Anläss­lich des 325-jäh­ri­gen Bestehens der Har­den­berg Distil­lery sprach Cha­rak­ter-Her­aus­ge­ber Lutz Stein mit Carl Graf von Har­den­berg über Spi­ri­tuo­sen, das Hin­ein­wach­sen ins Fami­li­en­un­ter­neh­men und den Adel von heu­te.



Inter­view: Lutz Stein | Fotos: Har­den­berg Distil­lery, Syl­via Stein

Graf von Har­den­berg, vie­le jun­ge Men­schen wis­sen mit zwan­zig Jah­ren noch nicht, wel­che beruf­li­che Zukunft sie erwar­tet. Sie selbst wuss­ten es als erst­ge­bo­re­ner Gra­fen­sohn von Kin­des­ta­gen an. Emp­fan­den Sie die­se „Sicher­heit“ auch als Belas­tung?
Nein, das war ein­fach so. Ich bin da ein­fach rein­ge­wach­sen und habe das nie als Belas­tung gese­hen. Und die­se kla­re Rege­lung der Nach­fol­ge hat ja auch ihre Vor­tei­le: Vie­le Fami­li­en­un­ter­neh­men gehen kaputt, weil es kei­ne Nach­fol­ge gibt, die Nach­fol­ge nicht gere­gelt ist, weil es kei­ner oder weil es zu vie­le machen wol­len.
Hier bei uns war das nie ein The­ma und mir hat ja die Land­wirt­schaft, seit­dem ich den­ken kann, auch Spaß gemacht. Tre­cker­fah­ren, der Geruch des Korns. Das „Schlimms­te“ für uns war frü­her in den Som­mer­fe­ri­en, wenn wir in die Feri­en fah­ren muss­ten.

Wirk­lich?
Ja, weil wir Angst hat­ten, die Ern­te zu ver­pas­sen. Die war für uns Kin­der das abso­lu­te High­light. Natür­lich legt sich die­se Eupho­rie im Lau­fe der Zeit, doch auch heu­te bin ich noch zur Ern­te­zeit auf den Fel­dern, wenn auch mehr zur Freu­de mei­ner eige­nen Kin­der. Denn mitt­ler­wei­le liegt mein Haupt­in­ter­es­se auf der Har­den­berg Distil­lery und da bin ich das gan­ze Jahr über bes­tens über die Qua­li­tät der Roh­stof­fe aus unse­rer Land­wirt­schaft infor­miert.

Für die Distil­lery haben Sie ja im Jahr 2019 die Ver­ant­wor­tung über­nom­men. Damals war hier vie­les im Umbruch. Ich erin­ne­re mich noch gut dar­an, dass wir hier auf dem Har­den­berg zusam­men­ge­ses­sen und über Event-Mar­ke­ting für die anläss­lich der Erwei­te­rung des Spi­ri­tuo­sen­sor­ti­men­tes neu ins Leben geru­fe­ne Distil­lery gespro­chen haben.
Ja, wir hat­ten 2016 die ers­ten Ver­su­che unter­nom­men, auf der alten Anla­ge neben Korn auch Gin und Whis­ky zu erzeu­gen. Weil die sehr viel­ver­spre­chend ver­lie­fen, haben wir uns 2019 ent­schlos­sen, unse­re Bren­ne­rei umzu­bau­en und zu erwei­tern, damit wir Gin und vor allem Whis­ky qua­li­ta­tiv gut her­stel­len kön­nen.

Und dann kam Coro­na …
… und hat unse­re gan­zen Plä­ne über den Hau­fen gewor­fen, denn unse­re Ideen rund um Besu­cher­zen­trum, Füh­run­gen, Semi­na­re und vor allem gro­ße Events hat­ten sich erst mal kom­plett erle­digt. Inso­fern neh­men wir das 325-jäh­ri­ge Jubi­lä­um unse­rer Bren­ne­rei als Anlass, unse­re Ideen von 2019 – wenn auch in abge­wan­del­ter Form – end­lich umzu­set­zen und für die Regi­on wie­der akti­ver zu sein. Die gro­ße Distil­lery Par­ty am 23. August war der ers­te Schritt!

