Seit Dezember letzten Jahres hat Jens Düwel die Geschäftsführung der GWG Gesellschaft für Wirtschaftsförderung und Stadtentwicklung Göttingen mbH übernommen. Im Interview spricht er über Göttingen als Wirtschaftsstandort und seine Rolle für die Region.

Interview: Ulrich Drees | Fotos: Sylvia Stein

Herr Düwel, wie haben Sie Göttingen früher wahrgenommen?
Zunächst als große, überregional bekannte Universitätsstadt, woraus eine Internationalität entsteht, die der Stadt gut tut und auch weiter gut tun wird. Weil ich lange zwischen Hannover und Mainz gependelt bin, wusste ich auch von der guten Lage mit der Anbindung an der A7 und der ICE-Bahnstrecke, und bei meinen seltenen Besuchen fand ich Göttingen immer sehr schön und lebendig.

Hat sich Ihr Eindruck bestätigt?
Die Wahrnehmung einer starken Universität hat sich hinsichtlich einer Dynamik im wirtschaftlichen Bereich noch verstärkt. Aus dem Hochschulbereich entstehen viele Initiativen, die dank der vorhandenen Netzwerke gefördert und zusammengebracht werden. Auch die Unternehmen, die ich schon kennengelernt habe, arbeiten in ganz unterschiedlichen Branchen auf einem beeindruckenden Niveau. Es war allerdings auch spürbar, dass Göttingens besondere Situation in der Vorwende-Zeit noch nachwirkt, sodass die angesprochene Dynamik vielleicht noch nicht überall voll angekommen ist. Nur so ließe sich das Zögern bei einzelnen Entwicklungen erklären, dass ich manchmal noch spüre, obwohl sich die Rahmenbedingungen inzwischen fundamental verändert haben, und auch die Universität inzwischen viel stärkere wirtschaftliche Impulse ausstrahlt. Das ist aktuell nur ein erster Eindruck, aber ich glaube, hier und da ließe sich das vorhandene Potenzial noch besser entfalten.

Was macht aus Ihrer Sicht einen guten Wirtschaftsförderer aus?
Grundlegend ist eine ausgeprägte Kommunikationsfähigkeit. Nur über Netzwerke und den Kontakt zu Menschen kann ich meine Ziele darauf ausrichten, wohin sich die Akteur:innen der Region entwickeln wollen und welche Unterstützung sie benötigen. Ebenso wichtig ist der Blick über den Tellerrand. Man muss das Rad nicht immer neu erfinden. Zwar ist jede Stadt und Region anders, aber wenn etwas woanders gut funktioniert hat, kann man immer davon lernen. Darüber hinaus muss ein Wirtschaftsförderer kreativ sein. Wirtschaft steht nie still, es gibt immer neue Trends und Entwicklungen. Die gilt es, früh zu erkennen, kreativ zu vermitteln und mit den verschiedenen Akteur:innen für den Standort Göttingen zu fördern. Darüber hinaus ist es wichtig, den eigenen Standort gut zu kennen. Aktuell bin ich dabei, meine hier noch vorhandenen Lücken nach und nach zu schließen.

Wie setzen Sie Erfolgsgeschichten von jenseits des Tellerrands vor Ort erfolgreich um?
Entweder in dem ich sie einfach adaptiere und auf Göttingen übertrage, oder indem ich jemanden nach Göttingen hole und authentisch über Erfolge und Misserfolge von Projekten und Initiativen erzählen lasse. Das ist immer glaubwürdiger, als einfach nur zu sagen, dass bestimmte Dinge anderswo gut oder besser funktionieren.

