Andre­as Busch, Car­lo Masa­la, Dani­el Gös­ke

Am 9. Juni ver­lieh die Nie­der­säch­si­sche Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten zu Göt­tin­gen Prof. Dr. Car­lo Masa­la die Lich­ten­berg-Medail­le. Seit Beginn des rus­si­schen Angriffs auf die Ukrai­ne brach­te der Exper­te für Sicher­heits­po­li­tik uner­müd­lich den Stand der Wis­sen­schaft in die öffent­li­che Debat­te ein.

Text: Ulrich Drees | Fotos: Ste­phan Beu­er­mann, Adri­en­ne Loch­te

Alle zwei Jah­re ver­gibt die Nie­der­säch­si­sche Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten zu Göt­tin­gen ihre höchs­te Aus­zeich­nung, die Lich­ten­berg-Medail­le. Mit Prof. Dr. Car­lo Masa­la ehr­te das inter­na­tio­nal ange­se­he­ne, aka­de­mi­sche Netz­werk einen Wis­sen­schaft­ler, des­sen her­vor­ra­gen­de Arbeit auch im öffent­li­chen Sek­tor gro­ßes Anse­hen erreich­te.

Lich­ten­berg-Medail­le >>> Dr. Car­lo Masa­la, Pro­fes­sor für inter­na­tio­na­le Poli­tik an der Uni­ver­si­tät der Bun­des­wehr in Mün­chen, stell­te seit dem rus­si­schen Über­fall auf die Ukrai­ne in zahl­rei­chen öffent­li­chen Medi­en-Bei­trä­gen den Stand der Wis­sen­schaft zu die­sem Krieg dar. „Damit trug er in enor­mer Wei­se zur Ver­sach­li­chung und Infor­ma­ti­on die­ser Debat­te bei und führ­te dies über lan­ge Zeit fort, obwohl er zahl­rei­che Anfein­dun­gen und per­sön­li­che Dif­fa­mie­run­gen aus­zu­hal­ten hat­te“, begrün­de­te Andre­as Busch, Aka­de­mie­mit­glied und Pro­fes­sor der Poli­tik­wis­sen­schaft an der Uni­ver­si­tät Göt­tin­gen, in sei­ner Lau­da­tio die Ehrung.