Ist Whis­ky Ihr per­sön­li­ches Ste­cken­pferd?
Auf­grund sei­ner Viel­schich­tig­keit ist Whis­ky tat­säch­lich ein fas­zi­nie­ren­des The­ma. Doch das Sor­ti­ment um Whis­ky zu erwei­tern, war vor allem auch ein logi­scher Schritt: Denn mit unse­rer jahr­hun­der­te­lan­gen und umfas­sen­den Erfah­rung ist es mehr oder weni­ger das­sel­be, Korn oder Whis­ky zu bren­nen. Biss­chen ande­rer Roh­stoff, biss­chen ande­res Mate­ri­al, biss­chen ande­re Fein­hei­ten – aber grund­sätz­lich der­sel­be Pro­zess und bei­des aus unse­rem eige­nen Getrei­de her­ge­stellt. Da Korn aber ein sehr regio­na­ler Schnaps mit im bes­ten Fal­le sta­bi­len Absatz­zah­len ist, ergibt es für uns natür­lich auch unter­neh­me­risch Sinn, mit Whis­ky ein Pro­dukt inter­na­tio­na­ler Kate­go­rie zu pro­du­zie­ren.

Wird man als deut­scher Whis­key-Pro­du­zent inter­na­tio­nal über­haupt ernst genom­men?
Das kommt lang­sam. Es gibt aktu­ell drei, vier Groß­bren­ne­rei­en in Deutsch­land, die deut­schen Whis­ky machen, und man merkt an den Absatz­men­gen schon, dass das Geschäft immer rele­van­ter wird. Hier haben uns die Japa­ner ja auch ein biss­chen was vor­ge­macht und gezeigt, dass es außer Scotch, Bour­bon und Irish auch noch eine ande­re Kate­go­rie geben kann. Und mit japa­ni­schem Whis­ky sind auch ande­re Märk­te wie Frank­reich oder Indi­en popu­lär gewor­den.

Soll es bei Whis­ky als neu­em Schwer­punkt blei­ben oder wol­len Sie mit der Distil­lery auch ande­re Märk­te mit wei­te­ren Spi­ri­tuo­sen bedie­nen?
Grund­sätz­lich blei­ben wir bei Whis­ky. Der ist sozu­sa­gen unser Ste­cken­pferd, und Whis­ky ist ein Long-Term-Spiel. Bis man da genug Ware hat, dau­ert es ein­fach. Um den Brand über­haupt Whis­ky nen­nen zu dür­fen, muss er min­des­tens drei Jah­re im Fass lie­gen. Aber dann kann man das Destil­lat eigent­lich noch nicht raus­neh­men, denn bis eine ordent­li­che Rei­fe erreicht ist, dau­ert es locker fünf oder sechs Jah­re. Tat­säch­lich ist unser Erfolg als Whis­key-Distil­lery eher ein 50-Jah­re-Spiel, und genau das ist im Grun­de der Weg, den wir ein­ge­schla­gen haben. Was wir rechts und links davon noch machen, das sieht man an ande­ren Pro­dukt­ka­te­go­rien, mit denen wir auf Trends reagie­ren. Neben Von Hal­lers Gin haben wir in der Kate­go­rie auch HARDENBERG Gin in zwei Vari­an­ten, unter ande­rem einer alko­hol­frei­en Alter­na­ti­ve raus­ge­bracht. Da wer­den wir uns auch zukünf­tig wei­ter­ent­wi­ckeln, aber das Flagg­schiff wird unser Whis­ky blei­ben.

