Bestrahlungsgerät ETHOS der Firma Varian. Dieses Gerät ist aktuell nur an vier Universitätskliniken in Deutschland verfügbar und ermöglicht eine tägliche Anpassung der Dosisverteilung einer Strahlentherapie.

Mit der Installation eines neuen Bestrahlungsgerätes hat die Klinik für Strahlentherapie der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) eine neue Dimension präziser Bestrahlungstechniken erreicht.

Text: Silke Jansen | Fotos: UMG

Im August 2022 wurde das Bestrahlungsgerät ETHOS der Firma Varian an der UMG in Betrieb genommen. Seither konnten über 400 Patientinnen und Patienten am ETHOS behandelt werden. Doch was macht dieses Gerät so besonders?
Behandlungen in der Strahlentherapie erstrecken sich in der Regel über 2-6 Wochen. An jedem Bestrahlungstag wird ein kleiner Teil der geplanten Strahlen-Gesamtdosis verabreicht („fraktionierte Strahlentherapie“), um dem umliegenden gesunden Gewebe die Möglichkeit zu geben, sich von Strahlenschäden zu erholen und so das Risiko für Nebenwirkungen zu minimieren. Eine große Herausforderung bleibt aber: Die Anatomie – das heißt die Lagebeziehung von Tumoren und umgebenden gesunden Organen – verändert sich ständig! Bedingt durch unterschiedliche Füllungszustände von z. B. Magen, Darm und Blase sowie bedingt durch ein Schrumpfen der bestrahlten Tumore unter einer mehrwöchigen Therapie kommt es fast täglich zu neuen Lage- und Größenbeziehungen von Organen und Tumoren. Dies kann dazu führen, dass sich Tumore aus dem Strahlenfeld hinaus und gesunde Organe ins Strahlenfeld hinein bewegen, wodurch Nebenwirkungen, aber auch eine schlechtere Tumorkontrolle drohen.
In der Vergangenheit wurde in der Regel ein einziger Bestrahlungsplan für den gesamten Verlauf der Strahlentherapie errechnet. Dieser ging von einer stabilen Größe und einer unbewegten Position aller Organe und Tumore aus. Anpassungen an eine veränderte Anatomie konnten nur durch Tischverschiebungen oder aber durch große Sicherheitssäume der Strahlenfelder erreicht werden; die Form der Strahlendosis wurde dabei nicht angepasst. Um Tumore zuverlässig zu treffen, mussten dabei Nebenwirkungen mitunter in Kauf genommen werden.
Nun ist hier eine deutliche Verbesserung zu erwarten: Mit dem ETHOS ist es möglich, an jedem einzelnen Behandlungstag einen neuen Bestrahlungsplan zu errechnen, der sich an tagesaktuelle anatomische Gegebenheiten anpasst und der gesunde Organe sehr viel besser schonen und Tumore sehr viel besser erfassen kann. Diese Bestrahlungstechnik wird DART genannt (daily adaptive radiotherapy = täglich angepasste Strahlentherapie). Um die komplexen Dosisberechnungen tagesaktuell zu ermöglichen, bedient sich der ETHOS einer künstlichen Intelligenz (KI), die in der Lage ist, gesunde Organe und zu bestrahlende Tumore trotz täglicher Lage- und Größenvariabilitäten zu erkennen. Die Strahlendosis wird entsprechend in nur wenigen Minuten angepasst. Keine Sorge: Jeder Arbeitsschritt dieser KI wird am ETHOS durch reale Intelligenz, nämlich ein Team von über 50 Fachärzt:innen, Physiker:innen und technischen Assistent:innen, streng kontrolliert. Frühere „Handarbeiten“ der Bestrahlungsplanung können aber dank der KI in Windeseile erledigt werden, sodass eine einzelne DART-Bestrahlung in ca. 15 Minuten möglich ist. Die Technik kann daher vielen Patientinnen und Patienten im Alltag angeboten werden. Im Übrigen wird die DART-Bestrahlung am ETHOS natürlich durch alle gesetzlichen wie privaten Krankenkassen bezahlt.
