Der Vorstand der Wohnungsgenossenschaft eG Göttingen auf dem Dach des Appartmenthauses Adam-von-Trott-Weg 7
Im Februar 2024 folgt Nora Michaelis als kaufmännische Leiterin im Vorstand der WG Wohnungsgenossenschaft eG Göttingen auf Michael Przibilla. Zusammen mit dem für technische Belange zuständigen Vorstandsmitglied Carlo Scherrer gehen sie im Charakter-Interview auf die aktuelle Situation ein.
Interview: Ulrich Drees | Fotos: Ulrich Drees, Planungsgruppe Wagener
Frau Michaelis, Sie sind das neue Mitglied im Vorstand der Wohnungsgenossenschaft eG Göttingen. Was kommt jetzt auf Sie zu?
Nach meinem BWL-Studium war ich zunächst im Außeneinsatz überall in Deutschland für eine Unternehmensberatungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft tätig, bevor ich zu einem Kreditinstitut in der Region wechselte. Da ich in Göttingen Abitur gemacht hatte und mein Mann aus Göttingen stammt, lag es nahe, dass wir uns hier niederlassen. Ich freue mich, jetzt im Vorstand der Wohnungsgenossenschaft den kaufmännischen Bereich zu übernehmen, mithin die Themen Wohnen, Sparen und das Mitgliederwesen. Hinzu kommen Rechnungswesen und Risikomanagement, alles Themen, mit denen ich mich bereits zuvor beruflich beschäftigt habe.
Was verbinden Sie mit der Wohnungsgenossenschaft?
Meine Familie und ich haben in der Göttinger Südstadt lange in einer Wohnung aus dem Bestand der Wohnungsgenossenschaft gewohnt. Eindrucksvoll war auch, dass ich mich bereits in den ersten Wochen mit Themen beschäftigen konnte, bei denen die soziale Komponente des Genossenschaftsgedankens spürbar wurde. Dank der freundlichen Aufnahme hier im Vorstand ebenso wie durch das gesamte Team, insbesondere aber durch Herrn Przibilla, der sich in den vergangenen Monaten viel Zeit nahm, um mich in seinen Aufgabenbereich einzuarbeiten, fühle ich mich bereits jetzt sehr wohl. Natürlich machen sich die aus dem Ruder gelaufene Regulierungsdichte und die schlechte Stimmung in der Immobilienbranche bemerkbar – nicht zuletzt unterliegen wir als eine der 47 deutschen Wohnungsgenossenschaften, die Spareinlagen annehmen, denselben nach der Finanzkrise eingeführten Regulierungsauflagen wie große Banken. Doch die Wohnungsgenossenschaft eG Göttingen ist gut aufgestellt, um die richtigen Lösungen zu finden.
Herr Przibilla, Sie werden als Vorstand der Wohnungsgenossenschaft im Februar 2024 in den Ruhestand eintreten. Wie nehmen Sie die Lage wahr?
Mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Bevor ich vor 21 Jahren für die Wohnungsgenossenschaft eG Göttingen zu arbeiten begann, war ich bereits 23 Jahre im genossenschaftlichen Bankenwesen tätig. Den Wechsel der Branche habe ich jedoch nie bereut. Bis heute macht mir meine Arbeit viel Spaß, auch weil wir uns mit dem Wohnen als einem menschlichen Grundbedürfnis beschäftigen. Das ist ein emotionales Thema, aus dem sich ein intensives Miteinander ergibt, das neben offener Kritik immer wieder auch viel Lob einbrachte. Ich möchte mich bei unserem Aufsichtsrat für das mir entgegengebrachte Vertrauen und für die Möglichkeit bedanken, die Übergangszeit mit Frau Michaelis so positiv ausgestalten zu können. Ich bin sicher, dass die Wohnungsgenossenschaft eG Göttingen mit ihr und den Akzenten, die sie sicher setzen wird, für die Zukunft gut aufgestellt ist.
Gleichwohl sorge ich mich wegen immer neuer globaler Probleme, wie z.B. der Corona-Krise, dem Ukraine-Krieg oder dem Nahostkonflikt. Diese Themen verändern direkt oder indirekt unsere Gesellschaft und machen es uns immer schwerer, bezahlbaren Wohnraum anbieten zu können. Hinzu kommt der gravierende Fachkräftemangel, der mit einer neuen Generation von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit einem veränderten Verständnis von Work-Life-Balance einhergeht.
Herr Scherrer, Sie sind seit 2008 für die Wohnungsgenossenschaft eG Göttingen tätig. Wie beurteilen Sie als Vorstand die aktuelle Entwicklung?