Um mich auf unser Gespräch heu­te ein­zu­stim­men, war ich ges­tern im gro­ßen Ede­ka auf der Kas­se­ler Land­stra­ße, der ja über eine gut sor­tier­te Spi­ri­tuo­sen­ab­tei­lung ver­fügt. Das Gin-Regal erschien mir deut­lich klei­ner als in mei­ner Erin­ne­rung. Der zustän­di­ge Mit­ar­bei­ter bestä­tig­te denn auch: „Wir haben unser Sor­ti­ment aus­ge­dünnt, denn Gin läuft nicht mehr so wie vor ein paar Jah­ren.“ Er mein­te auf Nach­fra­ge, dass ein wirk­lich neu­er Spi­ri­tuo­sen­trend aktu­ell nicht erkenn­bar sei. Wie schät­zen Sie das ein und wie reagie­ren Sie dar­auf?
Der Gin-Boom hat tat­säch­lich nach­ge­las­sen. Ange­sagt sind aktu­ell die gan­zen Ape­ri­tif-Spi­ri­tuo­sen. Doch wie lan­ge die ange­sagt blei­ben? Mal sehen. Alko­hol­frei ist nach wie vor hoch­in­ter­es­sant, und auch Low-Alko­hol, also alko­hol­re­du­zier­te Spi­ri­tuo­sen sind wei­ter im Kom­men. Vor allem aber die gan­zen RTD-Geschich­ten, also Rea­dy-to-Drink-Vari­an­ten in Klein­fla­schen und Dosen. Von denen haben wir ja schon selbst eini­ge im Pro­gramm, wie WILTHENER Gold­kro­ne & Cola und Fly­ing Kei­ler, also ein Soft- bzw. Ener­gy-Drink plus Kräu­ter. RTD muss man im Moment wohl als den stärks­ten Trend bezeich­nen, wenn man ehr­lich ist. Wir erwar­ten hier wei­ter anhal­ten­des Wachs­tum und über­le­gen gera­de, wie wir dar­an par­ti­zi­pie­ren kön­nen.

Wachs­tum ist ein gutes Stich­wort. Wach­sen Sie als Lei­ter der Distil­lery auch in die ande­ren Geschäfts­be­rei­che Ihrer Fami­lie rein?
Ja. Wobei ope­ra­tiv mein Augen­merk auf dem Spi­ri­tuo­sen­be­reich liegt, der mei­nes Vaters auf den Berei­chen Land­wirt­schaft und Hotel­le­rie. Natür­lich bin ich trotz­dem über die Berei­che mei­nes Vaters und er über die Spi­ri­tuo­sen im Bil­de. Bei die­ser Auf­tei­lung wer­den wir es auf abseh­ba­re Zeit belas­sen. Als Vater drei­er klei­ner Kin­der kommt mir ein lang­fris­ti­ger, schritt­wei­ser Über­gang sehr gele­gen.

Natür­lich haben wir auch noch drin­gen­de ande­re Fra­gen – der Besuch bei einem ech­ten Gra­fen ist ja eine Steil­vor­la­ge für eine Dosis Bou­le­vard-Jour­na­lis­mus.
Immer ger­ne.

Sie sind ja in Nör­ten-Har­den­berg auf­ge­wach­sen – mit Schu­le, Sport…
… das vol­le Pro­gramm.

Ist das immer zwang­los abge­lau­fen oder hieß es da eher „Oh, da kommt der jun­ge Graf“?
Soweit ich mich erin­nern kann, war das ziem­lich nor­mal. Wir pfle­gen einen guten Kon­takt und offe­nen Aus­tausch in der Regi­on und sind in vie­len Berei­chen aktiv. Ich selbst bin Mit­glied im Gemein­de­rat hier in Nör­ten, mei­ne Kin­der gehen in den Kin­der­gar­ten und sind ja neu­er­dings auch in der Schu­le unter­wegs. Kürz­lich saß ich da bei der Ein­schu­lung mei­ner Toch­ter in der Turn­hal­le auf die­sen alten Stüh­len, und da kamen tat­säch­lich wie­der die Erin­ne­run­gen an mei­ne eige­ne Schul­zeit hoch.

Eine mei­ner Erin­ne­run­gen ist, dass wäh­rend des Burg­tur­niers eine Hand­voll Jugend­li­cher bei Som­mer­hit­ze schwit­zend in dunk­lem Anzug und Kra­wat­te unter­wegs waren und alles ande­re als erfreut aus der Wäsche geschaut haben.
Die Bil­der, die Sie im Kopf haben, ent­stan­den wahr­schein­lich im Rah­men von Fern­seh­über­tra­gun­gen und Preis­über­ga­ben. Für beson­de­re Ver­an­stal­tun­gen und zu beson­de­ren Anläs­sen war die Gar­de­ro­be ein­fach vor­ge­ge­ben. Da half es auch nicht, dass es warm war. Aber den Rei­tern ging es ja nicht anders – die muss­ten ja auch ihren Frack tra­gen.

Rei­ten Sie selbst viel?
Nein, gar nicht. Dar­an hat­te ich schon als Kind nur sehr wenig Inter­es­se. Pfer­de haben mich nie so inter­es­siert. Für mich war immer Tre­cker­fah­ren die Num­mer eins.