Wis­sen­schaft in der Öffent­lich­keit >>> Auf dem Som­mer­fest der Aka­de­mie ging Prof. Dr. Masa­la in sei­nem Fest­vor­trag „Wis­sen­schaft – Bera­tung – Öffent­lich­keit: Ein Teu­fels­kreis?“ unter ande­rem dar­auf ein, wie der Ukrai­ne-Krieg sei­nem Fach zu einer neu­en öffent­li­chen Rele­vanz ver­hol­fen habe: „Die Poli­tik­wis­sen­schaft ist zurück.“
Sie wer­de auch gebraucht, so der Sicher­heits­exper­te, denn die aktu­el­le Situa­ti­on erfor­de­re krea­ti­ve Lösun­gen. Es gäbe kei­ne his­to­ri­schen Vor­la­gen für einen Weg aus der Kri­se. Die Auf­ga­be der Wis­sen­schaft bestehe des­halb dar­in, das nöti­ge Wis­sen zu lie­fern, um die poli­tisch Ver­ant­wort­li­chen bei den nöti­gen Ent­schei­dungs­pro­zes­sen zu unter­stüt­zen.
Was die Poli­tik jedoch nie ihrer Ver­ant­wort­lich­keit ent­he­be, beton­te der Sicher­heits­exper­te: „Wir haben kei­ne Glas­ku­gel. Der Nebel ist das Cha­rak­te­ris­ti­sche an die­sem Krieg.“ Nie­mand kön­ne etwa seri­ös beant­wor­ten, ob Putin Atom­waf­fen ein­set­zen wer­de oder nicht. Zudem gebe es kei­ne neu­tra­le Wis­sen­schaft. „Der neu­tra­le Wis­sen­schaft­ler ist ein Mythos“, meint Prof. Dr. Masa­la. „Ich ana­ly­sie­re den Krieg und erle­be ihn.“
Ein Bei­spiel, das gut zu dem im Vor­trags­ti­tel ange­spro­che­nen „Teu­fels­kreis“ passt. Denn Öffent­lich­keit und Poli­tik wünsch­ten sich von Wis­sen­schaft­lern zwar immer öfter Erkennt­nis­se und Ana­ly­sen, doch die Poli­tik sehe eben des­halb „die Wis­sen­schaft als indi­rek­ten Druck, als Ärger­nis und zum Teil als Bedro­hung.“ So wür­den Wis­sen­schaft­ler zuerst geru­fen und dann dele­gi­ti­miert, was bereits man­chen pro­mi­nen­ten Wis­sen­schaft­ler dazu bewo­gen habe, sich aus der öffent­li­chen Debat­te zurück­zu­zie­hen. In sei­nem Vor­trag erteil­te Prof. Dr. Masa­la aller­dings auch dem Anspruch man­cher Wis­sen­schaft­ler eine Absa­ge, dass die Poli­tik stets den von der Wis­sen­schaft gelie­fer­ten Erkennt­nis­sen fol­gen müs­se. Die Poli­tik habe ihre eige­ne Logik, die nicht unbe­dingt evi­denz- und fak­ten­ba­siert sei. Als Teil die­ses Teu­fels­krei­ses beschrieb Prof. Dr. Masa­la auch die Reak­tio­nen der Öffent­lich­keit. Seit­dem er vor 16 Mona­ten begon­nen habe, in zahl­rei­chen Fern­seh­auf­trit­ten den Krieg in der Ukrai­ne zu ana­ly­sie­ren, sei er so vie­len Anfein­dun­gen aus­ge­setzt gewe­sen wie kaum ein ande­rer Wis­sen­schaft­ler. Trotz­dem wer­de er nicht auf­hö­ren, so der Pro­fes­sor.

