Gent (Belgien)

Der Verkehr in bundesdeutschen Innenstädten entwickelt sich vielerorts zum wachsenden Problem; immer mehr Städte suchen nach Lösungen für ihre Innenstadtbereiche. Ein Thema, das auch in Göttingen kontrovers diskutiert wird. Doch wie gehen andere Städte damit um?

Text: Kristin Schild | Fotos: iStock

Autos sind auch in Zeiten der Klimakrise immer noch sehr praktisch. Sie sind vergleichsweise schnell, steht meist direkt vor der eigenen Haustür und mit ihnen lassen sich auch schwere Einkäufe problemlos transportieren. Gleichzeitig konzentriert sich in vielen Innenstädten der Verkehr, es ist laut, überall stehen Autos herum und Unfälle sind keine Seltenheit. Zwar ist Göttingen keine Großstadt, aber der Verkehr rund um die Göttinger Fußgängerzone ist so stark, dass die Stadt nach Lösungen sucht. Und die müssen vielen Ansprüchen genügen: Geschäfte müssen beliefert werden, die Innenstadt muss zum Einkaufen und Wohnen erreichbar sein, welches Potenzial liegt in einem Ausbau des Bussystems, braucht es zusätzliche Parkplätze, attraktive Park & Ride-Lösungen und welche Chancen bietet alternative Mobilitätsformen, wie etwa E-Scooter?
Kein Zweifel, entlang dieser Diskussion scheiden sich in Göttingen die Geister. Soweit erkennbar setzt die Stadt, allen voran die die grüne Ratsfraktion jedoch darauf, den Autoverkehr in der Innenstadt einzuschränken oder ganz zurückzudrängen, doch man setzt bei der Ausgestaltung der Verkehrssituation seitens der Stadt durchaus auf Bürgerbeteiligung und immer wieder werden dabei auch Ideen aus anderen europäischen Städten als anschauliche Beispiele vorgestellt. Beispielsweise aus dem niederländischen Groningen. Die holländische Stadt gilt als eines der bekanntesten und womöglich auch ältesten Beispiele einer funktionierenden autofreien Innenstadt. Bereits 1977 arbeitete man dort an einer Umstrukturierung des Verkehrs im Innenstadtbereich; heute fahren gar keine Autos mehr durch die Groninger Innenstadt, dafür setzen sich viele Einwohner auf ihr Fahrrad, denn diese dürfen im Stadtkern überall fahren. Gleichzeitig gilt Groningen auch unter Besuchern weiterhin als attraktives Shopping-Ziel. Europaweit gibt es zahlreiche weitere Beispiele für verkehrsberuhigte oder autofreie Innenstädte, die zeigen, wie man dieses Ziel erreichen kann, ohne dass die Stadtzentren an Attraktivität verlieren.

Kopenhagen in Dänemark (623.404 Einwohner)

Die dänische Hauptstadt gilt in Europa als die Vorzeigestadt für moderne Mobilität. Bereits seit den 80er-Jahren passte man hier die Infrastruktur zunehmend den Fahrradfahrern an. Viele Hauptstraßen in Kopenhagen sind für die Autofahrer beispielsweise einspurig, die Fahrradfahrer hingegen können sich hier auf zwei Spuren verteilen. Mittlerweile fahren in Kopenhagen vier von zehn Pendlern mit dem Fahrrad zur Arbeit, dies wirkt sich nicht nur positiv auf Luft und Lärm aus, auch die Unfallzahlen sind drastisch zurückgegangen.

Houten in den Niederlanden (49.900 Einwohner)
Mit ihren rund 50 000 Einwohnern gilt die holländische Stadt Houten zwar nicht als Metropole, allerdings für viele Städte als Vorreiter für zukunftsorientierte Verkehrskonzepte. Der Stadtplaner Robert Derks plante ein entsprechendes Modell zur Verkehrsberuhigung bereits Ende der siebziger Jahre, als er in Houten Wohnraum für das nicht weit entfernte Utrecht schaffen wollte. Das Konzept umfasst eine große Umgehungsstraße, die rund um den Stadtkern den Großteil des Verkehrs in der Kleinstadt abwickelt. Das Zentrum bleibt so komplett autofrei, und die Anwohner werden automatisch auf die Umgehungsstraße geleitet, wenn sie ihr Stadtviertel verlassen wollen.

Gent in Belgien (262.219 Einwohner)
Auch die belgische Stadt Gent litt unter einem gravierenden Stau- und Verkehrsproblem, bis 2017 ein neuer Mobilitätsplan umgesetzt wurde. Die mittelalterliche Studentenstadt hatte vor allem im Stadtkern mit einem hohen Durchgangsverkehr zu kämpfen, nun wird dieser auf eine Ringstraße umgeleitet. Die Anwohner hingegen dürfen weiterhin bestimmte Straßen nutzen, außerdem gibt es Sonderregelungen für Taxis, Busse und Krankenwagen und Pflegedienste. Für alle anderen, die den Stadtkern besuchen möchten, stehen öffentliche Verkehrsmittel bereit. Der Autoverkehr war bereits nach einem Jahr stark gesunken, und viele Einwohner sind auf das Fahrrad umgestiegen. Vor allem die Luft und der idyllische Stadtkern profitieren von dieser Verkehrsberuhigung; so wurde der „Kraanlei“ mit seinem Kopfsteinpflaster und seiner schönen Lage entlang des Ufers des Flusses Leie zu einem echten Highlight der Stadt, denn ein großer Teil der Straße ist nun für Autos gesperrt worden.