In welchen zeitlichen Perspektiven denken Sie als Wirtschaftsförderer?
In manchen Fällen, wenn beispielsweise ein neues Gewerbegebiet zu entwickeln ist, muss in langen zeitlichen Phasen und Prozessen gedacht und vorausgeplant werden. Was wirtschaftliche Entwicklungen angeht, konzentriere ich mich darauf, für die nächsten zehn Jahre bestmöglich vorzubereitet zu sein. Längere Zeiträume machen hier nicht wirklich Sinn, dazu verändert sich heute alles viel zu schnell. Unabhängig davon, muss jedoch die Nachhaltigkeit von Entwicklungen und Projekten immer mitgedacht werden.

Zu den Aufgaben der GWG zählt es auch, Göttingen nach außen als attraktiven Standort zu vermarkten. Wie funktioniert für Sie dabei der Slogan der „Stadt, die Wissen schafft“?
Von Slogans für Städte halte ich eigentlich nicht viel, denn es kann kaum gelingen, die Vielfalt einer Stadt wie zum Beispiel Göttingen auf einen Satz zu reduzieren. Der vorhandene Slogan ist nicht per se schlecht, aber für seine Hauptaufgabe – Göttingen attraktiv zu präsentieren – ist er aus meiner Sicht gar nicht notwendig. Wichtig ist, dass man sich Göttingen anhand von konkreten Zielen und Zukunftsthemen über ein klares Profil verständigt, dass dann kontinuierlich, innovativ und konsequent kommuniziert und über Projekte umgesetzt wird. Die sollten dann auch mal besonders sein und überregional für Aufmerksamkeit sorgen. Das gleicht eher einem Puzzle, das nach und nach das gewünschte Gesamtbild ergibt. Ein einzelner Satz ist dafür zu kurz, zu knapp oder, wie in manchen Städten und Regionen zu beobachten, manchmal eher peinlich. Insofern finde ich den Versuch, ein Alleinstellungsmerkmal über einen Slogan zu transportieren, problematisch.

Mit welchen „Puzzlestücken“ überzeugen Sie ein Unternehmen, sich in Göttingen anzusiedeln?
Göttingen bietet eine perfekte Lage. Die Hochschulen generieren ein riesiges Fachkräftepotenzial in unterschiedlichen Disziplinen. Sehr gut ausgebaute Netzwerke – insbesondere die GWG, aber auch viele andere Player:innen – unterstützen Unternehmen in allen Bereichen, und die Zukunftsaussichten des Standorts sind insgesamt hervorragend. Dazu trägt auch die hohe Lebensqualität bei, die ein sehr wichtiger und immer bedeutenderer Standortfaktor ist. Göttingen ist sehr grün, grundsätzlich fahrradfreundlich und hat eine hervorragende Luftqualität. Mit diesen Faktoren können Fachkräfte vor allem auch hinsichtlich einer langfristigen Planung mit Familie gehalten und angeworben werden. Auch die Größe der Stadt überzeugt, denn neben der unbestreitbaren Attraktivität von Metropolen, bieten kleinere Universitätsstädte wie Göttingen eine sehr lebenswerte Kombination aus Überschaubarkeit, Internationalität und der Vielfalt kultureller Angebote. Um dieses Entwicklungspotential zum Wohle der hier lebenden Menschen auszuschöpfen, ist es allerdings wichtig, dass sich die Stadt beständig weiterentwickelt und nicht stehenbleibt. Dazu gehört aus meiner Sicht auch ein wohldosiertes Wachstum mit den entsprechenden Flächenentwicklungen und -angeboten.

Bietet die große Hochschul-Dichte in Göttingen wirklich genügend Fachkräfte? Es scheint, als blieben im Vergleich zu anderen Standorten zu wenige Studierende in der Stadt, bzw. der Region?
Zum einen ist es ein nachvollziehbarer Prozess, dass Absolvent:innen ihre Unistadt zunächst einmal verlassen und berufliche Erfahrungen sammeln. Grundsätzlich müssen aber in Göttingen sicherlich noch mehr attraktive Arbeitsplätze geschaffen werden, um das Angebot möglichst vielfältig und interessant zu machen. Dafür sind weiterhin dringend die entsprechenden Wachstums-, Neugründungs- und Ansiedlungsmöglichkeiten zu schaffen.

