Mar­kus Thie­le bei einer Lesung im FREI­geist

Recht oder Gerech­tig­keit? Die­se Fra­ge inspi­rier­te den Göt­tin­ger Autor und Rechts­an­walt Mar­kus Thie­le zu sei­nem Roman „Echo des Schwei­gens“, in dem er einen der wich­tigs­ten Jus­tiz­skan­da­le der jün­ge­ren Ver­gan­gen­heit auf­griff. Im Cha­rak­ter-Inter­view spricht er über sein Buch.

Text: Ulrich Drees | Fotos: Miri­am Mer­kel

Herr Thie­le, sie arbei­ten als Rechts­an­walt. Was moti­vier­te Sie, sich die Zeit für das Schrei­ben zu neh­men?
Das ist ein wenig wie beim Jog­ging. Für mich ist das Schrei­ben ein wich­ti­ger Aus­gleich zu einem doch oft­mals sehr anstren­gen­den Brot­er­werb.
Trotz­dem schrei­ben Sie über ein juris­ti­sches The­ma.
Das stimmt zwar. Obwohl ich im Straf­recht pro­mo­viert habe, bin ich jedoch kein Straf­ver­tei­di­ger. Inso­fern ist das schon eine Distanz zu mei­nem beruf­li­chen All­tag. Aber die Kern­fra­gen des Straf­rechts haben mich nie los­ge­las­sen: Was ist Schuld? War­um stra­fen wir? Was ist Gegen­stand der Stra­fe? Was wol­len wir damit errei­chen? Als Autor den­ke ich, dass sich die­se Fra­gen eben auch wun­der­bar eig­nen, um eben wie in „Echo des Schwei­gens“ einen rea­len Fall fik­tio­nal wei­ter­zu­er­zäh­len.
Ihr Vor­bild ist der Fall des Asyl­be­wer­bers Oury Jal­loh, der sich angeb­lich 2005 in einer Des­sau­er Poli­zei­zel­le selbst ver­brann­te. Inzwi­schen geht man mit hoher Wahr­schein­lich­keit davon aus, dass er getö­tet wur­de. Hat Sie zuerst die­se Geschich­te inspi­riert, oder war da zuerst der Wunsch, sich mit dem The­ma „Recht oder Gerech­tig­keit?“ aus­ein­an­der­zu­set­zen?
Der Fall war zuerst da. Das Gesche­hen ließ mich als Jurist letzt­lich rat­los zurück. Ich bin im Prin­zip ein Fan unse­res Rechts­staats, aber der Gedan­ke, dass hier etwas schief­ge­lau­fen war, ließ mich nicht mehr los. Mit mei­nem Buch möch­te ich nun einen Bei­trag zur Dis­kus­si­on über die­sen Fall, der ja Teil eines gesell­schaft­lich sehr wich­ti­gen Dis­kur­ses ist, leis­ten.
Ihre Figu­ren bewe­gen sich in Ihrer Geschich­te in schwie­ri­gen Kon­flikt­si­tua­tio­nen. Wie ent­schei­den Sie als Autor dar­über, was sie dann letzt­lich tun?
Ich den­ke lan­ge dar­über nach, wie ich mich selbst ver­hal­ten wür­de. Eine zen­tra­le Figur ist z. B. Han­nes Jan­ßen, der Straf­ver­tei­di­ger, der weiß, dass sein Man­dant tat­säch­lich gemor­det hat. Soll er nun gegen das Gesetz ver­sto­ßen als Anwalt, indem er das offen­bart, oder soll er sich an sei­ne Schwei­ge­pflicht hal­ten und ris­kie­ren, dass der Mör­der auf frei­em Fuß bleibt? Über lan­ge Stre­cken hin­weg war mir selbst als Jurist völ­lig unklar, wozu ich ten­die­re. Nach vie­len Gesprä­chen mit Straf­recht­lern, mit Kri­po­be­am­ten und mit einem guten Freund, der Staats­an­walt ist, wur­de mir klar: Die anwalt­li­che Ver­schwie­gen­heits­pflicht ist ein wahn­sin­nig hohes Gut in unse­rem Rechts­staat. Wenn die nicht mehr gilt, funk­tio­niert es nicht. Dann ris­kie­ren wir die Will­kür statt eines Rechts­staats. Das deu­te ich in der Rück­blen­de ins Drit­te Reich auch an. Am Ende war die Ent­schei­dung bit­ter, und die erscheint vie­len Lesern sicher unge­recht, weil ein Mör­der auf frei­em Fuß bleibt. Aber das müs­sen wir nach mei­ner Über­zeu­gung aus­hal­ten, der Rechts­staat genau­so wie jeder Ein­zel­ne.

Mar­kus Thie­le
Echo des Schwei­gens
408 Sei­ten – 14,5 x 21,0 cm
Beneven­to Ver­lag – 22,00 €