien. Nun steht mit der Künstlichen Intelligenz und den Konzepten von Industrie 4.0 eine weitere tiefgreifende Veränderung bevor. Experten sind sich einig: Die Auswirkungen dieser Entwicklung werden ebenso revolutionär sein wie jene der vorherigen industriellen Umbrüche. Wir befinden uns mitten in der vierten Industriellen Revolution – einer Epoche, die Wirtschaft und Gesellschaft in rasantem Tempo transformiert.

In Amerika wird heute bereits die Holzhammermethode angewendet, aber auch in Deutschland werden wir allein schon aus Wettbewerbsgründen nicht an einem massiven Bürokratieabbau vorbeikommen.