Haben Sie ande­re Hob­bys?
Frü­her habe ich viel Golf gespielt. Aber dann kam das Stu­di­um im Aus­land, dann die neue Auf­ga­be in der Bren­ne­rei und jetzt die Fami­lie – da ist ein­fach wenig Zeit. Klar, Golf kann man über­all auf der Welt und zu jeder Tages­zeit spie­len, und ab und zu spie­le ich auch noch mal eine Run­de, aber momen­tan eher wenig. Wenn ich abends vier Stun­den auf dem Golf­platz wäre, dann bekä­me ich zu Hau­se zurecht die rote Kar­te. Fami­ly first.

Beim The­ma Golf ist die Fra­ge nach dem Han­di­cap ja prak­tisch ein Reflex. Spie­len Sie gut?
Für mei­ne Ansprü­che spie­le ich gut. Mein Han­di­cap müss­te im Moment bei 15 lie­gen und damit kom­me ich gut auf dem Platz zurecht.

Glaubt man Gala oder dem Gol­de­nen Blatt, hält der Adel ja wie Pech und Schwe­fel zusam­men und trifft sich regel­mä­ßig auf fürst­li­chen Events. Ist das heu­te noch tat­säch­lich so?
Aus mei­ner Sicht hat sich das alles weit­ge­hend nor­ma­li­siert und das Bild einer illus­tren Gesell­schaft, die sich regel­mä­ßig von der rest­li­chen Welt abge­kap­selt ver­sam­melt, trifft heu­te nicht mehr zu. Da ist der Adel in der moder­nen Zeit ange­kom­men.

Die Wind­sors schei­nen mir da aber noch ein paar Schrit­te auf die­sem Weg vor sich zu haben.
Ja, in Eng­land ist man da noch ein biss­chen anders unter­wegs. Da wird die Tra­di­ti­on noch hoch­ge­hal­ten. Die haben eben noch eine Mon­ar­chie und jetzt auch wie­der einen neu­en Chef.

Waren Sie denn zur Krö­nung ein­ge­la­den?
Schön wär‘s. Nein, es waren, glau­be ich, nur drei deut­sche Fami­li­en ein­ge­la­den, und ich weiß ehr­lich gesagt noch nicht ein­mal, wer.

Zum Abschluss noch eine Steil­vor­la­ge für ein biss­chen Eigen­wer­bung. Wenn Sie für einen Moment die Augen schlie­ßen und 30 Jah­re in die Zukunft bli­cken – wel­cher Kurz­film läuft dann in Ihrem Kopf­ki­no?
Mei­ne Visi­on ist, dass auch in 30 Jah­ren der Name Har­den­berg Distil­lery für Inno­va­ti­on, ver­ant­wor­tungs­vol­les, nach­hal­ti­ges Wirt­schaf­ten sowie qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti­ge und regio­nal ver­wur­zel­te Pro­duk­te steht – und ich die Lei­tung der Distil­lery lang­sam an eines mei­ner Kin­der über­ge­ben kann.

Lutz Stein, Carl Graf von Har­den­berg

Carl Graf von Har­den­berg
Geburts­da­tum: 16. Okto­ber 1988
Geburts­ort: Göt­tin­gen
Fami­li­en­stand: ver­hei­ra­tet, 3 Kin­der
Aus­bil­dung:
• 2009-2011: Stu­di­um der Agrar­wis­sen­schaf­ten an der Georg-August-Uni­ver­si­tät Göt­tin­gen.
• 2011-2013: Stu­di­um „Busi­ness Manage­ment“ am Roy­al Agri­cul­tu­ral Col­lege in Ciren­ces­ter, Groß­bri­tan­ni­en
Berufs­er­fah­rung:
• 2014-2015: Pro­jekt­ma­na­ger The Shed Distil­lery, Irland
• Ab Herbst 2015: Ein­stieg in die Har­den­berg-Wil­then AG
• Ab 2019: Direc­tor HARDENBERG DISTILLERY
Carl Graf von Har­den­berg lei­tet in 10. Gene­ra­ti­on die Spi­ri­tuo­sen­bren­ne­rei auf dem Har­den­berg in Nör­ten-Har­den­berg.