Das Beispiel des Dragonerangers in Weende zeigte erst letztes Jahr, wie schwer es ist, neue Flächen für die Ansiedlung von Unternehmen auszuweisen. Was denken Sie darüber?
Die Entwicklung neuer Flächen ist eine große Herausforderung. Natürlich sind Flächenversiegelung und -verbrauch Themen, die man nicht wegdiskutieren kann. Deshalb werden wir uns immer stärker auf die Entwicklung von nicht mehr genutzten Bestandsflächen konzentrieren müssen, wobei das in der Regel teurer und aufwändiger ist. Doch auch Neuerschließungen sind aus meiner Sicht unumgänglich. Der Dragoneranger hat diesbezüglich viele Qualitäten, jedoch kann ich noch nicht beurteilen, inwieweit die Menschen dort direkt von einer gewerblichen Entwicklung betroffen wären. Wir müssen uns aber sicherlich intensiv um die Flächen kümmern, die für Wohnen oder Erholung nicht prädestiniert sind, um eine erfolgreiche wirtschaftliche Weiterentwicklung der Stadt zu gewährleisten. Eine dynamische Stadt wie Göttingen ohne Wachstum ist für mich nicht zielführend.

Aktuell ist die Life-Science-Branche ein echtes Zugpferd für Göttingen. Braucht es weitere?
Man sollte auf keinen Fall nur auf ein Pferd setzen. Das ist schon zu oft gescheitert. Gleichzeitig ist die Life-Science-Branche nach heutigem Ermessen nicht sehr anfällig für einen Strukturwandel und sollte deshalb mit allen Mitteln gestärkt werden. Große Kompetenzen bestehen außerdem in den Bereichen Mess- und Regeltechnik, Photonik und in der IT-Branche, die wiederum mit vielen anderen Themen verbunden sind. Wichtig ist aus meiner Sicht auch die Logistik, deren Bedeutung sich schon aus Göttingens Lage ergibt, die aber aufgrund der Notwendigkeit für alle Wirtschafts- und Lebensbereiche besonders bedeutend ist und neben einem verbesserungswürdigen Image vor allem ein gewaltiges Innovationspotenzial hat. Wo ich mir noch nicht sicher bin, ist das Thema Sozialwissenschaften. Durch die Universität verfügt Göttingen hier ebenfalls über einen starken Schwerpunkt und das wirtschaftliche Zukunftspotenzial dieser Branche muss unbedingt beleuchtet werden. Soweit der Stand heute, je länger ich hier bin, desto umfangreicher wird die Liste vermutlich noch.

Wie ordnen Sie als erfahrener Wirtschaftsförderer die Effektivität der GWG ein?
Grundsätzlich ist die GWG sehr gut aufgestellt. Wir decken alle klassischen Aufgabenfelder der Wirtschaftsförderung ab und müssen uns selbstverständlich immer an neue Entwicklungen anpassen. Sehr wichtig ist, dass wir selbst investieren können, denn so können wir aktiv Unternehmen helfen, die sich verständlicherweise lieber um ihr Kerngeschäft kümmern wollen. Als kommunale Gesellschaft gibt die GWG den Kund:innen hier eine wichtige Sicherheit. Auch wenn ich bei der Lokhalle zunächst stutzte, passt sie bei genauerer Betrachtung perfekt ins Portfolio der GWG. Durch sie können wir selbst Messen, Kongresse und attraktive Events veranstalten, um ein gezieltes Standortmarketing zu betreiben. All das in einer Hand, zu 100 % im städtischen Interesse und damit im Sinne der Menschen Göttingens einsetzen zu können, ist großartig.