Obwohl ich mich in der Endphase meines Studiums damit beschäftigte, wie Städte angesichts sinkender Bevölkerungszahlen vital bleiben könnten, wurde in Göttingen 2008 noch immer neu gebaut. Neben der Schaffung bezahlbaren Wohnraums und dem Bauen für das Wohnen im Alter ging es für uns auch um den Bedarf der neu in die Stadt ziehenden Studierenden. Im Laufe der 2010er-Jahre wurden dabei steigende Baukosten, zunehmende technische Anforderungen bei Energieeffizienz, Schadstoffsanierung und Brandschutz sowie das Bauen im kritischen bürgerlichen Umfeld immer bedeutsamer für unsere Arbeit. Gerade hier konnten wir zuletzt mit unserem Großprojekt am Nikolausberger Weg für Göttingen Maßstäbe setzen, indem wir mit unseren Mitgliedern und den Bewohnern der näheren Umgebung erfolgreich einen offenen und intensiven Dialog führten. Zu Beginn der 2020er-Jahre mussten wir uns dann mit den von Herrn Przibilla beschriebenen, externen Themen und weiter zunehmenden Regulierungsanforderungen auseinandersetzen.
Was erwarten Sie angesichts dieser stetigen Zunahme von Herausforderungen für die Zukunft?
Obwohl der Strauß unserer Aufgaben deutlich breiter und differenzierter geworden ist, bin ich zuversichtlich, dass wir, wie schon in der Vergangenheit, Lösungen finden werden. Dabei wird es zentral darum gehen, wie wir auch in Zukunft bezahlbare Mieten gewährleisten können. Unter den aktuellen Bedingungen sind nachhaltige Bauprojekte ohne zusätzliche Fördermittel nicht zu realisieren.
Was wünschen Sie sich hier von der Politik?
Grundsätzlich sollte die Politik der Wohnungswirtschaft auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene mehr zuhören. Auf Bundesebene erschwert die Fokussierung auf eine Dekarbonisierung der Wohnungswirtschaft als Beitrag zur Verminderung der Folgen des Klimawandels das Schaffen dringend benötigten, bezahlbaren Wohnraums. Dabei geht es bei den 17 globalen Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen doch nicht nur um ökologische, sondern auch um soziale und ökonomische Nachhaltigkeit. Unser Wunsch nach mehr Gehör gilt jedoch ebenso auf kommunaler Ebene. Ein Beispiel: Anfang 2024 wird in Göttingen die gelbe Tonne eingeführt. Tonnen mit vier Rädern werden dabei von den Müllentsorgern selbst zum Wagen transportiert, solche mit zwei Rädern müssen von den Anwohnern an die Straße gestellt werden. Um das zu organisieren, haben die drei sozialen Wohnungsunternehmen in Göttingen Gespräche mit der Oberbürgermeisterin und den Göttinger Entsorgungsbetrieben geführt. Es war sehr ernüchternd, wie wenig man uns hier entgegenkommen konnte.
Offensichtlich geht es also nicht immer nur um Finanzierungsfragen?
Es sind immer wieder auch Regulierungsfragen. Beispielsweise konzentrieren sich viele Förderprogramme auf die Energieeffizienz. Viel sinnvoller für die erwünschte Dekarbonisierung wäre jedoch, eine CO₂-Verminderung zu unterstützen. Ein anderes Thema sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Erzeugung von Solarstrom durch Wohnungsunternehmen. Wir können nur mit großem bürokratischen Aufwand Solarstrom erzeugen und den an unsere Mieter weitergeben – für uns als steuerfreie Mitgliedergenossenschaft ist der Aufwand sogar besonders groß. Über dieses Thema wird schon seit Jahren diskutiert. Passiert ist nichts.
Gleichwohl bleibt die Finanzierung ein zentrales Thema. Wenn wir als Wohnungsgenossenschaft unseren seit 130 Jahren gewachsenen Gebäudebestand bis 2045 klimaneutral umgestalten sollen, brauchen wir dafür mehr Mittel, denn wir können trotz dieser gewaltigen Aufgabe andere notwendige Maßnahmen in den Bereichen Schadstoffsanierung, Brandschutz oder Trinkwassersysteme nicht aufschieben.
Nora Michaelis, Michael Przibilla, Carlo Scherrer
Acht neue Wohnungen in Rosdorf
Aktuell sind die Planungen für das letzte noch unbebaute Grundstück der Wohnungsgenossenschaft eG Göttingen in Rosdorf so weit fortgeschritten, dass ein Baubeginn 2024 realistisch scheint. 15 Monate später werden dann acht Wohnungen bezugsfertig sein. Nicht zuletzt zeigte sich auch bei diesem Projekt, dass bezahlbare Mieten bei einer Berücksichtigung der zu erwartenden gesetzlichen Regelungen im anstehenden Gebäudeenergiegesetz nicht zu verwirklichen gewesen wären. Erst im Zuge einer erneuten Planung, die eine mögliche Förderung im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus aufgriff und bei der Energieversorgung nicht vollends auf regenerative Energie setzte, ließen sich die Baukosten so verringern, dass die Genossenschaft ihrem Anspruch an bezahlbare Mietpreise gerecht werden konnte.
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