Insbesondere Tumore in sehr lagevariabler Position (v. a. Beckentumore: Prostatakrebs, Darmkrebs, gynäkologische Tumore) eignen sich für die DART-Bestrahlung am ETHOS. Aber auch Tumore, die schnell auf eine Bestrahlung ansprechen und daher früh kleiner werden, sind gute Kandidaten für diese neue Technik (z. B. Lungen-, Kopf-/Hals-Tumore, Lymphome). Erwartet werden dürfen erheblich weniger Strahlen-Nebenwirkungen an z. B. Blase, Darm, Lunge und Speiseröhre, aber auch die Hauptwirkung, die Tumorkontrolle, könnte sich verbessern, da die Tumore täglich neu und präzise ins Visier genommen werden!
Prof. Stefan Rieken, Direktor der Klinik für Strahlentherapie und Sprecher des Universitäts-Krebszentrums, freut sich sehr, dass die UMG und das Land Niedersachsen mit einem Finanzvolumen von fast 6 Mio. € diese besondere Methode nach Göttingen gebracht haben. Der ETHOS ist fast doppelt so teuer wie herkömmliche Geräte der Strahlentherapie und derzeit nur an 4 Universitätskliniken in Deutschland im Einsatz. „Die bisherigen Erfahrungen mit dem ETHOS sind einfach nur gut und im Alltag absolut überzeugend“, so Prof. Rieken, „ich sehe schon jetzt erheblich weniger Nebenwirkungen der Strahlentherapie als in der Vergangenheit. Es ist allerdings zu früh, um etwas zu vielleicht besseren Heilungsraten zu sagen, aber bisher hat niemand, der am ETHOS behandelt wurde, ein Rezidiv erlitten.“
In der Klinik für Strahlentherapie an der UMG werden jährlich ca. 1.500 Patientinnen und Patienten mit Tumorerkrankungen aller Art sowie mit schmerzhaften Gelenkserkrankungen behandelt. Ein großes Team aus Ärzt:innen, Physiker:innen und technischen Assistent:innen kümmert sich rund um die Uhr um die ihnen anvertrauten Patientinnen und Patienten. Mit dem Wechsel Riekens von Heidelberg nach Göttingen wurde eine komplette Modernisierung der Strahlentherapie eingeleitet: Schon im Juni 2023 wird ein nächstes neues Bestrahlungsgerät, das alle Methoden der stereotaktischen Strahlentherapie in Kopf und Körper ermöglicht, an der UMG eingebaut. Ein weiteres hochmodernes Gerät folgt in 2024.

1. Tag der Strahlentherapie

2. Tag der Strahlentherapie

Die Lagebeziehungen von gesundem zu krankem Gewebe können sehr unterschiedlich sein. Bestrahlt werden soll hier die Prostataloge (rot) eines Patienten. Durch die von Tag zu Tag verschiedene Füllung des Enddarms (grün)kommt es zu erheblichen Verlagerungen der Organe, die bestrahlt werden sollen bzw. jener, die geschont werden müssen.

1. Tag der Strahlentherapie

21. Tag der Strahlentherapie

Ein Lungentumor (rot) unter laufender Strahlentherapie verändert innerhalb von drei Wochen seine Lage und Größe. Parallel verändern sich das Volumen der gesunden linken Lunge (blau) sowie die Position der großen Gefäße (grün) über dem Herzen. Hier ist eine täglich angepasste Strahlentherapie (DART) am ETHOS sinnvoll.

Prof. Dr. med. Stefan Rieken
Direktor der Klinik und Poliklinik für Strahlentherapie und Radioonkologie

Universitätsmedizin Göttingen (UMG)
Robert-Koch-Straße 40
37075 Göttingen
stefan.rieken@med.uni-goettingen.de
Termine unter: 05 51 / 39-64501