Wie steht es um die Kontakte der GWG zu den verschiedenen anderen regionalen Institutionen der Wirtschaftsförderung?
Die GWG arbeitet mit allen Akteur:innen in der Region selbstverständlich sehr eng zusammen. Insgesamt finde ich die Lage allerdings noch ein wenig unübersichtlich. Wichtig ist, dass Göttingen das Oberzentrum ist, von dem die Strahlkraft in der Region ausgeht. Dabei gilt es dann klar zu benennen, bei welchen Projekten welche Partner:innen in der Region den Hut aufhaben müssen und wo in der Region welche Stärken liegen. Ohne diese Voraussetzung wird es schwierig. Vor allem dürfen wir nicht alles doppelt und dreifach anbieten, sondern müssen miteinander reden und unsere Kräfte für die Region bündeln.

Sind Sie gut in Göttingen angekommen?
Nach einigen Schwierigkeiten konnten meine Frau und ich inzwischen eine passende Mietwohnung finden. Jetzt freuen wir uns erst einmal darauf, viele neue Kontakte zu knüpfen. Diesbezüglich hoffen wir, dass sich die Pandemielage zunehmend verbessert und wir die vielfältigen Angebote in Göttingen ausgiebig nutzen können.

Jens Düwel

Jens Düwel

GWG-Geschäftsführer

Der 57-jährige Jens Düwel ist verheiratet, Vater zweier Kinder und wechselte von der Geschäftsführung der Grundstücks-Marketing-Gesellschaft der Stadt Viersen mbH in die Geschäftsführung der GWG. In seiner bisherigen beruflichen Laufbahn war er in unterschiedlichen Regionen Deutschlands in Leitungspositionen im Bereich der Wirtschaftsförderung tätig und erwarb dabei eine umfangreiche Expertise in der Projektentwicklung und Unternehmensförderung. Zu seinen Schwerpunkten gehörten die Quartiersentwicklung und die Neuansiedlung von Unternehmen.

LOKHALLE Göttingen
Die vielseitig nutzbare Lokhalle ist das Juwel unter den Veranstaltungslocations der Stadt. Gebaut wurde sie als Lokrichthalle im Ausbesserungswerk für Eisenbahnen. Nach einer Zeit als Industrieruine wurde sie zusammen mit dem umgebauten Quartier wiederbelebt, und wird seit 1998 als Veranstaltungshalle genutzt. Die Lokhalle ist ein Teil der GWG mbH und wird von ihr als Eigentümerin betrieben.

Innenstadt und GWG
„In einer aktiven Rolle sehe ich die GWG in der Innenstadt aktuell noch nicht“, erklärt Düwel. „Wir haben aber sicherlich eine beratende Funktion, wenn es um städtebauliche Themen, Immobilien und Nutzungen geht. Grundsätzlich ist insbesondere der frühzeitige Ausbau der Kontakte zu den Immobilien-Eigentümer:innen entscheidend. Wie in anderen Städten, werden auch in Göttingen zukünftig häufiger Probleme im Einzelhandel und mit größeren Nutzer:innen oder Immobilien entstehen. Wir müssen auf jeden Fall vorbereitet sein, falls sich hier in Zukunft unsere Aufgabenstellung verändern sollte.“

Kultur- und Kreativwirtschaft und GWG
„Göttingen hat eine im Verhältnis zur Größe der Stadt unglaublich vielfältige kulturelle Szene“, meint Jens Düwel. „Darüber hinaus gewinnt das viel breitere Spektrum der Kreativwirtschaft, schon durch die zunehmende Digitalisierung, immer mehr an Bedeutung. Hier sollte man über eine stärkere Unterstützung nachdenken, denn die Kreativwirtschaft ist in einer sich international präsentierenden Stadt wie Göttingen auch extrem wichtig für das Standortmarketing.“

Projekte und Netzwerke der GWG

  • Gesundheitsregion Göttingen/Südniedersachsen
  • IT InnovationsCluster Göttingen/Südniedersachsen
  • L|MC Logistik- und MobiltätsCluster Göttingen|Südniedersachsen
  • Life Science Accelerator

Weitere Informationen finden Sie unter: www.gwg-online.de