Wien in Österreich (1,9 Mio Einwohner)
Die österreichische Hauptstadt ist europaweit für ihr gutes Netz von öffentlichen Verkehrsmitteln bekannt, doch auch für das Verkehrsproblem hat die Stadt einige Lösungen parat. Im Zentrum der Stadt gibt es nun sogenannte „Begegnungszonen“, hier haben Fußgänger Vorrang, und Autos und Busse müssen sich mit Schrittgeschwindigkeit an diese anpassen. Als bestes Beispiel für dieses „Shared-Space“-Konzept, das bereits in den 80er-Jahren von dem Niederländer Hans Mondermann entwickelt- und in den Niederlanden bereits umgesetzt wurde, gilt die Wiener Einkaufsmeile, die Mariahilfer Straße. Durch den beruhigten Verkehr profitiert hier nämlich auch der Einzelhandel. Insgesamt plant Wien in naher Zukunft 15 solcher Zonen zu errichten, die von dem Großteil der Bevölkerung sehr gut angenommen werden.

Augsburg in Deutschland (295.135 Einwohner)

Trotz des aufkeimenden Wunsches, vor allem die Innenstädte von Autos und Verkehr zu befreien, werden die Preise für den öffentlichen Nahverkehr in vielen deutschen Städten erhöht. In der kleinen Stadt Augsburg allerdings entschied man sich für ein Gegenkonzept, denn hier ist der öffentliche Nahverkehr zumindest im Innenstadtbereich seit diesem Jahr für alle kostenlos. Die ausbleibenden Kosten von etwa 860 000 Euro soll laut Berichten der Freistaat Bayern ausgleichen. Ob dieses Konzept auch auf den gesamten Stadtbereich ausgeweitet wird, steht derzeit noch nicht fest. Der kleine Staat Luxemburg jedenfalls, ist in dieser Hinsicht schon etwas weiter, denn hier brauchen die Einwohner und auch die Pendler aus den Nachbarstaaten ab März gar kein Ticket mehr vorzuzeigen.

Oslo in Norwegen (681.000 Einwohner)

Autos sieht man in dem Innenstadtbereich der norwegischen Hauptstadt nur noch selten. Bereits ab 2015 verbannte Oslo Schritt für Schritt die Fahrzeuge aus dem Stadtzentrum, heute sind rund 90 Prozent des Zentrums autofrei. Die ursprünglichen Ziele der Stadt waren eine Verbesserung der Luft sowie der Klimaschutz, doch heute weiß man, dass über die Ziele hinaus auch die Lebensqualität deutlich zunahm. Im letzten Jahr wurden über 700 Parkplätze durch Radwege, kleine Parks oder Bänke ersetzt, der Verkehr wird mithilfe einer Ringstraße um die Innenstadt herumgeleitet, und Parkplätze liegen zum Großteil unter der Erde. Fußwege und Straßen sind in Oslo strikt voneinander getrennt, und auch Radwege und der öffentliche Nahverkehr werden von der Stadt massiv gefördert; so werden derzeit neue U-Bahn-Linien gebaut, und die Ticketpreise sollen günstiger werden. Außerdem will man den Bürgern den Umstieg aufs Rad erleichtern, indem man das Fahrradverleihsystem ausbaut und den Kauf von E-Bikes bezuschusst.

Pontevedra in Spanien (82.000 Einwohner)
Bereits seit über 20 Jahren ist die Innenstadt der spanischen Kleinstadt Pontevedra nahezu autofrei. Nur Anwohner, der öffentliche Nahverkehr und Lieferfahrzeuge dürfen das Zentrum passieren. Eine Besonderheit ist das Fehlen von Fahrbahnmarkierungen. Bürgersteige, Fahrradwege und Straßen sind also nicht voneinander zu unterscheiden – auch Ampeln und Verkehrsschilder sind im historischen Stadtzentrum nicht mehr vorhanden. Die einzige Regel lautet hier: Fußgänger haben immer Vorrang, gefolgt von Radfahrern und erst dann kommen die motorisierten Fahrzeuge, die auch nur maximal 30 km/h schnell fahren dürfen. Der Einzelhandel hat im Laufe der Zeit zunehmend profitiert und auch die Schadstoff-Emissionen sind um 70 Prozent
zurückgegangen.

Diese positiven Beispiele zeigen, dass man den zunehmenden Autoverkehr mit vielerlei Lösungswegen entgegentreten kann. Die Einwohner dieser Städte sind größtenteils zufrieden und loben ihre neue Lebensqualität. Auch der Einzelhandel hat in keinem dieser Beispiele Einbußen machen müssen, oft profitieren sie sogar durch belebtere Fußgängerzonen. Doch jede Stadt ist anders, und viele Lösungsansätze sind in Göttingen nur sehr schwer umsetzbar, ohne bestimmte Interessensgruppen massiv zu benachteiligen. Wie sich die weiteren Pläne bezüglich einer Verkehrsberuhigung rund um die Innenstadt entwickeln werden, zeigt sich sicherlich in naher Zukunft.