Die Aka­de­mie >>> Schon in sei­ner Begrü­ßung hat­te Aka­de­mie­prä­si­dent Prof. Dr. Dani­el Gös­ke mit der Fra­ge, wie wohl Georg Chris­toph Lich­ten­berg reagiert hät­te, wenn ihn König Georg III. sei­ner­zeit zur Poli­tik­be­ra­tung nach Lon­don ein­be­stellt hät­te, nicht nur einen span­nen­den Ver­gleich gefun­den, son­dern auch den Bogen zu den Anfän­gen der Aka­de­mie gespannt.
Die­se wur­de 1751, 17 Jah­re nach der Uni­ver­si­tät Göt­tin­gen, als König­li­che Socie­tät der Wis­sen­schaf­ten gegrün­det und war von Beginn an der For­schung gewid­met. Damals wur­de an der Uni­ver­si­tät näm­lich aus­schließ­lich Wis­sen ver­mit­telt – in der Socie­tät tra­fen sich die Mit­glie­der jedoch, um gemein­sam zu for­schen. Fach­über­grei­fen­de Gesprä­che und For­schung – auf die­sen bei­den Säu­len einer tra­di­ti­ons­rei­chen Gelehr­ten­ge­sell­schaft mit aktu­ell 360 Mit­glie­dern und lang­fris­ti­gen For­schungs­vor­ha­ben beruht noch heu­te die Arbeit der Nie­der­säch­si­schen Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten zu Göt­tin­gen. Geprägt wird die Aka­de­mie dar­über hin­aus von einem moder­nen Ver­ständ­nis inter­dis­zi­pli­nä­rer Zusam­men­ar­beit. So tref­fen sich die Mit­glie­der der geis­tes- und gesell­schafts­wis­sen­schaft­li­chen Klas­se und der mathe­ma­tisch-natur­wis­sen­schaft­li­chen Klas­se wäh­rend des Semes­ters in den Ple­nar­sit­zun­gen der Aka­de­mie jede zwei­te Woche zu Vor­trä­gen und Dis­kus­sio­nen. Eine nicht nur in Deutsch­land außer­ge­wöhn­li­che Kon­stel­la­ti­on.
Mit gegen­wär­tig 26 Lang­zeit­pro­jek­ten von inter­na­tio­na­lem Rang ist die Aka­de­mie dar­über hin­aus die wich­tigs­te nie­der­säch­si­sche Ein­rich­tung für geis­tes­wis­sen­schaft­li­che Grund­la­gen­for­schung und beschäf­tigt in die­sem Rah­men 180 Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter, die über Bun­des- und Län­der­mit­tel finan­ziert wer­den.
Im Fokus steht dabei die zukunfts­ori­en­tier­te Siche­rung von For­schungs­da­ten, die digi­tal für eine glo­ba­le Öffent­lich­keit nutz­bar gemacht wer­den; so leis­te­te eine Rei­he von Pro­jek­ten der Aka­de­mie bahn­bre­chen­de Arbeit beim Auf­bau digi­ta­ler For­schungs­da­ten­ban­ken. Auch die kon­ti­nu­ier­li­che Wür­di­gung jun­ger Wis­sen­schaft­le­rin­nen und Wis­sen­schaft­ler mit Prei­sen und Gast­pro­fes­su­ren unter­streicht die­se zeit­ge­mä­ße Per­spek­ti­ve auf eine moder­ne, lebens­na­he For­schungs­land­schaft. Nicht zuletzt öff­net sich die Aka­de­mie als außer­uni­ver­si­tä­re, öffent­lich-recht­li­che Ein­rich­tung des Lan­des in zahl­rei­chen Ver­an­stal­tun­gen und über ihre Home­page bewusst einer brei­ten Öffent­lich­keit.
So sieht sich die „klei­ne Schwes­ter der Uni­ver­si­tät“, wie die Aka­de­mie manch­mal bezeich­net wird, heu­te wie in der Ver­gan­gen­heit als eine Insti­tu­ti­on, die sich aktiv dar­an betei­ligt, fach­über­grei­fen­de, For­schung vor­an­zu­trei­ben und in den Dienst der Öffent­lich­keit zu stel­len – und das auf höchs­tem Niveau, denn nicht zuletzt zäh­len und zähl­ten bereits 74 Nobel­preis­trä­ger zu ihren Mit­glie­dern.

Die Som­mer­sit­zung
Neben der Ver­lei­hung der Lich­ten­berg-Medail­le wur­den auf der öffent­li­chen Som­mer­sit­zung der Aka­de­mie in der Aula am Wil­helms­platz am
9. Juni auch die neu gewähl­ten Aka­de­mie­mit­glie­der vor­ge­stellt. Musi­ka­lisch beglei­tet wur­de die Ver­an­stal­tung von Eli­sa­beth Eidel am Kla­vier. Die zahl­reich erschie­ne­nen Gäs­te erleb­ten im Anschluss im Gar­ten und im Gar­ten­saal der Aka­de­mie einen Emp­fang mit vie­len ange­reg­ten Gesprä­chen. Eine Auf­zeich­nung der Ver­an­stal­tung ist unter www.adw-goe.de ver­füg­bar.

Die Aka­de­mie in Zah­len (Stand 2023)
• 10,4 Mio. Euro Finanz­vo­lu­men im Aka­de­mie­pro­gramm
• 18 Lang­zeit­for­schungs­vor­ha­ben
• 330 Ordent­li­che und Kor­re­spon­die­ren­de Mit­glie­der gegen­wär­tig
• 74 Nobel­preis­trä­ger his­to­risch / gegen­wär­tig
• 180 Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter in 26 Pro­jek­ten
• 32 Arbeits­stel­len in sie­ben Bun­des­län­dern
• 200 ehren­amt­li­che Pro­jekt­ver­ant­wort­li­che
• 5 For­schungs­kom­mis­sio­nen

Nie­der­säch­si­sche Aka­de­mie
der Wis­sen­schaf­ten zu Göt­tin­gen
Geschäfts­stel­le
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